Hallo Jung und Alt,

Bartleby geht so langsam auf die 80 zu, fühlt sich aber immer noch fit wie ein ausgelatschter Turnschuh. Da stimmt doch etwas nicht. Kein Hypochonder kennt seinen Pschyrembel so in- und auswendig wie er. Da muss doch allmählich etwas kommen. Alle seine Kumpels haben mehr oder weniger schlimme Zipperlein. Warum, zum Teufel, nur er nicht? Dieses vergebliche Warten auf etwas Unvermeidliches geht ihm mehr und mehr auf die Nerven. Es erinnert Bartleby an seine Pubertät. Da stand er jeden Morgen mit seinem teuren Philips-Trockenrasierer vor dem Spiegel und suchte verzweifelt nach den ersten Bartstoppeln. Verdammt nochmal, wo bleiben die? Alle in der Klasse hatten schon welche und einige sogar schon so etwas wie einen Schnurrbart, Betonung auf schnurren. Er war überzeugt, aus ihm würde nie ein richtiger Mann. Heute kann er es ja sagen, das war der größte Irrtum in der Geschichte seit entdeckt wurde, dass die Erde keine Scheibe ist.

Der Eine oder Andere von euch wird sich vielleicht gewundert haben, dass Bartleby  als „homo politicus“ sich so gut wie nie über Politik äußert. Das macht er aus gutem Grund und soll auch so bleiben. Warum sollte er jeden Furz eines Politikdarstellers kommentieren? Dafür habt ihr das Blatt mit den großen Buchstaben. Seine Newsletter möchten euch dagegen zeigen, wie die Welt aus der Sicht eines grummeligen 80jährigen aussieht mit einem ganz speziellen Blick auf sein Berlin. 

Aber Bartleby kneift auch nicht, wenn ihr wissen wollt, wo er politisch steht. Jakob Augstein hat diese Frage einmal knapp und klar beantwortet: „Im Zweifel links.“ Wem das nicht reicht, sollte am besten das kleine Heft von Stéphane Hessel lesen: „Empört euch!“ Spätestens dann wisst ihr wirklich, wie der alte Bartleby tickt. So, Schluss für heute mit der großen Politik.

Bartleby ist ja schon seit der Erfindung des Fernsehens ein TV-Junkie. Aufgewachsen ist er in den 50ern mit Werner Höfers „Frühschoppen“ mit fünf rauchenden und trinkenden Journalisten aus sechs Ländern oder umgekehrt. Den gab es immer sonntags um 12 Uhr. Aber kaum hatte Höfer an seinem Glas Wein genippt, platzte Mutter in die Runde und stellte demonstrativ den Sonntagsbraten auf den Tisch. Aber statt eines freundlichen „Guten Appetit!“ ein energisches „Der Kasten bleibt jetzt aus!“ Ich hätte sie ermorden können, Sonntag für Sonntag. Aber im Knast hatten sie ja damals noch nicht einmal Fernsehen. Mutters Glück.

Heute versäumt Bartleby kaum eine Talkshow, weder live noch in der Mediathek. Dabei interessiert ihn weniger, welche politische Meinung der eine oder andere vertritt. Das weiß er auch schon vorher, Was ihn interessiert, ist, wie sich die Teilnehmer darstellen. Wer macht rhetorisch alles richtig, ist schlagfertig und überzeugt mit Argumenten? Das Urteil von Bartleby nach zahllosen eigenen Rhetorik-Seminaren für die ruhmreiche Allianz: „The Oscar goes to –  Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi.“ Aber damit die rechte Ecke von euch nicht weint, auch ein Peter Altmeier macht seine Sache zumindest rhetorisch nicht schlecht. Wie er es immer wieder schafft, von den Moderatoren in die Enge getrieben, bunte Girlanden aus Nonsense zu winden und damit gerade noch das rettende Ufer zu erreichen, Respekt. Müsst ihr erst einmal nachmachen oder besser nicht. 

Fontane-Jahr. Natürlich kennt Bartleby seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und hat selbst auch schon die Maränen aus dem Stechlin im Fontane-Haus in Neu-Globsow gegessen. Jetzt aber stolpert er über etwas wenig Nettes über den großen Dichter: Der habe beim Schreiben seiner Texte eine regelrechte Sauklaue gehabt. Jetzt erst wird Bartleby klar, weswegen aus ihm nie ein zweiter Fontane werden konnte. 

Bartlebys Opa war Rektor. Das heißt, der kleine Bartleby musste jeden Tag üben, Buchstaben in voller Schönheit auf eine Schiefertafel oder in ein Heft mit Ober- und Unterlinien zu malen. Zum Beispiel seitenlang ein schönes „g“ mit Unterschleife malen. Wenn es gut war, gab es zur Belohnung frischen Pflaumenkuchen aus dem Ofen von Oma. Das Ergebnis war eine Schönschrift wie die eines Künstlers. In der Schule hat das allein genügt, manch eine misslungene Arbeit von einer glatten „5“ in eine „4-“ zu retten.

Für die Jüngeren: es gab mal eine Zeit ohne Kugelschreiber. In Jung-Bartlebys Pult in der Schule gab es ein Tintenfass. Da konntest du wahlweise die Zöpfe deines Schwarms reinhalten oder deinen Federhalter, und erst dann konntest du schreiben wie Fontane oder auch nicht. Für Bartleby hieß das, beim Schreibwarenhändler seines Vertrauens nach der Superfeder zu suchen. Nicht zu breit und nicht zu spitz, nicht zu lang und nicht zu kurz. Mit den Füllern später wurde es einfacher. Bartleby hatte sich als Schöngeist für einen Pelikan-Füller mit grün-marmorierter Grifffläche entschieden, den Mercedes 300 unter den Füllern. Den hat er heute noch. Ab und zu muss er sich ein neues Glas Tinte (natürlich blau, schwarz ging gar nicht!) kaufen, weil das alte längst eingetrocknet ist. Der alte Fontane würde ihn verstehen.

Bartleby liest zu seinem Entsetzen, dass seine Allianz ihr Sportgelände in Mariendorf verkaufen will: Zwei Fußballplätze, mehrere Tennisplätze und eine große Sporthalle. Eine Schande und ein deja vu! Der junge Bartleby hatte schon damals geweint, als die Allianz die wunderbare überdachte Haupttribüne aus den 20er-Jahren verscherbelt hatte. Fragt mich nicht, warum die Denkmalschützer dabei die Füße stillgehalten haben.

Was Bartleby aber zu denken gibt: Kurz bevor er diese Nachricht liest, hatte er einen unerklärlichen Anfall von Aufräumeritis. Was kann von seinen ganzen Sportklamotten (Curling, Joggen, Fußball) endlich weg? Die Wahl fiel auf seine Stutzen und Schienbeinschoner. Die Töppen dürfen bleiben und erhalten einen Ehrenplatz neben seinem Weiß-Blau Allianz Trikot mit der legendären Rückennummer „3“. „Passt auf die 3 auf!“, schallte es immer wieder von der Trainerbank des Gegners. Hat ihnen aber nicht viel genutzt. In diesem Zusammenhang noch ein Wort über Uli Hoeneß? Wäre zuviel der Ehre. Wurstmaxe bleibt Wurstmaxe.

Hier etwas aus der Rubrik „Selten, aber dämlich“. Neulich bei EDEKA. Bartleby beim Großeinkauf. Geschickt, wie das nur erfahrene Männer wie er können, verstaut er die Waren in seinen vier Einkaufsbeuteln aus Jute (Öko!). Mit Umpacken dauert das natürlich ein bisschen. Davon schon leicht erschöpft, schleppt der alte Herr die Last nach Hause. Vor der Haustür dann der Schock. Die Schlüssel! Wo sind die Schlüssel? Also alle Beutel auf dem Bürgersteig wieder ausgepackt und die Köter verscheucht. Die Schlüssel sind nicht da. Hat er wohl auf dem Packtisch vergessen. Zurück mit dem ganzen Mist zu EDEKA? Bartleby dazu „Ich möchte lieber nicht.“ Typisch. Der alte Mann brauchte eine Weile, Bartleby doch dazu zu bewegen, ihm bei der ganzen Schlepperei zurück zu helfen. Musste ihm aber dafür ein paar hochprozentige Leckerlis versprechen.

Rush hour an den Kassen. Alle gehetzt. Bartleby wirft sich todesmutig dieser Meute entgegen und säuselt schuldbewusst „Entschuldigung, ich habe meine Schlüssel liegengelassen.“ Der Kassierer fragt, wie sie denn aussähen. „Na, ein langer und vier kurze.“ Er kramt unter seiner Kasse und wedelt mit dem Schlüsselbund. Bartleby spürt die giftigen Blicke der Schlange an der Kasse. Gleich werden sie ihn töten, hier, mitten in seinem geliebten Moabit. Das darf nicht sein! 

Dann aber doch der alte Bartleby, wie ihr ihn kennt. Baut sich mit seinen Einkaufsbeuteln vor der ungeduldigen Kassenschlange auf und strahlt sie an (doch, doch, das kann er auch): „Kennt jemand von Ihnen eine gute Gebrechlichkeitspflegerin für mich?“ Ein Moment Stille, dann fröhliches Gejohle bei Jung und Alt. Puuh, das war aber wieder knapp.

Jetzt aber: „Alexa, hol mir ein Bier!“ –  „Ich möchte lieber nicht.“ – Bartleby glaubt, er habe sich verhört: „Was ist denn hier los? Gib sofort das Buch wieder her!“ So weit kommt´s noch.

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