Bartleby hat in seiner Zeitung etwas Hübsches für euch zu Corona entdeckt. Moritz Rinke, Schriftsteller und Mitglied der Autoren-Fußball-Nationalmannschaft, schreibt über den Besuch bei seiner Mutter in Zeiten wie diesen:
Den Achtzigsten meiner Mutter habe ich mit ihr alleine gefeiert. Sie lehnte am Fenster, ich stand unten auf der kleinen Straße. Wir mussten sehr laut sprechen, eher schreien.
„Mir wird das jetzt zu doof, ich komme runter!“ sagte sie. „Als ich Kind war und Krieg herrschte, bin ich bei Fliegeralarm auch vor die Tür gegangen!“
„Nein!“, rief ich entsetzt, „du musst oben bleiben. Das hat sogar die Bundeskanzlerin gesagt!“
„Ich sehe doch, dass du nicht krank bist!“ entgegnete sie. „Ich hab´s dir immer angesehen, wenn du krank warst!“
„Beim Fliegeralarm konnte man die Flugzeuge sehen, das Virus sieht man aber nicht! Außerdem müssen wir die exponentielle Robert-Koch-Kurve abflachen!“
„Aber nicht an meinem 80. Geburtstag! Komm mir da nicht mit so einer Robert-Koch-Kurve! Ich komme jetzt runter!“
So sind die Frauen meiner Risikogruppe. Wir sind uns früher bestimmt mal auf einer 68er Demo begegnet. Heute halten wir beide das Fähnlein der Alten aufrecht, die andere am liebsten einsperren würden. Darin hat dieses Land ja Erfahrung.
Bartleby musste neulich die Polizei rufen. Richtig gehört: die Polizei. Und das kam so: Der Rentner machte wie immer seinen abendlichen Kontrollgang auf dem Balkon, um zu sehen, ob sich in seinem Kiez alle an die Regeln halten. Und was sehen seine müden Augen da unten auf der Straße? Vor dem Nebenhaus ist ein Bauzaun auf einer Länge von 20 Metern auf die Straße gestürzt und liegt flach auf dem Pflaster, Autos umkurven das Hindernis vorsichtig, aber fahren einfach weiter. Bartleby stellt sich vor, was da alles passieren kann. Zum Beispiel könnte eine hübsche junge Frau mit ihrem Fahrrad über den Zaun stürzen und sich verletzen. Dann würde er sie natürlich sofort in seine Wohnung tragen und ihre Schrammen am Knie und alles andere auch versorgen.
Aber soweit sich Bartleby auch über die Balkonbrüstung beugt: weit und breit keine hübsche Radfahrerin. Nur alte Damen mit Rollator und Hündchen. Es kommt zum 68er Gau: Er muss die Polizei anrufen! Ein paar Minuten später hält eine Wanne und ihr entsteigen fünf durchtrainierte junge Männer. Sie richten den Zaun wieder auf und verstärken ihn mit Kabelbindern. Der Zugführer dankt dem alten Mann auf seinem Balkon und winkt zum Abschied. Gut, dass das keiner von seinen alten Kumpels von damals gesehen hat. Auf den Schreck braucht Bartleby aber erstmal einen doppelten Jack Daniels.
Im Tiergarten darfst du jetzt nicht mehr auf einer Bank sitzen und ein Buch lesen. Die älteren jüdischen Mitbürger werden sich erinnern, dass es so ein Verbot schon einmal im sog. Dritten Reich gegeben hat. Damals aber nur für sie. Und in den Zoo durften sie damals auch nicht. Wie schön, dass jetzt die arischen Berliner auch einmal erleben dürfen wie das damals war. Corona machts möglich.
Gibt es nicht auch Hoffnung in dieser Krise? Gibt es. Bartleby hat neulich gelesen, dass ein kluger Mann festgestellt hat: Die Summe der Intelligenz auf dem Planeten ist eine Konstante. Aber die Bevölkerung wächst. Das hört sich nicht gut an. Aber im Umkehrschluss heißt das: Wenn sie wie in Zeiten von Corona sinkt, muss das dann wirklich ein Drama sein? Ich weiß, so zu denken wie Bartleby ist nicht jedermanns Sache. Deswegen bewegt sich sein Freundeskreis auch immer in engem Rahmen.
Wenn du auf Corona getestet wirst und das Ergebnis ist negativ, schlagen dir alle auf die Schulter. Aber Bartleby hat mit dem Begriff „negativ“ so seine Probleme. Der hängt ihm schon seit seiner Jugend an. Immer wieder wurde er von seiner Umwelt kritisiert: „Sei nicht so negativ!“. Selbst sein kleiner Bruder, den er im Krankenhaus besuchte, bevor er mit 32 Jahren starb, gab ihm noch eine letzte Mahnung mit auf den Weg: „Sag nicht immer nur NEIN“. Bartleby hat lange darüber nachgedacht und sich dann für eine sanfte Variante des NEIN entschieden: „Ich möchte lieber nicht.“ Ich glaube, mein Bruder hätte das noch durchgehen lassen.
„Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen!“ So musste es Bartleby im Konfirmations-unterricht lernen. Heute ist er ja, wie ihr wisst, bekennender Atheist. Aber jetzt muss er doch mal eine Lanze für die Gläubigen in unserem christlichen Abendland brechen. Wegen Corona Gottesdienste zu verbieten, geht gar nicht. Wie kann man Menschen verbieten, ihrem lieben Gott dafür zu danken, dass er ihnen einen Virus geschickt hat, der ihre Eltern und Großeltern dahinrafft? Also öffnet die Türen der Kirchen. Das gilt ab sofort, unverzüglich! Ich möchte den lauten Lobgesang hören und nicht immer nur die kleinen Konzerte von Kreuzberger Balkonen.
Jetzt haltet euch fest! Bartleby steht neulich morgens an der Kasse bei EDEKA. Mit Maske, Handschuhen und allem Pipapo. Da fällt ihm auf, dass er immer noch seinen Schlafanzug und Latschen anhat. Ist das peinlich! Ist das jetzt schon Demenz? Aber die hübsche Verkäuferin lächelt ihm verführerisch zu. In dem Moment wacht er auf. Es war nur ein Traum. Gottseidank. Aber mal ehrlich: Wer von euch hat das Bartleby zugetraut?
Bartleby war schon immer ein Fan von Otto Waalkes und Ostfriesenwitzen. So etwas gibt es jetzt auch in Amerika: „US-Bürger kaufen verstärkt Glühbirnen aus Angst vor Stromausfall.“ Trump gefällt das. Endlich mal keine Fake News. Ihr lacht, aber was machen die Deutschen mit Klopapier?
Zum Schluss noch etwas ohne Corona. Bartleby musste neulich lachen. Doch, das kommt vor. Es ging um Hundenamen. Nicht um Waldi oder Hasso. Ein Hertha-Fan ruft seinen Köter immer „Elfmeter!“, Dann steht der sofort auf dem Punkt. Ein Berliner aus Mitte ruft seine Töle immer mit einem lauten „Alexander Platz!“ zur Ordnung. Soll aber nicht nur dort funktionieren.
Alexa, aber heute darf ich doch mal über was Politisches schreiben, bitte!
Vergiss es, BILD schreibt doch schon ständig über ihren Söder.
Nein, mir geht es um etwas Ernstes.
Was ist denn mit dir passiert?
Alexa, du weißt doch, dass Deutschland bis zu 2 % seines Bruttoinlandprodukts für die Rüstung ausgeben soll?
Weiß ich. Na und?
Wäre es nicht sinnvoller angesichts von Corona, wir würden statt dessen die 2% für eine Grundversorgung in Gesundheit und Pflege ausgeben?
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Hallo Alexa! Bist du noch da?