Hallo Klaus.

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ So schlimm wie bei Kafka ist es bei mir noch nicht, aber ich verwandele mich immer mehr zu einem „Oblomow“ (Iwan Gontscharow) und „Bartleby, der Schreiber“ (Herman Melville). Stefan Zweig schrieb in seiner Rezension über Oblomow: „Der Held ist träge – das ist alles. Er verschläft den halben Tag, geht nicht mehr aus, bricht jeden Verkehr ab und verliert nach und nach jedes Interesse an der Außenwelt. Die Trägheit hat ihn ganz in ihrer Gewalt und gibt ihn nur dem Tode frei.“

Bartleby ist berühmt geworden für seinen Spruch „Ich möchte lieber nicht“, mit dem er jeden Auftrag seines Chefs beantwortete. Der hat das lange toleriert. Dumm nur, dass der neue Chef ihn ins Gefängnis werfen ließ. Dort verweigerte er konsequent Nahrung und Kommunikation. Er wollte lieber nicht. Sein Ende kannst du dir vorstellen. 

Was verbindet mich mit den beiden Romangestalten? Meine Mutter wusste es schon ganz früh. Sie hat mir in meiner Pubertät prophezeit, einmal als Eremit zu enden. So ist es gekommen. Kluge Frau. Und den Bartleby in mir erkennst du auch in dem Schuljungen im „Stadtneurotiker“ von Woody Allen. Seine Mutter geht mit ihm zum Arzt, weil er sich auf einmal weigert, Hausaufgaben zu machen. Das Universum dehne sich aus und werde irgendwann auseinanderbrechen, sagt er. Wozu dann noch Hausaufgaben? Darauf seine Mutter ärgerlich: „Wir sind hier in Brooklyn und Brooklyn dehnt sich nicht aus.“ Klaus, bist du sicher, dass das in Berlin-Moabit genauso ist? Na also!

Wie konnte es soweit kommen? Ich hatte doch immer große Vorbilder. Als Junge in Berchtesgaden wollte ich so sein wie Old Shatterhand und die Seppls aus ihren Lederhosen prügeln. Dann natürlich Robert Redford, um als blonder Strahlemann die Schmach aus der Tanzstunde zu tilgen. Später Günter Netzer. Disco, Ferrari, sich selbst einwechseln und dann noch die Haare wie ich. Ernest Hemingway kam ich am nächsten, was sich allerdings vor allem auf den Konsum von Bourbon und Cuba libre beschränkte. Und heute? Im Ernst, da fällt mir nur Georg Schramm ein. Wenn ich ihm zuhöre, möchte ich mir den nächsten Pflasterstein greifen und die Scheiben von Muttis Kanzleramt einschmeißen. Aber dann sagt Bartleby wieder „Ich möchte lieber nicht“. Ich fürchte, so wird das nichts mit der Revolution.

Jetzt aber Schluss mit Selbstbespiegelung. Graut dir nicht schon vor Weihnachten und dem ganzen Rummel drumherum? Gut, du bist nicht so geschädigt wie ich und kannst noch alle Weihnachtsgedichte auswendig. Meine Pflichtbesuche an Heiligabend in der Eschweger Marktkirche sollten eben nur davon ablenken, dass der Herr Landrat nicht persönlich hinter dem Altar stand und mit einem Glöckchen bimmelte. Er war zu der Zeit nämlich damit beschäftigt, zuhause kiloweise Lametta über den armen Tannenbaum aus dem Schlierbach zu werfen. Genau das war es, was Loriot später inspirierte, von „früher war mehr Lametta“ zu träumen.  

Bei mir war mit Lametta Feierabend, als mein pubertärer Sohn auf seinem neuen Computer einen grünen Tannenbaum programmiert hatte. „Toll, mein Junge“ lobte der stolze Vater. „Jetzt drück doch mal die Taste da, nee die andere. Mensch, Alter!“ Ich schaffe das tatsächlich und was soll ich dir sagen – plötzlich leuchteten auf dem Baum ein paar Dutzend Kerzen auf. Nicht schlecht, aber meine Gene waren das nicht. Die zwingen mich eher dazu, Heiligabend mit Gutscheinen um mich werfend den Wünschen meiner Enkel gerecht zu werden.

Willst du noch wissen, wie ich im nächsten Jahr meinen heroischen Kampf gegen den Kapitalismus, Politiker aller Couleur, Religionen mit und ohne Kopftuch, Immobilienhaie und Bayern München plane? Nein, willst du nicht. Ist auch besser so. „Ein Teil dieser Antworten würde dich verunsichern.“ (Thomas de Maiziere)

Ich trinke jetzt noch einen steifen Grog und pflege meine Neurosen. 

Ulrich 

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