Lieber Fritz, lieber Reinhold, hallo Fans,
Sonntag ist Europa-Wahl. Ich wähle schon lange nicht mehr, aber jetzt mache ich eine Ausnahme und kein Geheimnis daraus. Und wen? Na, ist doch sonnenbornklar: DIE PARTEI („Für Europa reicht ́s“). Nennt mir ein Gremium in der EU außer dem Parlament, das demokratisch gebildet wurde. Tut mir leid für dich, Kevin Kühnert, aber du musst erst einmal deinen Laden gründlich aufräumen. Rentner wie ich kennen keine Gnade.
Jetzt aber schnell zu Youtube. Normalerweise sehe ich mir dort nur drollige Katzenvideos an. Aber die können auch anders. Nehmt euch bitte mal eine knappe Stunde Zeit und schaut euch dort das großartige Video „Die Zerstörung der CDU“ vom jungen Youtuber Rezo an. Einfach grandios, der junge Mann, zu Recht millionenfach angeklickt. Mir fällt außer Georg Schramm niemand ein, der die Verkommenheit der BRD, ihr Vasallentum und die Inkompetenz bestimmter Politchargen so gnadenlos entlarvt hat. Und die eingefleischten Mutti-Fans unter euch kann ich beruhigen: auch die SPD kriegt ihr Fett ab. Und wer will, kann sich danach ja jede Menge Katzenvideos ansehen und seine Welt wird wieder zu Friede, Freude, Eierkuchen.
Neulich bekam ich eine rätselhafte SMS: „Niemand außer Allah ist der Anbetung würdig!! Entweder ihr konvertiert zum Islam oder ihr seid Brennstoff der Hölle.“ Ich habe versucht, zurückzurufen (+491785005930), aber Mohamed ging nicht ran. Er war wohl wieder mal mit Aischa, seiner sechsjährigen Lieblingsfrau zugange. Also gut, ich gehe in die Hölle. Schlimmer als ein Abend mit Uli Hoeneß kann es nicht werden.
Mit normalen Menschen habe ich ja kaum noch persönliche Kontakte, dafür umso mehr in den sozialen Netzwerken. Habe heute gerade wieder eine Resolution unterstützt: Bußgeld für Falschparker drastisch erhöhen, von 20 Euro auf 100 Euro. Ja sorry Jungs, aber in anderen europäischen Ländern kostet das noch viel mehr. Warum? Auf meiner Rentnerstreife durch den Kiez fällt mir immer wieder dasselbe Auto auf, das genau an der Kreuzung parkt und den Gehweg völlig versperrt. Die alten Damen mit ihren Rollatoren und die Mütter mit ihren Kinderwagen sind gezwungen, immer über die Straße auszuweichen. Ich habe mir im Internet passende Aufkleber besorgt und pappe diesem Vollpfosten immer wieder seine Scheiben zu. Glaubt ihr, das stört ihn? Nach seinem Kennzeichen (BAR) kommt er aus Barnim, eine trostlos verwilderte Gegend ohne Gehwege nördlich von Berlin. So Ossi, jetzt wollen wir doch mal sehen, wer den längeren Atem hat. Demnächst ist die Luft aus deinen Reifen dran. I
n Berlin fehlen Kitas. Nicht nur ein paar, sondern jede Menge. Entsprechend ist das Gerangel. Manche Eltern sollen jetzt schon ihre Kinder vor der Zeugung anmelden. Ein Vater versprach 5.000 Euro für einen Platz, ein anderer eine Wohnung, egal wo. Leute, geht’s noch! Ich habe 10 Jahre das „Kinderkollektiv 70 eV.“ geleitet, den zweitältesten Kinderladen der Stadt. Von Eltern auf die Beine gestellt, finanziert mit einem freiwilligen Beitrag und von einem antiautoritären Konzept geprägt für 30 Kinder in drei Gruppen. Den Kids hat es nicht geschadet, fragt Tassilo.
Wir blieben nicht der einzige Kinderladen. Und was erlebe ich heute? Wo bleiben die Eltern, die nicht nur reflexartig nach dem Senat schreien („Aber wir haben ein Recht!), sondern noch einmal unseren Weg gehen? Kriegt endlich mal den Arsch hoch! Leere Läden gibt es genug in der Stadt. Vielleicht liegt es auch nur an veränderten Vorschriften. Heute müssten wir wohl zwei Toiletten für die Kleinen bereitstellen, eine für alle, die schon allein ihr Häufchen machen können und eine für die anderen, die dafür noch eine helfende Hand brauchen. Oder besser gleich drei: eine für Jungs, eine für Mädchen und eine für Diverse. Ich glaube, unsere Kids haben es genossen, einfach nur lustvoll zu kacken, egal wo und wie, statt sich dabei ihr Köpfchen über Genderquatsch zuzerbrechen.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich beobachte schon seit längerem eine wachsende Vollkasko-Mentalität in der Gesellschaft. Staat, Senat, Bezirk, jetzt macht doch mal was für uns! Das finde ich nicht nur bei dem Ruf nach Kitaplätzen. Das gibt es auch bei mir im Haus. Die Dachgeschosse sind fertig, die neureichen Mieter sind eingezogen. Der Paketbote klingelt beim diensthabenden Rentner und gibt ein Päckchen ab, Klamotten für eine Melanie von ganz oben. Melanie lässt eine Woche nichts von sich hören. Bei jedem Klingeln renne ich zur Tür, es sind aber immer nur irgendwelche Werbefuzzis, die meinen Briefkasten vollmüllen. Das muss ein Ende haben.
Heute entscheide ich mich, nach oben zu gehen und das Päckchen bei Melanie abzugeben. Vielleicht hat ja der Paketbote einen Fehler gemacht. Oben ist alles neu, alles chic. Ich suche Melanies Wohnung. Das ist dumm. An drei der vier neuen Dachgeschoßwohnungen gibt es keine Namen an den Klingelschildern. Vollkasko-Melanie wartet sicher darauf, dass ihr die Hausverwaltung irgendwann todschicke Namensschilder schickt. Bis dahin hilft ja der doofe Rentner. Auf die Idee, sich provisorisch ein Namensschild an die Tür zu kleben, kommt Madame einfach nicht. Eigeninitiative und Vollkasko-Mentalität schließen sich aus.
Ich werde ihr morgen eine Karte in den Briefkasten stecken mit ein paar Worten, die sie sich hinter den Spiegel stecken kann. Jedesmal, wenn sie die neuen Klamotten anzieht, wird sie an den bösen alten Mann denken. So hübsch kann sie gar nicht sein, dass ich mich dafür entschuldige. Das wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Im Berliner Fernsehen läuft gerade eine Dokumentation über die 60er und 70er-Jahre in beiden Teilen dieser Stadt. Natürlich geht es um die 68er, um Rudi Dutschke und die Anfänge der RAF. Aber auch an das Private wird erinnert. Es war die Zeit, in der Monika und ich uns vor allem von Schmalzfleisch aus der Senatsreserve ernährten. Aber das Ganze mit Stil: Monika in durchsichtiger Bluse und ich mit Fußkettchen. Ein Hauch von Woodstock sollte schon sein.
Eigentlich sollte dieser Newsletter ja ein rein Berliner werden. Also los! Ständig beschweren sich Berliner und Touristen darüber, dass die Stadt zu dreckig sei. Mich stört das nicht. Aber Berlin kann auch anders: Im Prenzlauer Berg gibt es eine Tramhaltestelle, die ist so blankpoliert und rein, dass sich Rentner (nicht ich) regelmäßig an den Scheiben den Kopf stoßen. Ja, wie denn nun?
Auch das ist Berlin: Auf der Damentoilette in einem Berliner Nobelrestaurant: „Meine Mutter hat im Prenzlberg eine Wohnung gekauft, da sind aber noch zwei Mieter drin. Jetzt überlegen wir, wie wir die rauskanten. Vielleicht über Eigenbedarf und ich ziehe zum Schein für ein paar Monate ein. Jedenfalls stellen wir ihnen erstmal für zwei Tage das Wasser ab.“ (Tagesspiegel)
„Ich habe doch auch Eigenbedarf.“ Elena B., 92 Jahre alt, soll ihr Zuhause nach 40 Jahren verlassen. (Süddeutsche Zeitung)
„Beim Betteln an der Ampel stehn,
Auf Krücken aus der U-Bahn gehn,
des Nachts die Autos brennen sehen,
das heißt für mich: Berlin verstehen.“
(Oliver Kalkofe)
Komm Oliver, wir gehen einen saufen.
Ulrich