Kennt einer von euch Mely Kiyak? Ich sehe da nur wenige Hände hochgehen. Schämt euch! Mely Kiyak ist nicht nur hübsch, sondern auch eine der geistreichsten Kolumnistinnen im deutschen Blätterwald (Die Zeit). Glaubt ihr nicht? Dann lest einmal, warum sie versteht, dass ausgerechnet einer wie Bartleby sich in dieser Corona-Krise so gelassen bewegt:
„Wer beispielsweise schon einmal Krebs hatte oder eine andere sehr komplizierte und hartnäckige Krankheit, die längst zu den besiegten oder, sagen wir, zu Ende erforschten Feldern gehört, wer sich also in einem zermürbendem Behandlungszyklus bewegte, ist für jeglichen Ausnahmezustand anders gewappnet. Denn nichts unterbricht die Freiheit so sehr wie Krankheit. Wer durch die dunklen Stunden ging, der wird unter dem Begriff Ausnahme und Stillstand des Alltags noch andere Dinge assoziieren. Für den ist diese Corona-Zeit ein weiterer Ausnahmezustand in einer Reihe von Zuständen.“
Macht euch also keine große Sorgen um den alten Mann. Er gehörte schon als Kriegskind zu einer Risikogruppe, dann als Krebspatient in der Charité und jetzt halt wieder wegen Corona. Wird man so zum Stoiker? So einfach ist das nicht. Aber wenn ihr euch vielleicht mal mit Epiktet befasst, ein Philosoph zu Neros Zeiten. „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Urteile und Meinungen über sie.“ Oder in Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“ lesen. Corona verschwindet damit nicht, aber seine Gedanken können wie eine Schutzmaske für die Seele wirken und zur nötigen Gelassenheit führen. Oh Gott, habe ich jetzt wirklich „Seele“ gesagt? Bartleby ist auch nicht mehr der, der er einmal war.
Selbst Josef Hader stellt sich um in der Krise: „Ich bin jetzt ethischer Vegetarier. Ich esse nur Tiere, die nicht schreien, wenn man sie umbringt.“ Aber jeden Tag Fisch? Das wäre nix für Bartleby. Ab und zu ein Dutzend Austern müssten es schon sein. Natürlich mit Champagner. Wenn schon degeneriert, dann aber richtig.
Ihr kennt doch alle Frank Castorf von der Volksbühne? Er ist ja schon lange mein Bruder im Geiste: „Ich möchte mir von Frau Merkel nicht mit einem weinerlichen Gesicht sagen lassen, dass ich mir die Hände waschen muss. Das beleidigt meine bürgerliche Erziehung.“ Dafür hätte ich ihn küssen können, aber wie sollte das mit Maske gehen? Dazu Theodor Fontane: „Wer nicht weiß, dass er eine Maske trägt, trägt sie am vollkommensten.“
Als man es noch durfte, ging Bartleby mit seiner Herzdame hin und wieder in einem Restaurant essen. Dann kam irgendwann der Moment, an dem ihn sein Urologe daran erinnerte, die örtliche Keramik-Abteilung aufzusuchen. Soweit so gut. Aber der Rückweg an den Tisch war dann immer eine Art Spießrutenlaufen. Was die schöne Frau am Tisch hinter ihrem Lächeln verbarg, war ihre Merkelsche Frage: Hat der Typ sich nun auf dem Klo die Hände gewaschen oder nicht wie die meisten Männer? Doch, hat er. Oder zweifelt hier irgendjemand daran, dass Bartleby nicht bürgerlich erzogen wurde? Leute, wenn ihr dabei gewesen wärt, bürgerlich ist dafür gar kein Ausdruck!
Bartleby beschäftigt sich jetzt viel mit seinen Erinnerungen an das Kriegsende. Witzig war da nichts. Aber immerhin, der Berliner Verleger Curt Cowall hat in seinen Tagebüchern ein Ereignis festgehalten: Als ich an einer Villa vorbeikomme, schreibt er, höre ich einen Tiefflieger und schon bellte das MG viermal scharf auf: Tacktack, Tacktack! – Ich bleibe unter einem Baum vor dem Haus stehen, um Deckung zu haben, da öffnet sich die Haustür, und eine ältere Dame sieht mich an und fragt „Verzeihung, haben Sie bei uns geklopft?!!!“ Welch ein Glück, wenn man schlecht hört! 23. April 1945.
Jetzt sind sie wieder da, meine Mauersegler, pünktlich wie die Maurer. Fritz Sandrock hat sie wie jedes Jahr aus seinem Andalusien auf die Reise geschickt. Stellt euch einfach vor, wie Bartleby jetzt wieder mit Tapas und einem Rosé auf dem Balkon sitzt und den eleganten Fliegern bei ihren Kunststücken zuschaut. Wenn sie dann in der Nacht verschwinden, kommen die Fledermäuse und der liebestolle Fuchs schaut, ob das Eichhörnchen ihm ein paar Erdnüsse unter der Motorhaube seines Autos übrig gelassen hat. Zur Erinnerung: Bartleby lebt nicht in einem Naturschutzgebiet, sondern in Berlin-Mitte, zehn Minuten vom Kudamm oder Schloss Bellevue entfernt.
Ihr erinnert euch: letztes Jahr hatte ich berichtet, dass Berlin die Hauptstadt der Nachtigallen ist. Jedes Jahr ziehen etwa 3.000 Nachtigallen vor allem aus England nach Berlin. Erst waren es die Schwaben in Prenzlauer Berg, jetzt sind es die sangesfreudigen Vögel in den Berliner Parks. Bartleby wohnt ja am Rande des Tiergartens. Er kann also, wenn er will, bei offenem Fenster die ganze Nacht den Gesängen lauschen. Bis ihn im Morgengrauen das nervige Gurren der Tauben den Schlaf raubt. Aber wer sich in Berlin an der Natur stört, kann ja aufs Land ziehen.
Tipp für alle, die tatsächlich noch nicht die wunderbare Serie „Warten aufn Bus“ in der RBB-Mediathek gesehen haben: Samuel Beckets „Warten auf Godot“ auf Brandenburgisch, mit Wladimir und Estragon an einer Bushaltestelle in der Walachei weit weg von Potsdam. Ein Einblick in nie geahnte Brandenburgische Philosophie: „Man macht sich durch die Eigenschaften, die man hat, nicht so lächerlich wie durch die Eigenschaften, die man haben möchte.“ Denkt drüber nach.
Aus gegebenem Anlass hat Bartleby mal wieder in seinen alten Mietvertrag von 1967 geschaut. Erstaunlich: Blumen auf dem Balkon hatte der Vermieter untersagt. Haustiere auch. Unsere Katzen haben sich totgelacht. Statt der Blumen auf dem Balkon haben wir Haschisch zwischen den Doppelfenstern angebaut. Gut, das waren die 68er. Würde er heute nicht mehr machen. Aber warum eigentlich nicht? Den Mietvertrag bekamen wir nur, weil wir uns verpflichten mussten, in Kürze zu heiraten. Aber wozu war man damals nicht alles bereit, eine tolle Wohnung zu bekommen? Ganz nebenbei: der Mietvertrag hielt länger als der Ehevertrag.
Habt ihr einen Familienpfiff? Dieses Wort hatte ich seit Jahrzehnten nicht mehr gehört, aber jetzt wieder im Radio. Doch unsere engere und erweiterte Familie hatte auch so einen Pfiff. Ich weiß sogar noch, wie er geht: Fü-fa-tü-tü oder so ähnlich. Wer von uns in einer Menge diesen Pfiff hörte, wusste, er muss sofort bei Fuß sein wie ein richtiger Hund. Sowas kennen die Kids heute gar nicht mehr; sie haben dafür ja ihre Smartphones.
Bartleby, was ist los, kein Witz heute? – Ich glaube, das passt jetzt nicht. – Überlass das mal uns, die Kinder schlafen schon. – Na gut, ausnahmsweise. Der geht so: „Sag mal, wenn ich mal tot bin, würdest du dann noch einmal mit einer anderen Frau schlafen? – Ja, aber dafür musste doch nicht tot sein.“ Ihr habt es so gewollt.
Alexa, darf ich heute endlich doch mal über was Politisches schreiben? Bitte!
Vergiss es!
Auch nicht über die BILD-Zeitung?
Was soll denn an der politisch sein?
Seit Monaten schreibt sie den Söder zum Führer eines grossbayerischen Reiches hoch.
München war und ist nunmal die „Hauptstadt der Bewegung“.
Alexa, bist du sicher, dass der einfache BILD-Leser merkt, was da vorbereitet wird?
Wenn er es merkt, wäre das schlecht gemacht. Das muss ich dir mit deinen paar Semestern Publizistik doch nicht erklären.
Also gibt’s bald wieder einen neuen „Völkischen Beobachter“? Aber was wird dann aus „BILD“?
Ganz einfach. Nennt sich dann um in „Bayerischer Beobachter“.
Das Lesen des blogs hat nämliche Freude bereitet – und Wahrheiten in ihrer ernüchternden Banalität ausgesprochen – wie -> der Mietvertrag hielt länger als der Ehevertrag …