#13

Hallo Fritz, hallo Reinhold, hallo Fans,

Blick zurück in die 60er Jahre. Bartleby machte sich mit dem 2CV von Monika von Marburg aus ins Exil nach West-Berlin auf. Die DDR-Grenzer winkten mich freundlich durch. Wieder einer weniger, der für den Klassenfeind in Bonn ins Feld ziehen könnte.

Die Zeit in West-Berlin war wie die in einem Paradies, die beste Zeit in meinem Leben. Bundeswehr und Mutter weit weg. Bis die Wende kam. Die armen Ossis seien die großen Wendeverlierer, hieß es immer. Stimmte ja auch. Aber dann schlug die Wende ein zweites Mal zu. Jetzt besetzten die Schwaben und das mit ihnen verbündete Kapital die wehrlose Stadt. Immobilienhaie tummelten sich in jeder Berliner Pfütze. New York, London, was die können, das können wir hier schon lange.

Bartleby nahm das zunächst mit stoischen Gleichmut zur Kenntnis. Die interessieren sich ja alle nur für Kreuzberg und Prenzlauer Berg, dachte er. Ja, denkste. Dann entdeckten die Haie auch seine Ecke. Liegt an der Spree, am Rand vom Tiergarten, mit U- und S-Bahnhof, nur ein paar Minuten mit dem E-Roller zum Regierungs-viertel und weit und breit nur ein Wehrdienstverweigerer aus Eschwege. Los, da müssen wir hin.

Jetzt hat das Kapital auch meine Straße erobert. Erst Luxusmodernisierung gegenüber, dann Neubau mit Eigentumswohnungen daneben und dann welche auf unserem Dach. Jetzt hat es auch meine vertrauten Nachbarn im Haus nebenan erwischt. Ich hatte mich schon gewundert, dass auf deren Balkonen keine Blumen mehr gepflanzt wurden. Alle „entmietet“, wie es so schön heißt, also rausgeschmissen. Ein völlig intaktes Haus aus der Nachkriegszeit mit allem Drum und Dran und vor allem mit bezahlbaren Mieten. Das darf nicht mehr sein! Wo bliebe denn da die Rendite?

Wer von euch Lust hat, demnächst mein Nachbar zu werden, sollte schon ein paar Groschen gespart haben. Angebot: 4. Stock, 88 qm, 600 000 Euro. Dachgeschoss, auch 88 qm, 800 000 Euro. Meine Wohnung ist doppelt so groß. Und ich brauche auch keinen Parkplatz für den SUV auf dem Hof. Für mich müssen auch nicht eine riesige Pappel, eine alte Kastanie und eine wunderschöne Rotbuche gefällt werden. Ob du ein stattlicher Baum bist, der hier schon seit 60 Jahren steht oder ein Mieter, der hier schon genauso lange lebt, du musst weg, du musst raus. Thats capitalism, stupid!

Der Krieg hat unsere Gegend schwer getroffen. Das elegante Hansaviertel wurde förmlich ausradiert. Die englischen Bomberpiloten hatten einfach Schiss vor der Flak um die Reichskanzlei, warfen ihre Bomben lieber vorher über uns ab und drehten um. Das heißt, die Bomben, die für Adolf gedacht waren, trafen dafür unser Viertel. Adolf hats gefreut. In unserer Straße blieben nur zwei bis drei Häuser schwer beschädigt übrig. In eins davon bin ich vor mehr als 50 Jahren eingezogen. Jetzt muss ich nach dem Bombardement der Anglo- Amerikaner damals das Bombardement der internationalen Immobilienhaie heute fürchten. Den Luftschutzkeller von damals gibt es in unserem Haus noch. Ich habe den Bombenterror im Krieg zweimal in Berlin und Potsdam in solchen Kellern überlebt. Aber das hilft mir heute nicht mehr, wenn die Bomben der Spekulanten in meinem Briefkasten landen. Ein Briefkasten ist kein Luftschutzkeller. Es ist zum Kotzen. Kann mir jemand von euch eine Kalaschnikow besorgen? Nur so, für den Fall der Fälle.

Das war jetzt mal wieder der düstere Bartleby. Tut mir leid. Aber wie kriegt er jetzt die Kurve? Vielleicht so. Ich lade euch ein zur berühmt-berüchtigten 1. Mai Demo in Berlin. Nicht zu der nach Kreuzberg. Das ist nur noch Tourishow mit endlosen Dönerbuden. Nein, diesmal gehen wir dorthin, wo die wahrhaft Abgehängten dieser Stadt leben. Marzahn? Wedding? Nein, wir wollen ein Zeichen setzen und marschieren diesmal durchs mondäne Dahlem! Da leben die abgehängten Millionäre, die ihren Lamborghini auf dem Radweg parken müssen, weil ihr Gärtner mal wieder vergessen hat, das Tor zu öffnen. Wir tun nichts, wir wollen nur zeigen, wie sehr wir mit diesen wahrhaft Abgehängten leiden.

Der Mauerpark am Rand von Prenzelberg galt lange als no-go-area. Randale war an der Tagesordnung. Dann wurde gegengesteuert und sogar meine Allianz investierte in den Park. Ergebnis: Es wurde friedlich, es wurde Musik gemacht, man konnte Sport treiben, es gab beliebte Karaoke-Shows und spektakuläre Osterfeuer. So stand das dann auch in den Berlin- Reiseführern. Das ist der place to be, sagten sich die Landeier auf der schwäbischen Alb, da müssen wir hin und kauften sich Eigentumswohnungen am Rand des Parks, um ganz nah dran zu sein. Aber bald vermissten Mutti und Vati ihre gewohnte Kehrwoche. Auf einmal war ihnen die Musik zu laut und außerdem liefen hier viel mehr Menschen rum als früher in ihrem Dorf und machten dies und das. Jetzt käme wie jedes Jahr die Walpurgisnacht im Mauerpark, ein Highlight des Jahres. Musik, Zauberer, Feuer und jede Menge Hexen. Die neuen Anwohner aber wollten ihre Ruhe, wollten wieder ihr Dorf zurück und klagten. Die Walpurgisnacht wurde verboten. Anscheinend haben die Schwaben inzwischen auch das Bezirksamt übernommen. Scheiß-Gentrifizierung!

Dazu passt das Gejammer eines Schwabenpapas in einer Berliner Zeitung: „Unsere Kinder haben ihre Drohne verloren. Sie wurde zu hoch geflogen, war dann nicht mehr steuerbar und ging dann irgendwo wieder runter.“ Ja, ich weiß auch wo. In unserem Hof neben den Mülltonnen. Und dann bin ich einfach mal draufgetreten. Natürlich nur aus Versehen.

In Kreuzberg unterhalten sich die echten Berliner Gott sei dank immer noch über Wesentliches. Sitzen zwei Frauen in einem Straßencafé und beobachten eine Taube. „Die trägt ja Ringe.“ – „Dann isse nich von hier.“

Es könnte ja sein, dass ihr nach so einem Newsletter glaubt, der arme Bartleby sei ein unglücklicher Mensch. Ich kann euch beruhigen mit Charlie Chaplin: „Auch eine Qualle hat ein erfülltes Leben.“

In diesem Sinne, euer Bartleby.

#12

Hallo Fritz, hallo Reinhold, hallo Fans,

heute beginne ich mal mit einer Einladung in unsere Zoos. Wir haben zwei. In Berlin gibt es alles doppelt. Das solltet ihr aber inzwischen wissen. Das Doppelte macht diese Stadt geradezu einzigartig. Sie ist so etwas wie der eineiige Zwilling unter den Städten. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ singen die Fußballfans nach einem gewonnenen Pokalspiel. Aber in welches?

Unser flottes Eisbärenmädchen heißt also Hertha. Immerhin passender als Angela oder Annegret. Jetzt wartet ganz Berlin auf Nachwuchs bei den Pandas. Aber das klappt bei denen nur an drei Tagen im Jahr. Sex ist nicht so ihr Ding. Lieber Bambus von morgens bis abends. Ich kenne das. Nicht mit Bambus, eher mit Fußball. Was man eben so macht als Panda im Körper eines Mannes.

Diese Woche große Demo gegen den Mietenwahnsinn in der Stadt. Schon vergessen, wie das hier in den 70ern war? Wir hatten Häuser besetzt und sie vor dem Abriss gerettet. Und was machte der Senat? Verscherbelt sie später für nen Appel undn Ei an die Immobilienhaie von Deutsche Wohnen und Co. Jetzt ist der Jammer groß. Aber es gibt ja noch das Grundgesetz. Kennen wir nicht, sagt sich Vonovia und beginnt ihre Kündigungsschreiben an die Rausmieter mit dem einfühlsamen Aphorismus „Leben heißt Veränderung“. Muss es in dieser Stadt erst soweit kommen, wie Olli Welke in der „Heute Show“ fragte: „Kann der Russe nicht wiederkommen?“ Soll er doch.

Elke macht anläßlich ihres Geburtstags eine Kreuzfahrt mit ihren beiden Kids. Ohne Katze. Das heißt, der alte Katzenflüsterer muss noch einmal zeigen, was er so drauf hat. Mit seinen Leckerlis hat er bisher noch jede rumgekriegt. Eigentlich ist sie eine British Kurzhaar. Aber von wegen Kurzhaar. Überall Haare. Ich sehe aus wie ein Yeti und meine Wohnung wie eine Teststrecke für Dyson-Staubsauger. Was ich jetzt aber mit Sicherheit weiß ist, dass ich keine Katzenhaar-Allergie habe. Bleibe weiterhin nur allergisch gegen Dummheit. Kennt ihr ein Mittel dagegen?

Wenn ich eins bei EDEKA hasse, dann, dass es an der Kasse immer dauert. Egal an welcher. Es ist wie früher an der Grenze zur DDR, als ich immer in der gefühlt längsten Schlange gelandet war. Ich lege also wie immer in Windeseile meine Ware aufs Band und zücke schon demonstrativ die EC-Karte. Plötzlich schaut die Kassiererin mich an: „Haben Sie jetzt eine Katze?“ Ach so, wegen der Katzenmilch und der Leckerlis. Ich versuche, das Missverständnis aufzuklären. Nein, nein, nur zur Pflege. Sie lächelt mich an wie noch nie in den letzten 20 Jahren. Manchmal ist es so leicht mit den Frauen. Ich habe da früher wohl vieles falsch gemacht. Sie habe auch eine Katze, sagt sie, und finde meinen Pflegejob bewundernswert. So kommen wir ins Gespräch und die Schlange an der Kasse wird lang und länger. Scheißegal, sind doch eh alles nur Hundehalter.

Ich habe neulich in einem Anfall von Nostalgie mal wieder in meiner Korrespondenz der vergangenen 50 Jahre gestöbert. Unfassbar, was da alles verborgen ist. Das meiste natürlich Mahnschreiben und Bußgeldbescheide. Aber Überraschung: es fanden sich auch eine oder zwei Handvoll Liebesbriefe darunter. Sie stammten allesamt von schönen Frauen, die mich vor allem für eins schätzten: ich könne so gut zuhören. Wenn das kein Kompliment ist. Mein Ohr war für diese Damen mein wichtigster Körperteil. Ich hatte ganz heimlich auf eine andere Wahl gehofft. Aber klar, der liebe Gott hat mich mit zwei Ohren geschaffen und nicht mit zwei Dingsbums. Außerdem war ich damals noch ein sehr, sehr junger Panda.

Ihr habt es noch nicht bemerkt, aber ich habe jetzt einen neuen Computer, genauer gesagt, einen neuen Rechner. Alles geht schneller und endlich kann ich Livestream ohne Stopps sehen und muss mich dafür nicht mehr vor die Glotze setzen. Es ist, als wäre ich von einem 2CV auf die Mercedes S-Klasse umgestiegen. Möglich gemacht hat das Enkel Milan und sein Kumpel. Meine Gene reichten dafür leider nicht mehr aus. Aber für solche Fälle hatte Darwin ja die Mutation entdeckt.

Natürliche Dummheit kann weitaus mehr Unheil anrichten als künstliche Intelligenz. Das glaubt ihr nicht? Hier kommt der Beweis. Die CSU war ja schon immer ein unerschöpfliches Reservoir für Vollpfosten in der Verkehrspolitik. Nach Ramsauer (wer?) und Dobrindt (der mit den schicken Sakkos) hatte sich die Auto-Lobby „gegen jeden gesunden Menschenverstand“ den Scheuer Andy für das Amt des Verkehrsministers ausgeguckt. Und der Andy sorgt jetzt dafür, dass demnächst flotte E-Roller auf unseren Gehwegen zwischen alten Mütterchen mit ihren Rollatoren und jungen Müttern mit Kinderwagen und Kleinkindern herumkurven. Dem ersten E- Roller, der mir in die Hacken fährt, haue ich dermaßen eine in die Fresse, dass er fortan lieber wieder auf seinen SUV umsteigt.

Ihr seht, Opa ist mal wieder auf Krawall gebürstet. Das hält ihn jung. Aber keine Angst, hier ein Tipp für die Wessis unter euch, die sich noch in unsere Stadt trauen: Der Berliner ist schlecht gelaunt. Wenn du ihm die schlechte Laune zurückgibst, kriegst du Liebe. Was wollt ihr mehr?

Aber Opa kann auch nett. Für euch zum Schluss etwas aus Berliner Kindermund:
„Kennst du fünf Tiere aus Afrika?“
„Ja, drei Elefanten und zwei Löwen!“
Ich liebe solche Kinder. Bitte mehr davon. Unbedingt!

Ich wünsche euch eine schöne Zeit voller „Gefühl und Härte“, Wahlspruch der Berliner 68er. Was mir davon leichter fällt? Dann ratet mal schön.

Ulrich

#11

Hallo Fritz, hallo Reinhold, hallo Fans,

was Stolpersteine sind, muss ich euch wahrscheinlich nicht erklären. Vor dem Haus, in dem ich wohne, gibt es noch keine. Es steht in einem Kiez, der früher als „jüdisches Geheimratsviertel“ bekannt war. Die größte Synagoge stand hier und noch zwei kleinere. Von hier aus gingen auch die meisten Transporte in die Vernichtungslager los. Jeder konnte die Menschen sehen, wenn sie in großen Gruppen zum Güterbahnhof Moabit getrieben wurden. Ich spaziere heute durch die gleichen Straßen, wenn ich einkaufen gehe als wäre nichts geschehen. Das hat mich immer wieder beschäftigt. Als ich vor Jahren von den Stolpersteinen hörte, habe ich recherchiert, wer um 1940 in unserem Vorderhaus gewohnt hat. Ich fand fünf jüdische Stammmieter und daneben zahlreiche andere Juden, die für kurze Zeit in deren Wohnungen zwangseingewiesen wurden. Sie wiederum mussten ihre Wohnungen verlassen, weil sie dem Abriss ihrer Wohnungen am Reichstag im Wege waren. Dort wollte Hitler die „Welthauptstadt Germania“ errichten.

Ob einer der fünf Stammmieter auch in meiner Wohnung gelebt hat, konnte ich nicht ermitteln, ist aber durchaus möglich. War für mich auch nicht entscheidend. Ich machte der Koordinierungsstelle Stolpersteine das Angebot, fünf Steine auf meine Kosten vor unserem Haus zu verlegen. Das war 2004. Alles schien gut, bis ich mich mit dem Initiator der Stolpersteine hoffnungslos zerstritt. Wenn ich eins kann, dann das.

Das alles ist jetzt 15 Jahre her. Ich werde nicht jünger und habe das Gefühl, noch etwas Wichtiges zu Ende bringen zu müssen. Es fiel mir schwer, aber ich habe noch einmal einen Anlauf gemacht. Die Koordinierungsstelle sagte, meine Wartezeit betrüge etwa sieben Jahre, SIEBEN JAHRE! Da bin ich längst bei Monika in Stahnsdorf und die Wildschweine haben unsere Gräber verwüstet.

Was nun, Alter? Hast du nicht mal tolle Seminare in Schriftverkehr gemacht? Jetzt kannst du zeigen, was du noch drauf hast. Also ein reizender Brief an die älteren Damen von der Koordinierungsstelle. Das kannst du doch. Freundlich, empathisch und voller Verständnis und Bewunderung. Ein Brief zum Niederknien. Ergebnis: die Damen beginnen gleich mit ihren Recherchen und spätestens Anfang nächsten Jahres würden die Steine verlegt. Non scholae sed vitam discimus. Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Jetzt kann ich mir in Ruhe überlegen, wie ich das Verlegen der Stolpersteine in einem würdigen Rahmen gestalte.

Ich weiß, das war heute nicht der Bartleby, den ihr kennt. Sorry. Aber es ging mir um etwas, das mich schon seit langem sehr bewegt. Jetzt fühle ich mich besser. Gebt Bartleby ein bisschen Zeit und sein nächster Newsletter wird wieder so aussehen wie früher. Versprechen oder Drohung, je nachdem, was ihr erwartet.

Masel tov! (Jiddisch für „Viel Glück!)
Ulrich