#17

Lieber Fritz, lieber Reinhold, hallo Followers,

tut mir leid, Leute, aber heute beginnt es mit starkem Tobak. Bartleby hat ja mal Jura studiert, aber das Studium nach ein paar Semestern abgebrochen. „Ich möchte lieber nicht.“ Typisch Bartleby, aber die Juristerei war nicht so sein Ding. Es gab Momente, wo er das bereute und Momente, in denen er das nicht tat. So einen wie in diesem Fall:

Was kostet es, mit Tempo 70 auf der Busspur am Stau vorbeizurasen und dabei ein Kind totzufahren? Ihr kommt nie drauf: 200 Euro Geldstrafe und einen Monat Fahrverbot. So verkündet vom Amtsgericht Tiergarten. Ein 23-jähriger hatte mit Vaters BMW den Vierjährigen umgebracht, der neben seiner mit Einkäufen bepackten Mutter plötzlich bei Rot losgerannt war. Bei Tempo 30 wäre der Unfall vermeidbar gewesen, befand das Gericht, das der Mutter eine Mitschuld gab. Was lehrt dieses Urteil die Allgemeinheit? 1.) Wer durch massive Verkehrsverstöße ein Kind tötet, zahlt dafür so viel Strafe, wie ein neuer Außenspiegel (der alte traf den Jungen am Kopf) kostet, und muss vier Wochen BVG fahren. Und 2.) sollen Mütter gefälligst zu Hause bleiben, wenn sie keine Hand frei haben, um ihr Kind von asozialen Rasern fernzuhalten. (Q. Tagesspiegel)

Vor einigen Jahren wollte ich Milan von der Schule abholen. In der Nähe der Siegessäule machte plötzlich eine Polizei-Wanne (nicht im Einsatz) vor mir einen gefährlichen Spurwechsel. Nur durch die Reaktion der neben mir Fahrenden kam es zu keinem Crash. Beim Überholen der Wanne zeigte ich dem Fahrer den Mittelfinger. Im Cabrio macht sich das besonders gut. An der nächsten Ampel hielten die Bullen mich an und ich bekam eine Anzeige. Nicht die Bullen wegen ihrer Fahrweise, sondern ich wegen meinem Effenberg. Ergebnis: Bußgeldbescheid über 800 Euro. Für dieses Geld hätte ich auch vier Kinder totfahren können. Natürlich nicht alle gleichzeitig, aber schön nacheinander. Was wiegt vor Gericht schwerer? Der spontane Ärger über einen Polizisten oder der Tod eines kleinen Jungen? Bartleby hat darauf eine Antwort, aber er ist ja kein Jurist.

Bartleby gehört ja zu den wenigen Männern, die immer Glück mit Frauen hatten. Gut, in den letzten Jahren hat das etwas nachgelassen. Etwas. Aber es gibt manchmal doch noch eine Sternstunde. Neulich ist Bartleby auf dem Weg zu seinem Öko-Wochenmarkt. An der Gedächtniskirche überholt ihn eine hübsche junge Frau und lacht ihn freundlich an: „Hallo!“. Bartleby weiß noch von früher, dass sich aus sowas noch mehr machen lässt. Mindestens ein blind date im Café Einstein oder Café am Neuen See. Er zieht routiniert den Bauch ein und lächelt verführerisch wie Robert Redford: „Hey!“. Darauf die schöne Fremde: „Sie haben da Papier am Schuh.“ Bartleby schaut an sich herunter und richtig, an seinem Schuh klebt ein DIN A4 Blatt. Er muss irgendwo auf einen Scheißhaufen getreten sein, den der raffinierte Köter anschließend noch unter Papier versteckt hat. Donald Trump ist das Gleiche passiert und die Bilder davon gingen um die Welt. Immerhin, vor diesem Schicksal hat die nette junge Frau Bartleby wenigstens bewahrt. Bartleby 1, Trump 0.

Dass Bartleby kein großer Freund von Donald Trump ist, werdet ihr wohl schon geahnt haben. Aber noch mehr als diesen gefährlichen Polit-Clown verachtet er seine Anhänger, die ihm hysterisch zujubeln. Hatten wir sowas nicht schon einmal in unserem Land? Jetzt droht ein Krieg mit dem Iran. Ihr glaubt doch nicht, dass ihr dann noch ruhig vor dem Fernseher sitzen und Fußball schauen könnt. Wenn schon Glotze, dann ladet euch einen Film von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1964 runter: „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben.“ Das Personal von damals treibt sein Unwesen auch heute wieder im Weißen Haus.

Berlin hat zwar immer noch keinen Flughafen, aber dafür jetzt einen Mietendeckel. Was meinen Vermieter natürlich nicht gehindert hat, mir noch schnell eine saftige Mieterhöhung zu verpassen. Ich habe mal nachgerechnet. Seit ich hier Ende der 60er eingezogen bin, wurde meine Miete um knapp 1.000 % (eintausend!) kalt erhöht. Aber das Geschrei bei den Aktionären der Immobilienfirmen und den Vermietern ist riesengroß. Aus Luxemburg, Russland, Saudiarabien, Panama und den Cayman Inseln verzweifelte Hilferufe: „Wie sollen wir denn jetzt den Handwerker bezahlen, wenn der Wasserhahn tropft?“ Liebe Leute, nehmt es einfach von den Steuergeldern, die ihr hinterzogen habt. Und wenn die alle sind, steigt in die S-Bahn ein und verkauft den „Straßenfeger“. Ich kaufe euch auch einen ab. Versprochen.

Neulich in der U-Bahn. Ein heißer Tag. Bartleby ist ziemlich geschafft und steigt mit zwei vollen Einkaufstaschen ein. Die Bahn ist voll, aber da ist doch noch ein Plätzchen frei. Doch kurz bevor er sich setzen kann, hechtet ein kleines blondes Mädchen mit Roller an ihm vorbei und pflanzt sich triumphierend auf den Sitz. Die Fahrgäste rechts und links starren auf ihre Smartphones. Was jetzt? Soll er der Prinzessin seinen Schwerbeschädigtenausweis zeigen? Oder bitte-bitte machen? Tarzans Opa doch nicht! Die Bahn fährt an.Wo ist die nächste Liane zum festhalten? Da winkt weiter hinten am Ende des Waggons ein Junge, etwa so alt wie das Mädchen.

Bartleby ist baff. Der Junge mit sichtbarem Migrationshintergrund bietet dem alten weißen Mann seinen Platz an. Ich bedanke mich besonders freundlich bei dem netten Wuschelkopf. Manchmal sind eben doch die Jungs die besseren Mädchen. In Berlin haben jetzt die Schulferien begonnen. Wie jedes Jahr werden die türkischen Mädchen davor gewarnt, beim Urlaub in der Türkei zwangsverheiratet zu werden. Ich kenne das. Auch in der patriarchalischen Gesellschaft der Nachkriegs-BRD galt der Grundsatz: Geld muss zu Geld kommen. Das bedeutete für den jungen Bartleby: Er darf nicht mit seiner glutäugigen Werra- Schönheit zum Tanzstundenball. Seine Eltern hatten stattdessen arrangiert, dass der Junge die reiche Apothekerstochter beim Wiener Walzer herumschwenken sollte. Statt seiner üppigen Blondine hatte er an dem Abend ein verschüchtertes Dickerchen im Arm, sorgfältig eingewickelt in rosa Bonbon- Tüll. Aber ihr kennt ja Bartleby. Das war der Moment, in dem er zum ersten Mal „Ich möchte lieber nicht“ gedacht hat. Was wäre die Alternative gewesen? Bartleby stünde heute in Eschwege in der Apotheke des Bonbon-Püppchens und würde euch Aspirin verkaufen. Statt im Newsletter müsstet ihr in Zukunft seine Artikel in der Apotheken-Rundschau lesen. Liebe türkische Mädchen, mit oder ohne Kopftuch, passt gut auf euch auf und wehrt euch!

Zum Schluss noch was aus der Rubrik Lokales. Kurt Krömer, Berlins Antwort auf Jan Böhmermann: „Wussten Sie, dass in Spandau alle drei Teile von „Herr der Ringe“ gedreht worden sind? Die Produktionsfirma hat ein Heidengeld gespart, weil man die Leute nicht mal schminken lassen musste.“ Für Wessis: Berlin und Spandau war noch nie die große Liebe. Ist in etwa so wie die zwischen Köln und Düsseldorf. Bloß dass da keine S-Bahn fährt.

Und das noch: Ganz normaler Nachmittag im Bergmann-Kiez. Eine Anwohnerin isst mit Freunden Eis, als eine vielleicht Vierjährige mit ihrem Tretroller vorbeifährt und brüllt: „Scheiß Touristen!“ Es scheint doch noch ein paar antiautoritäre Kinderläden zu geben.

Some like it hot. Mir reichen 28 Gad, Gin Tonic und ein Poster von Marilyn Monroe.
Ulrich alias Bartleby

#16

Hallo Fritz, hallo Reinhold, hallo followers,

Bartleby hat noch die Stimme von Herbert Zimmermann im Ohr: „Aus dem Hintergrund kommt Rahn. Rahn müsste schießen. Rahn schießt. TOOOR! 3:2 für Deutschland!“ Das war 1954 in Bern. Seitdem hat er nicht mehr so gespannt vor dem Radio gesessen wie diesmal bei der Relegation zur Bundesliga. Eisern Union! Das habt ihr doch hoffentlich mitgekriegt, wie unsere tapferen Ossis aus Köpenick den VfB Prenzlauer Berg in die 2. Liga geschickt haben. Jetzt hat Berlin als einzige Stadt zwei Vereine in der 1. Bundesliga. Fußball- Hauptstadt Berlin. Uli Hoeneß muss jetzt zweimal nach Berlin reisen: Höchststrafe!

Vor der Europawahl hatten sich die selbsternannten Volksparteien vor meinem Supermarkt aufgebaut. Sie belagerten mich mit Kugelschreibern und Flyern und wollten, dass ich mein Kreuz bei ihnen mache. Aber Bartleby sagte wie immer „Ich möchte lieber nicht“ und wählte dieses Mal „Die Partei“. Natürlich halten ihn die meisten Leser dieses Newsletters deswegen für einen Verrückten. Aber der verrückte Bartleby war in dieser verrückten Stadt damit nicht der Einzige. Nur mal so das Ergebnis aus dem Bezirk Friedrichshain/Kreuzberg: „Die Partei“ 8,9 %, CDU und FDP zusammen 8,3 %. Noch Fragen?

Meine Grünen haben mächtig abgeräumt. Größte Zustimmung bei den unter 60jährigen. CDU und SPD verschanzen sich in den Altersheimen, denn immer noch gibt es mehr Wähler über 70 als unter 30. Jetzt noch das Wahlalter auf 16 Jahre senken und durch das Land würde endlich frische Luft wehen, als hätte man alle Fenster gleichzeitig geöffnet. Bartleby, der Träumer.

Jetzt wird’s grün. Wenn es mit mir demnächst vorbei ist, will ich eine Feuerbestattung. Den Platz für die Urne habe ich schon lange gepachtet. Jetzt höre ich, dass dann aber mein ökologischer Fußabdruck ein ganz schlimmer ist. Das Krematorium erzeugt mit meiner Verbrennung einen CO2-Ausstoß, der einem Flug von mir von Berlin nach Köln entspricht. Leute, was soll ich denn dann noch in Köln?

Thema Insektensterben. Die armen Tierchen. Könnt ihr euch noch erinnern, dass wir früher so klebrige Rollen in der Küche aufgehängt haben? Die Fliegen blieben natürlich daran hängen, zappelten eine ganze Weile um ihr Leben und manche von ihnen fielen dann tot und klebrig in das Essen auf dem Tisch. Macht heute keiner mehr. Wir haben ja jetzt Sprays. Ich will der Evolution ja nicht vorgreifen, aber ich habe das Gefühl, dass es eine Zeit geben wird, in der uns die Fliegen mit Sprays umschwirren werden. Darwin, was meinst du?

Tassilo hat vor kurzem stilvoll seinen 50. Geburtstag gefeiert. Das Gleiche macht jetzt das „Grips-Theater“ mit Volker Ludwig bei mir um die Ecke. Ich habe damals mit dem Jungen jedes Stück besucht. Und im Kinderzimmer lief der Hit „Dumm wird man nicht geboren, dumm wird man gemacht!“ rauf und runter. Natürlich auf Kassette. Weiß noch jemand, was das war?

Die Berliner CDU war damals undercover im Theater und forderte, die finanzielle Unterstützung für diese Revoluzzer sofort einzustellen. Außerdem sollten Schulklassen keine Vorstellungen mehr besuchen dürfen. Aber sie hatten die Rechnung ohne die 68er gemacht. Noch heute schleppe ich jeden Berlin-Besucher in „Linie 1“ oder „Eine linke Geschichte“, wenn es der Spielplan möglich macht.

Groteskes von der Schwabenfront I: Im Mauerpark gibt es seit vielen Jahren eine bei Touristen sehr beliebte Karaoke-Bühne. Jetzt droht das Aus! Es sei denn, der Schall würde in Zukunft nur nach Osten (!) dringen. Im Westen des Parks sind nämlich Neubauten entstanden und die Mieter dort fühlen sich beim Betrachten ihrer Katzenvideos empfindlich gestört.

Groteskes von der Schwabenfront II: Holzmarkt an der Eastside-Gallery. Schon lange ein attraktives alternatives Kultur-Zentrum an der Spree. Jetzt plötzlich: Kein Bier mehr nach 21 Uhr. Und warum? Als Berlin-Kenner ahnt ihr es. Richtig! Auf der anderen Seite der Spree sind Neubauten entstanden. Die Leute wollen doch einfach nur ihre Ruhe haben. Auf der Alb sind sie um diese Zeit eben noch mal in den Stall gegangen und haben mit Schafen und Ziegen gekuschelt. Wann werden sie auf dem Kudamm die Kehrwoche einführen?

Dazu ein Kommentar von Lars Eidinger, Schauspieler („Hamlet“, „Richard III“) und Hobby-DJ: „Erst, wenn die letzte Party geräumt und der letzte Club geschlossen ist, werdet ihr merken, dass Berlin zu dem Kaff geworden ist, aus dem ihr gekommen seid.“ Sein Act bei einer Feier in der Münzstraße in Mitte wurde von der Polizei wegen Ruhestörung abgebrochen. Es kommentiert ein wütender Bartleby: „Berlin wird langsam so wie Eschwege, nur mit mehr Hundehaufen.“

Jetzt wird’s haarig. Bei meiner Recherche zu Tassilos 50. Geburtstag stieß ich auf Fotos, die ihn als kleinen Jungen mit voller Lockenpracht zeigen. Auf dem Spielplatz erregten sich immer wieder um ihren Nachwuchs besorgte Mütter über das vermeintliche Mädchen: „Na du Kleine, wo ist denn deine Mutti?“ Das hatte dann schnell ein Ende, als der arme Kerl das erste Mal ein paar Tage bei seiner Oma in Eschwege verbrachte. Sie hat ihn sofort zum Friseur geschleppt und ehe er sichs versah, waren die Locken runter und er sah aus wie der junge Philipp Amthor, nur ohne Brille. Oma war selig, aber das war sein erster und letzter Besuch bei ihr.

Mir ging es in seinem Alter ähnlich. Nachkriegszeit in Berchtesgaden. Die Wohnung meiner Eltern war gleichzeitig Anwaltskanzlei. Die Küche war auch Wartezimmer für die Mandanten und der Küchentisch der Platz für meine Hausaufgaben. Um mich herum die halbe Entourage, die Hermann Göring aus Berlin mitgebracht hatte, vom Förster über den Kammerdiener bis zu seinem Friseur. Der packte dann ab und zu sein Köfferchen aus, griff zu Kamm und Schere und schnitt mir in der Küche die Haare. Danach sah ich immer aus wie ein Pimpf der Hitlerjugend. Mutti war selig, Fortsetzung siehe oben.

Ihr hattet noch nichts zum Lachen? Keine Angst, kommt jetzt. Habe ich aber bei einem Kabarettisten geklaut: „Stellt euch unsere Erde vor ohne den Menschen. Aber dann gäbe es doch keinen Naturschutz.“ Findet ihr nicht lustig? Das wäre ein guter Anfang.

So, zum Schluss noch ein Glas vom leichten Roten aus Baden-Württemberg. Es kommentiert Kurt Tucholsky: „Schade, dass man Wein nicht streicheln kann“. Aber dafür gibt es ja Katzen wie Pouline.

Bartleby wünscht frohe Pfingsten. Wisst ihr eigentlich alle, was ihr da feiert? Googeln gilt
nicht.