Hallo Fritz, hallo Reinhold, hallo Fans,
Blick zurück in die 60er Jahre. Bartleby machte sich mit dem 2CV von Monika von Marburg aus ins Exil nach West-Berlin auf. Die DDR-Grenzer winkten mich freundlich durch. Wieder einer weniger, der für den Klassenfeind in Bonn ins Feld ziehen könnte.
Die Zeit in West-Berlin war wie die in einem Paradies, die beste Zeit in meinem Leben. Bundeswehr und Mutter weit weg. Bis die Wende kam. Die armen Ossis seien die großen Wendeverlierer, hieß es immer. Stimmte ja auch. Aber dann schlug die Wende ein zweites Mal zu. Jetzt besetzten die Schwaben und das mit ihnen verbündete Kapital die wehrlose Stadt. Immobilienhaie tummelten sich in jeder Berliner Pfütze. New York, London, was die können, das können wir hier schon lange.
Bartleby nahm das zunächst mit stoischen Gleichmut zur Kenntnis. Die interessieren sich ja alle nur für Kreuzberg und Prenzlauer Berg, dachte er. Ja, denkste. Dann entdeckten die Haie auch seine Ecke. Liegt an der Spree, am Rand vom Tiergarten, mit U- und S-Bahnhof, nur ein paar Minuten mit dem E-Roller zum Regierungs-viertel und weit und breit nur ein Wehrdienstverweigerer aus Eschwege. Los, da müssen wir hin.
Jetzt hat das Kapital auch meine Straße erobert. Erst Luxusmodernisierung gegenüber, dann Neubau mit Eigentumswohnungen daneben und dann welche auf unserem Dach. Jetzt hat es auch meine vertrauten Nachbarn im Haus nebenan erwischt. Ich hatte mich schon gewundert, dass auf deren Balkonen keine Blumen mehr gepflanzt wurden. Alle „entmietet“, wie es so schön heißt, also rausgeschmissen. Ein völlig intaktes Haus aus der Nachkriegszeit mit allem Drum und Dran und vor allem mit bezahlbaren Mieten. Das darf nicht mehr sein! Wo bliebe denn da die Rendite?
Wer von euch Lust hat, demnächst mein Nachbar zu werden, sollte schon ein paar Groschen gespart haben. Angebot: 4. Stock, 88 qm, 600 000 Euro. Dachgeschoss, auch 88 qm, 800 000 Euro. Meine Wohnung ist doppelt so groß. Und ich brauche auch keinen Parkplatz für den SUV auf dem Hof. Für mich müssen auch nicht eine riesige Pappel, eine alte Kastanie und eine wunderschöne Rotbuche gefällt werden. Ob du ein stattlicher Baum bist, der hier schon seit 60 Jahren steht oder ein Mieter, der hier schon genauso lange lebt, du musst weg, du musst raus. Thats capitalism, stupid!
Der Krieg hat unsere Gegend schwer getroffen. Das elegante Hansaviertel wurde förmlich ausradiert. Die englischen Bomberpiloten hatten einfach Schiss vor der Flak um die Reichskanzlei, warfen ihre Bomben lieber vorher über uns ab und drehten um. Das heißt, die Bomben, die für Adolf gedacht waren, trafen dafür unser Viertel. Adolf hats gefreut. In unserer Straße blieben nur zwei bis drei Häuser schwer beschädigt übrig. In eins davon bin ich vor mehr als 50 Jahren eingezogen. Jetzt muss ich nach dem Bombardement der Anglo- Amerikaner damals das Bombardement der internationalen Immobilienhaie heute fürchten. Den Luftschutzkeller von damals gibt es in unserem Haus noch. Ich habe den Bombenterror im Krieg zweimal in Berlin und Potsdam in solchen Kellern überlebt. Aber das hilft mir heute nicht mehr, wenn die Bomben der Spekulanten in meinem Briefkasten landen. Ein Briefkasten ist kein Luftschutzkeller. Es ist zum Kotzen. Kann mir jemand von euch eine Kalaschnikow besorgen? Nur so, für den Fall der Fälle.
Das war jetzt mal wieder der düstere Bartleby. Tut mir leid. Aber wie kriegt er jetzt die Kurve? Vielleicht so. Ich lade euch ein zur berühmt-berüchtigten 1. Mai Demo in Berlin. Nicht zu der nach Kreuzberg. Das ist nur noch Tourishow mit endlosen Dönerbuden. Nein, diesmal gehen wir dorthin, wo die wahrhaft Abgehängten dieser Stadt leben. Marzahn? Wedding? Nein, wir wollen ein Zeichen setzen und marschieren diesmal durchs mondäne Dahlem! Da leben die abgehängten Millionäre, die ihren Lamborghini auf dem Radweg parken müssen, weil ihr Gärtner mal wieder vergessen hat, das Tor zu öffnen. Wir tun nichts, wir wollen nur zeigen, wie sehr wir mit diesen wahrhaft Abgehängten leiden.
Der Mauerpark am Rand von Prenzelberg galt lange als no-go-area. Randale war an der Tagesordnung. Dann wurde gegengesteuert und sogar meine Allianz investierte in den Park. Ergebnis: Es wurde friedlich, es wurde Musik gemacht, man konnte Sport treiben, es gab beliebte Karaoke-Shows und spektakuläre Osterfeuer. So stand das dann auch in den Berlin- Reiseführern. Das ist der place to be, sagten sich die Landeier auf der schwäbischen Alb, da müssen wir hin und kauften sich Eigentumswohnungen am Rand des Parks, um ganz nah dran zu sein. Aber bald vermissten Mutti und Vati ihre gewohnte Kehrwoche. Auf einmal war ihnen die Musik zu laut und außerdem liefen hier viel mehr Menschen rum als früher in ihrem Dorf und machten dies und das. Jetzt käme wie jedes Jahr die Walpurgisnacht im Mauerpark, ein Highlight des Jahres. Musik, Zauberer, Feuer und jede Menge Hexen. Die neuen Anwohner aber wollten ihre Ruhe, wollten wieder ihr Dorf zurück und klagten. Die Walpurgisnacht wurde verboten. Anscheinend haben die Schwaben inzwischen auch das Bezirksamt übernommen. Scheiß-Gentrifizierung!
Dazu passt das Gejammer eines Schwabenpapas in einer Berliner Zeitung: „Unsere Kinder haben ihre Drohne verloren. Sie wurde zu hoch geflogen, war dann nicht mehr steuerbar und ging dann irgendwo wieder runter.“ Ja, ich weiß auch wo. In unserem Hof neben den Mülltonnen. Und dann bin ich einfach mal draufgetreten. Natürlich nur aus Versehen.
In Kreuzberg unterhalten sich die echten Berliner Gott sei dank immer noch über Wesentliches. Sitzen zwei Frauen in einem Straßencafé und beobachten eine Taube. „Die trägt ja Ringe.“ – „Dann isse nich von hier.“
Es könnte ja sein, dass ihr nach so einem Newsletter glaubt, der arme Bartleby sei ein unglücklicher Mensch. Ich kann euch beruhigen mit Charlie Chaplin: „Auch eine Qualle hat ein erfülltes Leben.“
In diesem Sinne, euer Bartleby.