Hallo Fans,
wie Ihr wisst, ist Bartleby´s Mindesthaltbarkeitsdatum ja schon vor einiger Zeit abgelaufen. Für ihn selbst überraschend ist er vor kurzem doch noch 80 geworden. Eine Laune der Natur. Der Bezirks-Bürgermeister von Mitte hat gratuliert, warum auch immer, und die alte Tante Allianz hat mal kurz in ihrem Portemonnaie gekramt. Diesmal ist es ihm nicht gelungen, sich an einem unbekannten Ort zu verstecken. Er wird halt doch alt. Aber Elke und seine family haben – jeder für sich – ein anspruchsvolles Programm auf die Beine gestellt. Genau auf seine Person und seine Vorlieben zugeschnitten, Bartleby muss in der Vergangenheit doch mehr von sich preisgegeben haben als er dachte. Nach zwei sehr schönen, anregenden und anstrengenden Tagen war er jedenfalls Matsch, aber glücklich. So ein Gefühl kannte er gar nicht mehr.
Soll ein Geburtstagskind sich selbst ein Geschenk machen? Bartleby hatte damit nie ein Problem. Meistens waren es dann teure Whiskeys oder überflüssige Klamotten oder eine Karte für die VIP-Lounge von ALBA. Diesmal fiel seine Wahl altersgerecht aus. Ab jetzt gehört auch ein Einkaufs-Trolley zu seinem Fuhrpark. Das gemeine Volk wie ihr nennt so ein Gefährt verächtlich „Hackenporsche“. Wer Bartleby kennt, weiß natürlich, dass er sich nicht so eine Einkaufstüte mit kleinen Rädern ausgesucht hat wie die alten Damen aus dem Altersheim. Bei EDEKA müssen die Mädels jetzt Platz machen für den schwarzen Andersen Royal XXL, den Porsche Cayenne unter den SUV-Trolleys. Luftbereift mit Autoventilen, Kühlfach und allem pipapo. Nicht kleckern, klotzen. Bartleby wird sich wohl nie mehr ändern, solange die Rente reicht.
Was hat Fußball mit political correctness zu tun? Na, nüscht, sagt der Fan in der Ostkurve. Meinste, Alter? Hertha hin, Hertha her, Bartleby war schon immer ein Fußball-Verrückter. In Italien und jetzt in Bulgarien gibt es aber Verrückte, die nur deswegen ins Stadion gehen, um ihre rassistische Scheiße loszuwerden. Affenlaute und Hitlergruß gegen dunkelhäutige englische Spieler. Pech für Bulgarien, ihre hellhäutige Mannschaft ging 0:6 unter. Dunkel ist das neue Hell.
Political correctness wird es im Fußball noch lange schwer haben. Wir hier im grün versifften Berlin waren da schon einmal weiter. Aber auch da gab es Rückschläge. Bartleby erinnert sich: Er, der typische 68er bringt seinen Sohn morgens in den natürlich antiautoritären Kinderladen. In der U-Bahn steigt ein dunkelhäutiger Fahrgast zu. Alles ruhig. Aber auf einmal kräht der kleine Mann: „Ulrich, ist das ein Neger?“ Wer einmal versucht hat, in einem U-Bahn-Wagen im Boden zu versinken, wird verstehen, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe. Was sollte ich machen? Sollte ich den anderen Fahrgästen erläutern, dass mein kleiner Sohn damit nur ausdrücken wollte, dass es Menschen mit unterschiedlichen Formen der Pigmentierung gibt? Nächster Halt Zoo, ich war gerettet.
Diese Situation erinnert mich an meine Konfirmandenzeit in Berchtesgaden. Da musste ich ja noch in die Kirche. Wenn man da reinkam, stand auf einem Tisch am Eingang immer die Figur eines kleinen Negerjungen mit offenen Händen. Wenn man da etwas Geld hineinlegte, nickte er mit dem Kopf und machte einen Diener. Ja, das muss er auch, fanden die Konfirmanden. Manche von ihnen finden das heute noch so, da bin ich mir sicher.
In Berlin gibt es eine U-Bahn-Station, die schon seit ewigen Zeiten „Mohrenstraße“ heißt. Das wollen die political-correctness-Aktivisten ändern. Ich erinnere mich an meine Jugend in dem verschlafenen Eschwege. Der Höhepunkt des Tages war es für mich, wenn ich mir nach der Schule am Zeitungskiosk für 20 Pfennig einen Mohrenkopf kaufen konnte. Ich hätte sterben können für diese Dinger. Könnte ich auch heute noch. Aber was sage ich heute, wenn ich einen kaufen will? Was ich nicht sagen darf, ist mir klar. Vielleicht so: auf den Mohrenkopf zeigen und sagen: „Das da!“
Mit diesen Worten habe ich auch in den 68ern am Kiosk ein buntes Magazin erstanden. Es hieß auch „Das da“ und war so eine Art Playboy für junge Revoluzzer. Eine wilde Mischung von nackten Frauen und revolutionären Texten. Herausgeber unter anderen Ulrike Meinhof. Sie erhofften sich offensichtlich so eine größere Verbreitung ihrer kritischen Artikel. War bei Bartleby natürlich nicht nötig. Er interessierte sich sowieso nur für die Texte. Stimmts Bartleby?
Jetzt eine Geschichten aus der Rubrik „Dement und keiner merkts“. Vor vielen Jahren hat Bartleby seine Lieblingsschuhe zum Besohlen gebracht. Danach aber nicht mehr angezogen und vergessen, weil inzwischen wohl der Winter ausgebrochen war. Im nächsten Frühjahr kauft er sich haargenau dasselbe Modell und trägt es, bis jetzt die Sohlen durch sind. Also müssen neue her. Aber in ganz Berlin gibt es keine Schuhe mit Silberschnallen. Überall nur Schnürsenkel. War das nicht einmal die DDR, in der Planwirtschaft geherrscht haben soll? Also warten bis zum nächsten Jahr, wenn die Schnürsenkel wieder von Schnallen abgelöst werden? Bartleby wollte das lieber nicht, klar.
Er durchwühlt seinen riesigen Messi-Schuhfundus, in dem sich noch Töppen aus seiner Zeit als Netzer-Imitator und Spikes aus seiner Zeit als Armin Hary Double (s. Wikipedia) fanden. Selbst die Sandalen, in denen er sich einst mit weißen Socken als Muttersöhnchen geoutet hat, könnte er heute wieder tragen. Natürlich nur ohne Socken. Aber dann: Unter einer fingerdicken Staubschicht entdeckt er seine alten Lieblingsschuhe von damals mit nagelneuen Sohlen. Den Schuster im Kiez gibt es schon lange nicht mehr. Seine Sohlen haben ihn bei Bartleby überlebt.
Hier noch etwas Hübsches aus der Rubrik „Jeder blamiert sich, wie er kann.“ Die Berliner Polizei hat den Inhalt einiger Notrufe (110) veröffentlicht (danke Tagesspiegel). Es geht los:
„Anruferin wollte EWA (Einsatzwagen), weil bei ihr andere Sachen im Kühlschrank liegen. Zum Abschnitt verwiesen. Damit war sie nicht einverstanden.“
Oder so: „Im Hinterhof des Mehrfamilienhauses sitzt eine Katze, welche die Anruferin nicht kennt. Anruferin will das nur der Polizei melden.“
Einer geht noch: „Mann liegt betrunken im Bett, hat seinen Arm auf meine Seite ausgestreckt – ich kann nicht ins Bett.“ Einsatz abgelehnt.
Ihr lacht, aber das sind genau die Leute, denen ich täglich auf der Straße, in der Bahn oder bei EDEKA begegne. Wenn ich nicht wüsste, dass ich im Irrenhaus Berlin lebe, hätte ich wegen dieser Typen wohl schon längst einmal die 110 gewählt.
Zum Schluss noch etwas aus der Rubrik „Liebe kennt keine Grenzen“. Pouline, meine zeitweilige Therapiekatze, hat Bartleby einen Heiratsantrag gemacht. Er sei der erste Mann, der ihr Klo sauberer hält als sein eigenes. Helge Schneider („Katzeklo“) muss dann natürlich Trauzeuge sein. Ihr seid alle eingeladen. Als Geschenk erwarten wir von jedem einen Beutel Katzenstreu. Aber bitte nur die Klumpige, sonst kann die feine Dame nicht.
Noch eine Frage. „Alexa, was kommt eher: das Ende der Welt oder das Ende des Kapitalismus?“- Langes Schweigen. Bartleby hat das Gefühl, künstliche Intelligenz wird einfach überschätzt. Ein schwacher Trost.