Hallo Jungs, hallo Fans,

ich mache meine Drohung vom letzten Mal wahr und komme euch heute auch mal politisch. Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein. Hier kommt das Neueste aus dem „nicht funktionierenden Teil Deutschlands“ (Boris Palmer, OB Tübingen). In wenigen Tagen beginnt hier das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Erinnert ihr euch noch an die Schule, als in Sozialkunde ein paar Minuten, wenn überhaupt, für Artikel 14 GG verwandt wurden. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Großes Erstaunen heute allüberall: Was, das steht da wirklich? Das muss ein Irrtum sein. Als betroffener Teil der Allgemeinheit sage ich euch, das ist kein Irrtum. Ihr Investoren aus Russland, China, Saudi-Arabien, Luxemburg und Deutsche Wohnen, zieht euch warm an. Der Geist von 1968 ist in dieser Stadt noch am Leben. Ich halte euch auf dem Laufenden bis ich aus meiner Wohnung rausgeekelt werde. In Bayern gab es jetzt ein erfolgreiches Volksbegehren für den Schutz von Bienen und Insekten. Find ich gut. Aber was hat den Chefredakteur der „Titanic“ geritten, wenn er das so kommentiert: „Ich freu mich immer so, wenn ein Insekt gegen die Windschutzscheibe klatscht, weil dann ist es ja vielleicht doch nicht so schlimm mit dem Insektensterben.“ Eine Hornisse soll ihn in die Eier stechen. In beide. Ihr kennt doch sicher viele Vorschläge zum Weltkulturerbe. Na klar, der Kölner Dom, die Wartburg und Sanssouci sind schon dabei. Ihr könnt auch gerne eigene Vorschläge machen. Einer hat mich sehr nachdenklich gemacht. Er kommt von der wunderbaren Mely Kiyak, von mir schon lange verehrte Publizistin auf ZEIT-Online. Angesichts unseres Umgangs mit Flüchtlingen schlägt sie als Weltkulturerbe keinen neuen Dom vor, sondern statt dessen: Ertrinken lassen im Mittelmeer. Das ist hart, aber besteht unsere Kultur wirklich nur aus historischen Gebäuden? Denkt darüber nach. Ihr glaubt es nicht, aber in meiner Zeit als Allianz-Betriebsrat wurde ich zum „Frauenbeauftragten“ gewählt. Ich. Als Mann. Von einer weiblichen Mehrheit. Bis heute rätsele ich, ob das ein Kompliment oder die Höchststrafe war. Als NeuFeminist habe ich mir auch Gedanken über die aktuelle Me-too-Debatte gemacht. Ergebnis: Gut, dass es die zu meinen Marburger Zeiten noch nicht gegeben hat. In meiner Korporation herrschten seit Kaisers Zeiten strenge Regeln: Kein Sex „intra Muros“. Für Leute ohne großes Latinum: Damit war ursprünglich die Stadtmauer Marburgs gemeint. Zu meiner Zeit wurde das Verbot dann auf die Mauern unseres Hauses beschränkt. Ich erinnere mich an eine wilde Faschingsfete. Als Frauenbeauftragter hatte ich alle einsamen Krankenschwestern der umliegenden Kliniken aufs Haus eingeladen und mich als jugendlichen Robert Redford verkleidet. Die Schwester behandelte mich wie einen Privatpatienten. Ewiges Gefummel oder wie ihr heute sagt, learning by doing. Aber bevor es zum Äußersten kommen konnte, mussten wir beide feststellen, dass wir noch Jungfrauen waren. Da habe ich mich gerade noch rechtzeitig an das kaiserliche Verbot erinnert. Andernfalls hätten mich meine Bundesbrüder geteert und gefedert nackt durch die Marburger Altstadt getrieben. Kein schöner Anblick. Die Krankenschwestern hätten am Straßenrand gestanden und mich mit gefüllten Bettpfannen beworfen. Marburg war schon lange vor der Me-too-Debatte ein gefährliches Pflaster. Du konntest die Uni besuchen oder was fürs Leben lernen. Manchmal sogar beides. Hier etwas Wichtiges für die Nicht-Berliner unter euch. Solltet ihr einmal den Mut aufbringen und in unsere verrückte Stadt kommen, keine Angst: An der Stadtgrenze zu Berlin gibt es keine Volkpolizisten mehr. Statt dessen patroullieren dort jetzt Wildschweine. Mit eurem Gewehr dürft ihr in der Stadt nicht auf sie schießen. aber mit Pfeil und Bogen schon. Also geht noch einmal in euren Keller und sucht nach den Waffen aus eurer Winnetou und Old Shatterhand-Zeit. Aber wahrscheinlich hauen die Wildschweine schon ab, sobald sie euch als Westdeutsche erkennen. Wenn ihr euch nach dem Schreck wieder aus dem KaDeWe raus traut und im 100er oder 200er-Bus durch die Stadt kurvt, wollt ihr ja nicht als Touris aus KleinKleckersdorf erkannt werden. Da hilft es euch wenigstens, wenn ihr wisst, was echte Berliner nie sagen (danke Tagesspiegel): „Kann ich so rausgehen?“ „Deine Schuhe sind dreckig.“ „Bitte nach Ihnen.“ „Die S-Bahn kommt.“ „Es ist noch rot!“ „Frühstück gibts nur bis 10.“ „Ich hab die Wohnung in Kreuzberg bekommen.“ „Links gehen, rechts stehen!“ „Danke. Bitte. Entschuldigung.“ Werner Schneyder ist tot. Er war ein Idol für mich: Kabarettist mit und ohne Dieter Hildebrandt, Schriftsteller, Sportmoderator und Ringrichter im Boxring. Er nannte sich einmal „Universaldilettant“. Darum habe ich ihn beneidet. Noch heute setze ich einen Aphorismus von ihm in meinen Auseinandersetzungen mit dämlichen Berlinern ein: „Versuchen Sie es einmal mit Intelligenz. Es tut nicht ganz so weh wie sie vielleicht vermuten.“ Danach herrscht meist Stille. In einem Nachruf lese ich, dass er an seinem 40. Geburtstag gesagt hatte: „Bis 80 ist Pflicht, der Rest ist Kür.“ Jetzt starb er mit 82 Jahren. Mal sehen, wie lange meine Kür noch dauert. Für heute verabschiede ich mich mit einer Kabarett-Größe vom Niederrhein. Hans-Dieter Hüsch: „Es ist ja nichts Besonderes, in der heutigen Zeit zu allem fähig zu sein. Dann lieber zu allem unfähig.“ Jetzt müsst ihr euch entscheiden. Euer Bartleby.

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