Wodka +++ Mauersegler +++ mediterrane Nacht +++ Eigentumswohnung +++ Hannes Wader +++ Teppichklopfer +++ Bolzplatz +++ Watzmann +++ Ganghofer +++ Aix en Provence +++ Alexa

Ihr müsst jetzt alle sehr tapfer sein. Stellt euch vor, wie Bartleby gerade in seinem Zimmer sitzt, wegen der Hitze nur mit einer Unterhose (frisch!) bekleidet und vor sich einen großen Teller mit Heringssalat und einer Flasche Wodka. Vor Jahren, als er noch jung und hübsch war (doch, doch!) war er einmal bei einem Bekannten mit Russland-Erfahrungen zu einer Fete eingeladen. Der Gastgeber gab ihm einen guten Rat mit für den Abend und für das Leben: „Wenn du reichlich Heringssalat isst und immer wieder nichts als Wodka dazu trinkst, egal wie viele, bleibst du fit bis zum Schluss.“ Was soll ich euch sagen, er hatte Recht. Der Abend endete für Bartleby nach reichlich Wodka im Fitness-Studio der Villa. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trügt, reichte es dort noch für eine flotte Petersburger Schlittenfahrt mit mit einer schönen Russin, wenn ihr versteht, was ich meine. Heute also wieder Heringssalat und Wodka, diesmal nur ohne Russin.    

Sommerabend auf dem Balkon. Die letzten beiden Mauersegler drehen ihre Runden über meiner Straße. Morgen sind sie weg. Genderkorrekt sind es natürlich zwei Seglerinnen. Woher ich das weiß? Bartleby hat sich in den letzten 20 Jahren auf seinem Balkon zu einem respektablen Hobby-Ornithologen gebildet. Also bei den Mauersegler*Innen ist das so: Jedes Jahr tauchen sie pünktlich am 4. Mai in Berlin auf. Und was wollen sie hier? Was all die westdeutschen Wehrdienstverweigerer und schwäbischen Pfarrerstöchter schon immer hier wollten: Sex, Sex und nochmal Sex und den sogar beim Fliegen. Kann ich verstehen, aber einer wie Bartleby würde dafür nie und nimmer die Strapazen einer dreimonatigen Reise auf sich nehmen. 

Nachdem die Männchen ihrer Pflicht nachgekommen sind und die Weibchen die Aufzucht der Gören beendet haben, geht es pünktlich Anfang August wieder zurück in den Süden. Auch die Rückreise dauert drei Monate. Als Erste hauen die Männchen ab, typisch. Dann die Kids mit ihrer Party-Community. Als Letzte dann die Mütter. Sie dürfen noch ein paar Tage länger bleiben, um sich von den Mühen der Aufzucht zu erholen. Endlich ist der Alte weg, die Kinder sind aus dem Haus, jetzt machen wir erst einmal Mädelstag!

Die Wetterfrösche haben gerade eine Phase mit tropischen Temperaturen vorhergesagt. Das heißt für Bartleby: Maske auf und mit Hackenporsche rein in EDEKA. Andere plündern Nudeln und Klopapier, Bartleby plündert Rosé, Retsina und Ouzo. Dann noch Tapas, Garnelen, Schnecken, Zaziki, Schafskäse, Oliven und Sardinen. Habe ich was vergessen? Ach so, die Lampions und die Lichterkette. Habe aber noch welche vom Vorjahr. Die neuen Nachbarn von gegenüber werden Augen machen. So eine mediterrane Nacht kennen die nur an die Kehrwoche gewöhnten nicht von der Schwäbischen Alb.

Balkon Lampe

Dieses Idyll auf meinem Balkon könnte aber bald ein Ende haben. Vor ein paar Tagen hat eine Firma mit Digitalkameras meine Wohnung genau vermessen. Vor allem Türen und Fenster. Heißt das, dass aus meiner Traumwohnung bald eine Eigentumswohnung werden soll? Rhetorische Frage. Mein Nachbarhaus wird gerade umgebaut. Die langjährigen Mieter rausgeworfen. Ihre Wohnungen, nur halb so groß wie meine, stehen im Internet für 700.000 Euro. Da würde meine (170 qm) wohl locker über eine Million bringen. Interesse?

Bartleby gehört ja nicht zu den orthodoxen Lesern, die mit einem Buch auf Seite 1 anfangen und erst auf der letzten Seite aufhören. Vor einiger Zeit habe ich immer wieder mal in Hannes Waders Biografie „Trotz alledem. Mein Leben“ geblättert. Jetzt bin ich in dem Kapitel hängengeblieben, in dem er sich an seine Kindheit erinnert. Er hat wie ich noch die letzten Kriegsjahre und die Zeit danach erlebt. Für Jungs wie ihn und mich eine Zeit des sich allein Fühlens und voller Melancholie. Wie ich versuchte er, die fehlende Zuwendung noch lange mit Daumen lutschen zu kompensieren. Aber immer nur mit dem rechten Daumen. Außerdem waren wir beide wie viele Kriegskinder Bettnässer. Er hatte Glück, dass seine Mutter eine Gummidecke ins Bett legte. 

Der junge Bartleby hatte weniger Glück. Sein Vater hing zur Warnung einen Teppichklopfer über die Tür zum Kinderzimmer. Wenn es dann trotzdem passierte, gab es abends immer Dresche mit dem Klopfer. Hose runter, übers Knie und dann kräftig auf den nackten Hintern. Immer mein Vater, nie meine Mutter. Dann ab ins Bett und Beten. Immer mit Mutter, nie mit Vater. Ich weiß nicht, stand da irgendwo in „Mein Kampf“ der Satz „Deutsche Mütter schlagen nicht, sie lassen schlagen“? Müsste ich nochmal nachschlagen. Achtung: Wortwitz! 

Meine Eltern mochten mich trotzdem, aber sie waren einfach pädagogische Analphabeten. Meine Mutter blieb es, auch als unser Sohn in einen antiautoritären Kinderladen kam. Sie hat ihn einmal eingeladen, sie zu besuchen und dann nie wieder. In unserer Wohnung gab es mehrere Teppiche, Alles Geschenke von Mutter. Nur einen Teppichklopfer hat sie uns nie geschenkt.

Vor kurzem habe ich wieder den Kontakt zu meinem gleichaltrigen Cousin in Berchtesgaden aufgenommen. Wir sind beide dort konfirmiert worden, dann musste ich meinem Vater nach Eschwege folgen. Für den jungen Bartleby eine Katastrophe. Aber da half kein flehendes „Ich möchte lieber nicht“. Unser Bolzplatz vor der Haustür war der Mittelpunkt unseres Lebens. Unvergessen: Nach dem 3:2 gegen Ungarn 1954 in Bern stürmten die Jungs aus allen Häusern auf den Platz und jeder wollte Helmut Rahn sein. Nach dem damals üblichen tip-top der beiden Mannschaftskapitäne blieb für mich leider wie immer nur der Platz im Tor übrig. Nicht schlimm, denn mein Idol war sowieso „Toni“ Zuhra, der Torwart vom TSV Berchtesgaden. Er war Porzellanmaler in der Außenstelle der Königl. Porzellan Manufaktur Berlin (KPM). Von ihm besitze ich heute noch eine ganze Reihe wunderbar bemalter Teller, die ich hüte wie einen Schatz. Mutter hatte schon damals ein Auge für schöne Dinge.

Nachdem ich im Internet nach dem Einwohnermeldeamt Berchtesgade gesucht hatte, wurde ich bei Youtube mit Videos vom Berchtesgadener Land überschwemmt. Eins war dabei, in dem zwei Männer mit einem 12 oder 13jährigen Jungen auf den Watzmann (2713 m) steigen. Auf dem Hocheck wird er gefragr, wie er sich fühle. Antwort: „Ich bin fix und alle“. Das hat mich an meine eigene Besteigung des Watzmanns im gleichen Alter erinnert. Ein Bekannter meines Vaters ist mit mir und meinem Kumpel Peter auf den ersten Gipfel gekraxelt. Mittel- und Südspitze hat er uns beiden erspart. War eine gute Entscheidung.

„Wen Gott lieb hat, den lässt er fallen ins Berchtesgadener Land“ lautet der Spruch von Ludwig Ganghofer im Bahnhof von Berchtesgaden. Heute bin ich ja eher ein militanter Atheist. Da muss dem lieben Gott damals wohl ein Versehen passiert sein. Ein zweites Mal wird ihm das mit mir sicher nicht passieren. Aber Berge haben wir in Berlin ja auch, z. B. Kreuzberg, Prenzlauer Berg. Berghain zählt nicht. Schade.

Zum Schluss noch etwas Lokalkolorit. Corona verändert vieles. Dank sauberer Luft soll man von Berlin aus wieder die Alpen sehen, hat jemand behauptet. Und wie es in einem Tweet an einem lauen Sommerabend heißt: Am Stadtrand zirpen die Grillen. Oder wie der Berliner sagt: „Siehste, wat muss ick nach Ex ong Provongs fahren? Muss ick nich!“

Alexa, heute darf ich aber über etwas Politisches schreiben.

Vergiss es!

Aber als Rassist darf ich doch, oder?

Verstehe ich nicht.

Es gibt immer wieder Leute, die mich für antisemitisch oder homophob halten.

Die spinnen doch. 

Denk ich auch. Aber bin ich nicht doch ein heimlicher Rassist?

Wieso das denn?

Mein ganzes Leben lang war ich hinter Frauen her.

Was soll daran rassistisch sein?

Es war aber nie eine mit dunkler Hautfarbe darunter. Alles weiße Frauen.

Das kannst du noch gutmachen, aber viel Zeit bleibt dir nicht mehr, wie du weißt.

Weiß ich, aber jetzt noch nach Kuba zu fliegen, ist doch auch keine Lösung, oder?

Stimmt. Dann bleib lieber Rassist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.