Hallo Jungs, dear followers,
eins vorweg: Bartleby gehts gut. Ich sehe, wie erleichtert ihr seid, ihr Heuchler. Oder hat einer von euch etwas anderes erwartet? Hoffe ich doch nicht, und wenn schon.
Als bald 80jähriger verfolge ich aufmerksam, wie es rechts und links um mich einschlägt. Jetzt hat es leider auch Bruno Ganz getroffen. Ich hoffe, ihr kennt ihn, sonst könnt ihr diese Mail gleich löschen. Ich habe ihn in den wilden 70er-Jahren in der Schaubühne bewundern dürfen in „Peer Gynt“ und vor allem im „Prinz von Homburg“ meines Lieblingsdramatikers Heinrich von Kleist. Eines unterschied ihn damals von allen Staatsschauspielern: er mischte sich nach dem Ende der Aufführung unter das Publikum und mich und sammelte Geld für die Sandinista in Nicaragua. Sagt mir, welcher Schauspieler heute etwas Vergleichbares machen würde. Ulrich Matthes vielleicht.
Auch Karl Lagerfeld ist tot. Was hast du denn mit dem zu tun, höre ich euch fragen. Ich sags euch. Er war ein Exzentriker, so einer, wie ich es gerne gewesen wäre. Aber meine preußische Mutter hatte alles versucht, mich auf gesellschaftlichen Mainstream zu trimmen. Leider mit Erfolg. Am besten hat mir sein dictum gefallen: „Männer in Jogginghosen haben die Kontrolle über ihr Leben verloren.“ Ich habe es mal versucht und wollte in Jogginghosen und Badelatschen einkaufen. Habe es nur bis zu meinem Auto vor der Haustür geschafft und den Versuch dann abgebrochen. Mein Traum: Mit den beiden Hamburgern Lagerfeld und Udo Lindenberg durch St. Pauli zu ziehen und den Kiez aufzumischen. Schade.
Zurück im Berliner Alltag. Der größte Stromausfall seit Jahrzehnten in Köpenick. Fast zwei Tage alles duster, kein Kühlschrank, kein Fernsehen, kein Radio und kein Telefon. Euch bekannt? So war das bei uns nach dem Krieg jeden Tag. Abends Stromsperre. Dann hieß es warten, Kerzen anzünden und „Mensch ärgere dich nicht“ spielen. Immer wenn ich vor dem Gewinnen war, ging das Licht wieder an. Mist!
Jetzt aber ins Berlin von heute zum großen Rhetoriker Bartleby. Fünfmal in der Woche bei EDEKA an der Kasse. Fünfmal sagt er „danke“, wenn er das Wechselgeld zurückbekommt. Was für ein Redeschwall! Das muss dann wieder für eine ganze Woche reichen. Seltsam, wenn man bedenkt, dass der Typ früher in seinen Seminaren die Leute tagelang totgequatscht hat. Aber „wir können auch anders“. Das Plakat zu diesem Film mit Joachim Krol und Horst Krause hing in seinem Büro. Wer auch immer ihn dort besuchte, wusste auf den ersten Blick, woran er mit ihm war.
Wenn Bartleby gut drauf ist (kommt selten vor) kriegt er doch den Mund auf. Zum alten Bauern auf dem Ökomarkt: „Hallo Meister. Ich muss Sie anzeigen.“
„Was?“
„Sie haben mich süchtig gemacht mit ihrer tollen Leberwurst.“
„Tut mir leid, dann nehmen Sie doch die frische Mettwurst.“
„Und die macht mich nicht süchtig?“
„Nur, wenn Sie Veganer sind“.
Wusste garnicht, dass Brandenburger auch witzig sein können.
Die Baustelle vor unserem Haus ist endlich geräumt. Nach zwei Jahren! Die leidige Parkplatzsuche im Kiez hat ein Ende, der Youngtimer steht jetzt wieder genau vor meiner Haustür. Da steht er gut und lange. Es gibt nur ein kleines Problem. Im Radio hat ein Autoexperte Typen wie mich gewarnt, ihr Schätzchen zu lange auf seinem Lieblingsplatz zu parken: Es drohen Standschäden. Kannte ich bisher nur beim Sex. In meinem Supermarkt hängen viele Zettel, mit denen Leute anbieten, mein Hündchen Gassi zu führen. Habe aber keins. Aber vielleicht gibt es auch jemand, der mein Auto einmal die Woche um den Block fährt. Der Wagen ist stubenrein, pinkelt nicht an jeden Baum und scheißt nicht den Bürgersteig voll. Ihr würdet euch auch die Kackbeutel sparen. Interesse?
Alt werden ist Scheiße, aber muss es auch peinlich sein? Offensichtlich ja. Bartleby will sein Bett neu beziehen, nach gefühlt ewigen Zeiten. Spannlaken. Sowas kannten wir damals in Eschwege nicht. Entsprechend dämlich habe ich mich angestellt. Plötzlich Alarm! Der DRK-Notruf: „Sie haben eben den Alarmknopf gedrückt. Was ist passiert? Brauchen Sie Hilfe?“ Ich muss mit dem Notruf-Armband irgendwie unter die Matratze geraten sein. Zu blöd der Alte, um ein Bett zu beziehen. Auf meiner Peinlichkeitsskala rückt dieses Ereignis jetzt auf Platz 2 vor.
Unangefochten bis heute auf Platz 1, ein Ei länger als eine Stunde hart zu kochen. Dann kreischt der Rauchmelder, Küche und Flur sind verqualmt. Bartleby ganz cool, wählt 112 und wartet auf dem Balkon. „Das machen Sie gut“, sagt die Feuerwehr und rauscht mit Tatütata an. Löschfahrzeug, Leiterwagen, Notarzt, das volle Programm. Die Nachbarn hängen aus den Fenstern. Endlich was los in dieser Öde. Der Einsatzleiter schaut mir tief in die Augen und entscheidet, diesem Volltrottel keine Rechnung zu schicken. Nicht erst seitdem bin ich ein Fan der Berliner Feuerwehr.
Zum Schluss noch was für die Twitterer unter euch. Fahrgast im M29 der BVG (für Wessis: Berliner Verkehrsgesellschaft) twittert, was der Busfahrer eben durchgesagt hat: „Eene meene mei, die letzte Tür macht frei … hex, hex!“ Kommentar der BVG: „Hui, fährt der alberne Anton heute M29?“ Versteht ihr, warum ich hier alt werden möchte und nur hier? Nee, wie solltet ihr auch.
So, Leute, Schluss für heute. Das nächste Mal wird es auch politisch. Zieht euch schon mal warm an. Ich gönne mir jetzt noch einen Absacker und schau dann Katzenvideos.
Machts gut.
Ulrich alias Bartleby