Wer Bartleby kennt, weiß, dass er nicht schon immer der „grumpy old man“ war wie heute. Er wurde von Mutter und Oma zu einem braven Jungen erzogen („Das macht man nicht!“). Deswegen befolgt er jetzt auch alle Maßnahmen zur Corona-Pandemie ohne Murren. Lenin hat sich ja damals über die Deutschen lustig gemacht: sie würden nicht zur Revolution fahren, ohne vorher eine Bahnsteigkarte zu lösen. Was würde er heute über sie sagen? Vermutlich, dass sie selbst zur Revolution nicht ohne Mund-Nase-Maske gehen würden.
Jetzt droht wieder eine viel zu lange Talkshow-Sommerpause. Bartleby ist ja ein großer Fan von Politik-Talkshows mit den Maischbergers, Wills, Illners und Fakten-Check-Papst Plasberg als Quotenmann. Aber nicht so, wie ihr vermutet. Als ehemaliger Rhetorik-Trainer interessiert er sich vor allem dafür, wie sich die Gäste schlagen. Wie argumentieren sie, wie reagieren sie auf Angriffe und wie hoch ist ihr Anteil an Politikfloskeln? Dafür gibt es Noten: „Christian Lindner, deine Versetzung ist stark gefährdet.“ Wenn wegen Corona mal keine Dampfplauderer kommen sollten, ARD und ZDF, ruft mich an. Ich schreibe euch nullkommanix ein Drehbuch mit allem, was für diese Gäste typisch ist. Ihr würdet es nicht von einer echten Talkshow unterscheiden können. Zum Beispiel zum Thema: „Funktioniert Politik genauso wie sich der kleine Moritz das vorstellt?“
Wenn Bartleby einmal bei Markus Lanz landen sollte – was Gott bewahre – und der ihn mit dem berühmten Stirnrunzeln fragen würde, was seine peinlichsten Momente im Leben waren, fiele ihm sofort die Berliner Feuerwehr ein. Das erste Mal ist noch nicht so lange her, Beim Frühstückslesen in seiner Zeitung hatte er nicht dran gedacht, dass auf dem Herd noch ein Ei verkohlte. Die Nachbarn verfolgten den Einsatz interessiert von ihren Balkonen.
Das 2. Mal passierte vor kurzem. Bartleby besitzt zwar einen Hausnotruf vom DRK. Doch manchmal vergisst er, ihn zu aktivieren. Dann wird er angerufen. Das hört er und drückt den Knopf. Normalerweise. Diesmal hörte er weder den Anruf vom DRK noch den von seinem Sohn auf Festnetz und Handy. Das muss ein außergewöhnlicher Tiefschlaf oder eine Nahtod-Erfahrung gewesen sein. Bartleby wird um 2 Uhr nachts von einem lauten Hämmern an seine Wohnungstür geweckt. Er schlurft wie Big Lebowski im Bademantel verschlafen zur Tür: „Wasn los hier?“ Feuerwehr und Notarzt checken, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Hat er, aber einige haben wohl schon einen Sprung. Nach einigen aufmunternden Worten ziehen sich die Männer wieder zurück. Sie wissen, das wird in dieser Nacht nicht der einzige alte Trottel bleiben. Wahrscheinlich freuen sie sich schon auf einen Einsatz, bei dem es endlich mal wieder richtig brennt und knallt. Auf nach Kreuzberg!
Bartleby, warum erzählst du uns so einen Quatsch? Weil das zu den Highlights im Alter gehört. Die ersten Äpfel klauen in Nachbars Garten, der erste Sex und der erste Verkehrsunfall sind schon sehr lange her. Was jetzt noch den Alltag auflockert, sind solche Dates mit der Feuerwehr oder der Polizei. Das letzte Date dieser Art wird dann das mit dem Bestatter sein. Bestimmt eine ziemlich einseitige Angelegenheit.
Bartleby weiß zwar, was ein freiwilliges soziales Jahr bedeutet, konnte sich als junger Mann aber nicht so richtig dafür begeistern. Wenn ihr so wollt, hat er das später als Seminar-Guru in der Ex-DDR nachgeholt. Nicht nur ein Jahr lang, sondern acht. Wenn er dürfte, würde er noch heute die Frauen zwischen Ostsee und Erzgebirge in die Abgründe des real existierenden Kapitalismus einweihen. (An dieser Stelle ein Nachruf auf Renate Krössner. Sie hat mich damals in „Solo Sunny“ umgehauen. In jedem meiner Seminare habe ich nach einer zweiten Sunny Ausschau gehalten. Bartleby, ein hoffnungsloser Romantiker.)
Richard David Precht, dieser Name wird nicht alle von euch aus dem Sessel reißen. Ein Philosoph, was soll der mir schon zu sagen haben? Er ist auch ein 68er wie Bartleby, aber einer, aus dem wirklich was geworden ist. Bücher über Bücher und kluge dazu. Und jetzt sein Vorschlag zur Diskussion um das freiwillige soziale Jahr: Nicht nur eins, sagt er, sondern zwei sollten es sein! Eins zu Beginn und eins am Ende des Berufslebens. Zu Beginn sind wir noch voller Elan, Empathie und wollen die Welt verändern. Die ganze Welt. Am Ende unseres Berufslebens stellen wir fest, dass wir das nicht erreicht haben. Aber statt zu resignieren, geben wir unser Wissen und unsere Erfahrung an die nächste Generation weiter. Das wäre das zweite Jahr. (Grüße an Milan und alle NGOs.)
Wovor Bartleby dagegen graust, ist ein drittes unfreiwilliges soziales Jahr für ihn im Altersheim. Volkslieder singen, Ringelpiez mit anfassen und Mensch ärgere dich nicht spielen würden sein Ende mit Sicherheit beschleunigen. Corona wird er noch überstehen, aber gegen diese Herausforderungen besitzt er schon heute keine Abwehrkräfte mehr.
Bartleby treibt sich selbst in den entlegensten Ecken des Internets rum. Da entdeckt er neulich ein Foto aus Indonesien: Ein junger Mann wird ausgepeitscht, weil er Sex vor der Ehe hatte. Nicht ungewöhnlich im Islam. Verwunderlich nur, dass alle Beteiligten den Mund-Nase-Schutz trugen. Auch der Abstand wurde gewahrt, die Peitsche war ja lang genug. Da hat Jesus damals aber Glück gehabt, dass es noch keine Corona gab und er kein Moslem war. Stellt euch vor, Gottes Sohn am Kreuz mit Mund-Nase-Maske. Die Jungs von Monty Python ärgern sich gerade, dass ihnen dieser Gag nicht für „Das Leben des Brian“ eingefallen ist. Bartleby entschuldigt sich bei allen von euch, die immer noch tapfer am Sonntag in die Kirche gehen. Aber ihr seht: Bartleby und Mohammed werden wohl keine Freunde mehr.
Was ist denn los heute, Bartleby, nichts aus Berlin? Moment, doch hier: Landgericht Berlin: Verhandlung geht hoch her, alle reden durcheinander. Die Richterin geht dazwischen: „Bitte hören Sie auf zu schreien. Ich habe zwei kleine Kinder, die sind seit 72 Tagen zu Hause und schreien.“ Sofort setzt Stille ein. DAS kann jeder nachvollziehen.
In Sex and the City sagt Sarah Jessica Parker, N.Y.: „Wenn du jemanden brauchst, der den Müll runterträgt, heirate.“ In Neukölln machen sie das Fenster auf – und raus damit. (Sorry Elke).
A propos heiraten: Wer in diesen Zeiten in Berlin heiratet, bekommt von der Stadt ein besonderes Geschenk: Im Standesamt sind nur die Eheleute und die beiden Trauzeugen erlaubt. Die Schwiegereltern werden ausgeladen. Das trifft nicht bei allen Brautpaaren auf großes Bedauern. Bei Bartlebys Heirat 1967 in NRW gab es zwar keine Pandemie, aber einen erzkonservativen Standesbeamten, der anstelle dem jungen Paar Glück zu wünschen, es sich nicht verkneifen konnte, lang und breit zu erklären, dass eine Ehescheidung für uns „ein langer und teurer Prozess“ sein werde. Da hatte sich der gute Mann aber gründlich getäuscht. Woher sollte er auch wissen, dass in der Scheidungshauptstadt Berlin so etwas eine Sache von Minuten sein kann?
Einer geht noch. Gerade frisch reingekommen vom Tagesspiegel-Checkpoint (sehr zu empfehlen). CDU zur Verkehrswende: „Berliner Pendler: Täglich 320 000 Mal rein und raus. Und kein bisschen Spaß beim Verkehr.“ Kommentar der Pressesprecherin der Berliner Grünen: „Wer meint, dass Rein und Raus beim Sex normalerweise Spaß bringt, muss sich dann auch nicht über den Mangel an Frauen in der Berliner CDU wundern.“ Bartleby versucht, sich an rare Momente in seinem Schlafzimmer zu erinnern. Sagen wir mal so: die CDU hat davon nicht viel profitiert..
Alexa, darf ich heute was Politisches schreiben?
Vergiss es!
Auch nicht zu Bazooka und WUMMS?
Auch nicht! Das ist doch typisch: Die Jungen müssen wegen Corona später die Lasten tragen.
So wie wir damals als Junge nach dem Scheißkrieg unserer Eltern die Lasten tragen mussten?
Sei doch froh, dass du zu spät für den Krieg geboren wurdest.
Bin ich. Und als Ausgleich dafür soll ich jetzt wohl froh sein, dass ich noch kurz vor der Klimakatastrophe sterben darf?
Ist ja gut, Mann. Habe ich verstanden. Das nächste Mal vielleicht doch lieber was Politisches.
Auch ich habe in meinem Leben gern laut und oft gegen alles und jeden opponiert. Zumal mein alter Herr Offizier war und ich für Ihn oft seinen „Burschen“darstellte: Schuhe putzen-. Mussten glänzen wie „Hundsbeitel“. Ich laufe noch heute mit schlecht geputzten Schuhen rum. Von der elterlichen Strenge befreite mich die höhere Lehranstalt FWS durch die Empfehlung :“ Er ist für die Oberstufe in unserem Hause wegen seines Charakters , Aufsässigkeit, Faulheit und vorlautem Wesen nicht geeignet“. Da mein Taschengeld eh nie ausreichte, wählte ich einen Bauberuf. Das tat mir gut. Ich konnte am Aufbau unseres Landes , das die Generation unserer Eltern gründlich ruiniert hatten , kräftig mitwirken. Erst handwerklich, später mit Planung und Berechnung vieler Häuser, Labors und Teilen von Atomreaktoren. Nebenbei plante und errichtete ich mir noch zwei Häuser. Mir tut noch heute jedes Gelehk weh. Als dies alles mir langweilig wurde, setzte ich mich nochmals auf eine Uni,was mir einen Heidenspaß machte. Mein freches Maul konnte ich ebenfalls, diesmal ungestraft, betätigen. Weil ich glaubte, mit jungen Leuten besser umgehen zu können als meine früheren Lehrer, ging ich an eine Berufsschule. Man nannte mich „Geier“ weil ich Klassenarbeiten stets auf dem Lehrerpult sitzend beaufsichtigte. Wer schummelte, flog raus. Folglich musste ich weniger korrigieren, kam abergut mit meinen Schülern aus. Auch habe ich bei Gesellenprüfungen manchem armen Teufel durch die Prüfung geholfen.Er wäre durch Wiederholung in einem halben Jahr auch nicht schlauer geworden, konnte aber inzwischen gutes Geld verdienen.Ich werde heute noch von ehemaligen Schülern gegrüßt. Ich hatte in der Schulmethodik aber einige gute Vorbilder an der FWS. Überhaupt dämmerte mir , dass nicht alle dort so schlecht waren wie ich anfangs glaubte. Es gab humorvolle, engaschierte, gebildete und menschliche, auch komische Lehrer und ein paar alte Nazies. Von allen habe ich etwas übernommen.Natürlich nicht von den Nazies. Mein Geschichts- und Sozialkundeunterricht in der FO, im Telekolleg und anderen Klassen hat vielen Spaß gemacht. In Technischen Fächern konnte in Theorie und Praxis mithalten. Ich hatte ja eine abgeschlossene Lehre. Meine Konferenzen waren kurz und sehr nüchtern. Dies gefiel zwar meinem Oberstudiendir. nicht so, er brauchte mich aber. Insgesamt habe ich mein freches Maul auch im Schuldienst behalten, konnte es mir nach dem Weg durch die Instanzen aber manchmal leisten. Dennoch, schlechte Erfahrunge haben mich gelehrt, nicht zu übertreiben. ( Eingedenk der Beurteilung der FWS nach der UII)
Was meine Haltung zu Nazies betrifft, war ich in meiner Familie der erste Antifaschist: Als die HJ am Haus vorbeimaschierte und ich gefragt wurde, ob ich nicht auch so eine schöne große Trommel tragen wolle, erklärte ich , dass ich ums Verrecken mit solchen Krachmachern nichts zu tun haben wolle. Da war ich vier Jahre alt. Und Krachmacher, gleich welcher Couleur, sind mir auch heute noch zuwider.
Hallo Bartleby,
ich merke, ich bin schon zum Bartleby-Fan geworden. jedenfalls habe ich nach dem letzten Blog schon paarmal geguckt, bevor er erschienen ist. Gleich wollte ich was zum Stichwort Altersheim schreiben, aber dann kam mir die spannende Geschichte dazwischen, wie sich meine Eltern beim „Reichsarbeitertag“ 1929 in Karlsbad fanden. Dazu gibt es einen gut geschriebenen Artikel im Internet und sogar einen (Stumm-) Film im Prager Nationalarchiv. Ich staune, wie ich mich jetzt für Familiengeschichte interessiere. Es geht wohl langsam dem Ende zu – oder dem Anfang ?
Jetzt zum Altersheim: die Vorstellung, ins Altersheim zu kommen und dort sein zu müssen, ist für mich auch ein unvorstellbarer Graus. Mein Vater musste mit Ende 80 ins Altersheim, dement und aggressiv gegen seine Frau, wenn er nicht seinen Willen bekam. Zu Hause ging es nicht mehr. Im Heim fühlte er sich anscheinend ganz wohl. Jedenfalls habe ich ihn so in einer Situation ein Erinnerung, die aber für mich ganz schrecklich war: die junge Pflegerin wechselte – in unserer Gegenwart!! – gerade seine Windel. Er lag untenherum nackt im Bett, spielte mit seinem Penis und lachte die Pflegerin an. Ich fand das so peinlich und würdelos – meinen Vater, meine Respektsperson, so erleben zu müssen. Aber er fühlte sich mit der jungen Frau offensichtlich sehr wohl dabei. Natürlich kannst du jetzt sagen, was willst du, es ging ihm doch sehr gut. Es ist nur dein Problem. Mag sein, aber ich fand die Situation ganz schrecklich. Aber was ist die Alternative? Haben wir es noch selbst in der Hand, dass es nicht zu sowas kommt?
Nichts für ungut!
Gruß Helmut