Hallo Jungs,
2018 „isch over“, wie der Pate von Blackrock-Merz sagen würde. Highlights für mich waren unser Klassentreffen und das 2:0 von Hertha BSC gegen den FC Bayern. Ob das nächstes Jahr noch zu toppen sein wird?
Ich habe versucht, mich zu erinnern, wie Landrats in ESW Silvester gefeiert haben. Knallerei gabs nicht. Alle saßen rund um den festlich gedeckten Tisch voller Papierschlangen, hatten komische Hüte auf und machten ein bisschen Tischfeuerwerk. Es war wie bei Heinz Schenk oder der Familie Hesselbach. Ich durfte sogar einen Schluck Sekt probieren, aber dann ab ins Bett. So waren sie bei uns, die 50er-Jahre.
Aber dann Silvester in Berlin! Kleinkrieg, nein, Krieg auf den Straßen. Der brave Eschweger Junge, enthemmt wie seit der Tanzstunde bei olle Forster nicht mehr, ließ sich anstecken und warf Polen-Böller vom Balkon auf Polizeiautos. Aber ich hatte ein schlechtes Karma: eine Rakete vom Balkon gegenüber durchschlug das Doppelfenster in meinem Arbeitszimmer. Peanuts für das, was die türkischen und arabischen Jungs heute wieder in Neukölln veranstalten werden. Aleppo? Das können wir auch!
Elke ist für ein paar Tage aus Neukölln geflohen und hat mir ihre Katze zu treuen Händen überlassen. Meine Ecke ist ja inzwischen zu einem Senioren-Kiez geworden. Immerhin knallen die nicht mehr so und singen stattdessen lieber Volkslieder mit Heino. Ich werde der armen Katze trotzdem Kopfhörer aufsetzen, mit Musik von Caterina Valente oder Rudi Schuricke, weiß noch nicht.
Der Morgen nach Silvester bedeutete für mich und meinen vorpubertären Sohn, die Straßen nach Böller-Blindgängern abzusuchen. Mit reicher Beute kehrten wir zurück. Mein Sohn kratzte das Pulver aus den Böllern und verteilte es auf den Güterwagen seiner Märklin-Eisenbahn. Dann legte er die Lunte. Der ganze Zug rauschte zischend in Flammen durch das Zimmer. Sowas kannte ich bis dahin nur aus dem Film „Die Brücke am Kwai“, den ich in den Fünfzigern mit meinem Vater in einem Kino in Kassel gesehen hatte. Nur die Lokomotive überstand das Inferno einigermaßen unbeschädigt und steht bis heute als Erinnerung an die Heldentat auf meinem Schreibtisch.
Der Junge kann nichts dafür, er hatte leider mein Pyromanen-Gen geerbt. Damit hätte ich während meines Studiums in Marburg um ein Haar die halbe Altstadt in Schutt und Asche gelegt. Die Stadt und ich sind mit einem blauen Auge davongekommen. Es gab nur eine Geldstrafe wegen fahrlässiger Brandstiftung. Schwein gehabt. Heute weiß ich, dass man Pyromane werden kann, wenn es mit den Frauen nicht klappt. Für Marburg kann das stimmen, aber seit Jahren habe ich in Berlin kein Haus mehr angezündet. Was das wohl zu bedeuten hat?
Was wird 2019 aus uns? Ich werde vielleicht 80, meine irische Ehefrau 70, Elke 60 und mein Sohn 50, so alt wie mein Vater. Runde Geburtstage scheinen immer etwas Besonderes zu fordern. Ich hätte Lust, an dem Tag noch einmal was Verrücktes zu machen. So wie der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg, um die Welt zu retten. Fällt euch was ein?
Was wünsche ich euch für das Neue Jahr? Ich fand etwas bei Bertolt Brecht. Er hat einmal seine Vergnügungen zusammengestellt. Sucht euch was aus und es wird vielleicht ein gutes Jahr. Für mich wünsche ich mir, dass ich nicht nur in der Küche kreativ bin. Dann hätte ich ja auch gleich Koch werden können und nicht Philosoph.
Alles Gute.
Ulrich