Liebe Elke, hallo Jungs,
ich bin euch noch eine Erklärung schuldig, wieso Herman Melville („Moby Dick“) bei seiner Erzählung über „Bartleby, der Schreiber“, vor allem an jemanden wie mich gedacht hat. Sein berühmtes „Ich möchte lieber nicht“ zieht sich durch mein ganzes Leben. Es ist die Geschichte einer Verweigerung. Hier zehn Beispiele, die typisch für mich waren und sind:
- 1954 sollte ich vom schönen Berchtesgaden ins triste Eschwege umziehen. Der Bartleby in Lederhose sagte: „Ich möchte lieber nicht.“
- Auf einer Fete in meinem Eschweger Partykeller wollte mir eine attraktive Frau an die Wäsche. Mit anderen Worten, sie wollte mit mir vögeln (pardon). Der jungfräuliche Bartleby in mir stammelte nur: „Ich möchte lieber nicht“. Das blieb dann leider viel zu lange so.
- Marburg 1960. Mein Vater wollte, dass ich Jurist werde wie er. Student Bartleby sagte „Ich möchte lieber nicht“. Das war nicht schwer.
- 1967. Meine Hochzeit als Heide im christlichen Kernland. Schwiegervater wollte mich dazu überreden, wenigstens nur für den Tag der Hochzeit wieder in die Kirche einzutreten. Alles andere werde er regeln. Bräutigam Bartleby sagte „Ich möchte lieber nicht“ und dabei blieb es bis heute.
- 80er-Jahre. Die Allianz brauchte Abteilungsleiter für den Ausbau in Berlin. Ich sollte für drei Jahre nach Stuttgart und danach als Abteilungsleiter an den Kudamm zurückkehren. Der alleinerziehende Bartleby sprach mit seinem kleinen Sohn und sagte „Ich möchte lieber nicht“.
- Die halbe literarische Welt drängt mich, endlich mein Buch zu Ende zu schreiben. Aber der Autor Bartleby sagt bis heute „Ich möchte lieber nicht“. Keiner versteht ihn. Robert Musil würde ihn verstehen.
- Ich habe ein schönes altes Auto, solle mich aber in meinem Alter endlich davon trennen. Der alte Bartleby macht das Cabriodach auf und ruft auf den Brandenburger Alleen den Jungs in ihren SUV zu „Ich möchte lieber nicht“.
- Meine Waschmaschine (Miele) ist 40 oder 50 Jahre alt. Sie wäscht immer noch wie eine Eins, aber leider nur noch kalt. „Jetzt kauf dir doch endlich eine Neue!“. Bartleby schüttet wieder eine Riesenportion Persil in die Maschine. „Ich möchte lieber nicht“. Er kann ja statt Wäsche waschen auch neue kaufen. Macht vielleicht sogar mehr Eindruck.
- Noch immer steht Poulines Katzenklo mit ihren Hinterlassenschaften in meiner Kammer. „Nun bring das doch endlich mal runter! Das gibts doch nicht!“ Doch, gibts bei Bartleby. „Ich möchte lieber nicht.“ Er hat ja sein eigenes Klo.
- Es klopft an der Tür. Und wer steht draußen? Freund Hein mit seiner Sichel. „Es ist Zeit für Stahnsdorf.“ Bartleby hat dort schon seit langem ein Grab für sich reserviert. Aber gerade jetzt? Muss das sein? Bartleby wie immer „Ich möchte lieber nicht.“ Ich bin wirklich gespannt, wie das ausgeht.
Bartleby, möchtest du wissen, was die anderen über dich denken? Bartleby, konsequent wie immer: „Ich möchte lieber nicht“. Dachte ich mir. Da ist wohl nichts zu machen.
Trotzdem mehr Mut zu Bartleby!
Ulrich