Viel zu schade für mich
„Einmal kam sie auf ein Glas Wein
zu mir herein, zu mir herein.
Sie schaute sich um, spuckte kräftig in die Hände
und brachte Ordnung in meine vier Wände.
Alle Sofakissen hatte sie geschickt
und sauber in der Mitte geknickt …
Ich weiß, so ein Mädchen ist eigentlich
viel zu schade für mich,
viel zu schade für mich!“
Na, von wem stammt das? Wer so alt ist wie Bartleby, weiß das natürlich: Hannes Wader. Es ist sein Lieblingslied von ihm. Wenn er es hört, kommen sofort die Erinnerungen wieder hoch. Mehr verraten über dieses Mädchen möchte Bartleby aber lieber nicht.
Was hat Bartleby mit Hannes Wader zu tun? Er hat sich vor einiger Zeit seine Autobiografie „Trotz alledem“ besorgt. Am interessantesten für ihn darin nicht die Kapitel über den erfolgreichen Künstler von heute, sondern die über seine Kindheit in der Nachkriegszeit auf dem Dorf und seine Anfänge in Berlin.
Bartleby und Hannes wären sich sympathisch gewesen. Beide schüchterne Jungs mit Angst vor Mädchen, aber nicht vor Fröschen, die sie mit ihren Kumpels aufgeblasen haben. Mein Opa kam aus Schlesien, seiner aus Eschwege (!). Nicht ausgeschlossen, dass wir uns schon in den 50ern dort über den Weg gelaufen sind.
Das ist dann aber mit Sicherheit im West-Berlin der 60er passiert. Genau wie Bartleby ist Hannes damals vor der Bundeswehr in die Stadt geflüchtet. Aber ihr Start dort konnte unterschiedlicher nicht sein. Bartleby, sozialisiert in einer bürgerlichen Nazi-Familie, warf sich sofort den Kapitalisten in die Arme. Die Allianz wusste das zu würdigen und besorgte ihm eine große noble Altbau-Wohnung in Tiergarten.
Hannes Wader hatte nicht soviel Glück. Ohne Geld landete er in einem kleinen Zimmer in der Görlitzer Straße in Kreuzberg. Keine Dusche, kein Bad, kein Warmwasser, ein winziger Kohleofen und das Klo eine halbe Treppe tiefer. Miete 40 Mark im Monat. Dafür machte er Straßenmusik vor dem Café Kranzler. Er besaß nicht einmal einen Koffer für seine Gitarre. Die Münzen mussten die Leute in eine Blechbüchse werfen. Bartleby konnte ihm von seinem Arbeitsplatz im Allianz-Haus gegenüber zusehen. Der Versicherungsfritze ist bestimmt einige Male an ihm vorbei gegangen, ohne etwas hineinzuwerfen. Schäm dich, Alter!
Heute erinnere ich mich wieder an die Abende, die Monika und ich im Folk Pub, Go-In oder im Steve Club verbracht haben. Da traten sie alle auf, die damals noch kaum einer kannte, unter ihnen Reinhard Mey, die Insterburgs und natürlich Hannes Wader. Jeder nur eine Viertelstunde für fünf Mark und ein Bier. Dann gings ab in die nächste Kneipe. Reinhard Mey war der Einzige, der einen grauen Käfer hatte, mit dem er auf Konzerte in Westdeutschland fuhr. Manchmal nahm er Hannes mit und schob so langsam auch dessen Karriere an. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Jahre später hat Bartleby natürlich auch seine Konzerte in Berlin besucht. Ob er dabei geahnt hat, dass unter seinen Fans auch ein Dorfjunge saß, der einmal wie er Frösche aufgeblasen hatte? Das Mädchen, das Bartlebys Sofakissen immer noch in der Mitte knickte, verschwand nach dem Konzert mit einer roten Nelke und einer Flasche Bier in der Garderobe von Hannes. Ich nehme an, das hat ihm gefallen.
Wo es heute hier schon so musikalisch zugeht, fällt Bartleby auf, dass es immer Frauen waren, die ihn auf andere Künstler aufmerksam gemacht haben. Das begann mit Monika in Marburg, die den Fan von Heino und Freddy mit der Klassik bekannt machte. Das Violinkonzert von Tschaikowsky lief auf ihrem kleinen Plattenspieler rauf und runter. Eine besondere Pointe dazu ereignete sich später in Berlin. Bartleby wohnte damals am Rüdesheimer Platz in einer Wohnung mit Künstlern, die eine wie die Wirtin Tante Vogel brauchten, um überhaupt mit einem sauberen Hemd in der Philharmonie erscheinen zu können. Fischer Dieskau war gerade ausgezogen, aber Professor Schwalbé und sein Beo blieben seine Nachbarn. Der Professor war der Erste Konzertmeister der Berliner Philharmoniker unter Karajan und was übte er im Nebenzimmer von morgens bis abends für das nächste Konzert? Richtig: Das Violinkonzert von Tschaikowsky in D-dur. Beim gemeinsamen Abendessen in der Küche von Tante Vogel haben sich die beiden Experten dann ausgetauscht.
Bartlebys große Stunde schlug dann, als der Professor ihn fragte: „Sagen Sie mal, junger Mann, was ist da eigentlich im Moment auf den Straßen los? Ich verstehe das nicht.“ Wir hatten 1967, 1968. Bartleby konnte helfen. Zum Dank durfte der junge Mann dann seine Stradivari in der Küche in den Arm nehmen. Wert fast eine Million und von Axel Caesar Springer gestiftet. Das trübte Bartlebys Bewunderung ein wenig. Dass ich später nach dem Attentat auf Rudi Dutschke mit Hannes Wader und anderen vor dem Springer-Haus demonstriert habe, habe ich ihm lieber verschwiegen. Wer weiß, wie sich das sonst auf seinen Tschaikowsky ausgewirkt hätte. Hannes Wader verlor bei dem Krawall dort zwei Schneidezähne. Bartleby hatte sich dagegen mit seinem Karmann Ghia Cabrio rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Als Kriegskind wusste er immer, wann es Zeit war, abzuhauen.
Monika war es also, die ihm die Klassik nahe brachte. Seine umfangreiche Plattensammlung zeugt noch heute davon. Dann kam Bartlebys erste midlife-crisis und eine Affäre mit einem blonden flower-power-girl, barfuß mit Blumen im Haar. Natürlich gab es bei ihr Probleme mit Drogen und Bartleby musste das schöne Kind mit Tatütata ins Krankenhaus bringen lassen. Bei den Verhandlungen mit der Polizei gelang Bartleby ein rhetorisches Meisterstück und die Beamten verzichteten letztendlich auf eine Anzeige gegen sie wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Affäre endete dann trotzdem wenig später tragisch. Was sie Bartleby hinterließ, war die Entdeckung von Bob Marley und dem Reggae.
Die DDR war für Bartleby lange ein weißer Fleck auf der musikalischen Landkarte, Das änderte sich nach 1968 und dem Einmarsch der Sowjets in Prag. Bartleby und Monika lernten dort im „U Fleku“ eine Frau aus Ost-Berlin kennen. Bei unseren Besuchen in ihrer Datsche in Weißensee hörte ich zum ersten Mal etwas von Manfred Krug und konnte es kaum fassen, dass jemand in dieser grauen Umgebung solche wunderbaren Chansons hervorbrachte. Leider war der Nachbar von der Stasi und hörte uns ab. Ich hoffe, wenigstens Manne Krug hat ihm gefallen.
Danach trat eine rothaarige Irin mit besten Connections in die Berliner Irish Music Szene in Bartlebys Leben. Seitdem höre ich immer wieder Irish Folk von den Dubliners bis Van Morrison. Der große kleine alte Mann gab vor einiger Zeit ein Konzert in Berlin. Bartleby und Miss Galway natürlich in der ersten Reihe. Amazing.
Zwischendurch hatte Bartleby Hannes Wader aus den Augen, besser aus den Ohren verloren. Das änderte sich gründlich in einer Wohnung in Potsdam mit Blick auf blühende Kastanien vor dem Balkon. Und auf Sofakissen mit einem Knick in der Mitte. Plötzlich war er wieder da, der linkische junge Mann aus den Charlottenburger Kneipen mit seinen berührenden Liedern. Und blieb es bis heute.
Bartleby hat sich oft gefragt, wieso es immer wieder Frauen waren, die ihm neue musikalische Welten erschlossen haben. Eine Antwort könnte sein: einfach, weil sie Frauen waren. Hätte es sie nicht gegeben, würde der alte Bartleby wahrscheinlich heute noch mit seinen Kumpels beim Bier sitzen und zusammen mit Heino „Schwarz-braun ist die Haselnuss“ singen. Das war einmal Bartlebys Welt. Bis die bessere Hälfte der Menschheit sich um ihn kümmerte. Aber sie war viel zu schade für ihn. Mein Gott, jetzt ist das doch fast ein Hannes Wader Spezial geworden. Nicht böse sein.
Liebe Alexa, heute passt du nicht recht hier hin. Mach bitte zum Schluss Platz für ein Lied von Hannes Wader über einen Mann, dem sein Arzt gerade gesagt hat, dass er Krebs hat und nur noch kurze Zeit zu leben:
„Ich hatte mir noch soviel vorgenommen,
vielleicht wäre doch, vielleicht wäre doch
manches dabei herausgekommen.
Aber jetzt denk ich wohl besser daran,
wie ich mir noch, wie ich mir noch
einen guten Abgang verschaffen kann …“
gute idee und viel arbeit