Ist das nicht ein hübsches Foto? Sieht er nicht süß aus, unser kleiner Fratz aus Lankwitz? Ein glückliches Kind, das sich über Opas selbst gebastelten Bauernhof freut. Es ist der Tag, an dem er seinen 2. Geburtstag feiert. Es ist der 18. Oktober 1941.

Was der Kleine nicht weiß, aber seine Eltern, dass nur ein paar Autominuten von seinem Geburtstagstisch entfernt, zur gleichen Zeit andere Kinder mit ihren Eltern im Sammellager in der Synagoge an der Levetzowstraße auf ihren Transport in die Konzentrationslager warteten. Von dort begannen die Deportationen von 32 000 Berliner und Berlinerinnen in Richtung Theresienstadt. Der erste Transport fand statt – ihr ahnt es – am 18. Oktober 1941.
Der kleine Junge aus Lankwitz wird jetzt 81. Er lebt schon seit Jahrzehnten ganz in der Nähe dieser Sammelstelle mit ihrem eindrucksvollen Mahnmal. Manchmal scheint es ihm so, als hätte das Schicksal seine Finger hier mit im Spiel gehabt.
Schwer, jetzt einen Übergang auf das Berlin von heute zu finden. Ich versuchs mal.
Ihr wolltet schon immer mal nach Bielefeld, das Provinznest in der westfälischen Pampa, das es angeblich garnicht gibt? Nein, wolltet ihr nicht? Dann kommt einfach nach Berlin. Hier bastelt der Senat seit geraumer Zeit an einem Bielefeld 2.0. Gerade wurde eins der letzten besetzten Häuser geräumt. In Friedrichshain gab es natürlich Randale und bei den Immobilienhaien in Dahlem, Luxemburg und Panama knallten die Sektkorken, Entschuldigung, Champagner natürlich. Platz für Autonome in Berlin, Platz für junge Menschen, die einfach anders leben wollen als der saturierte Normal-Berliner, das darf nicht sein. Berlin muss wie Bielefeld werden oder wie Bautzen. Nein, um Gottes Willen nicht Bautzen!
Bartleby erinnert das an seine Zeit in den wilden 80ern als Sympathisant der Hausbesetzer. Ein Freund wohnte in einem besetzten Haus am Winterfeldtplatz. Bartleby schleppte ein Drittel seiner geerbten Möbel in das Haus und noch ein paar Stühle, damit man im Sommer auch draußen auf der Straße sitzen konnte. Stellt euch vor, in Mutters plüschigen Sesseln am Nierentisch saßen da auf einmal Hausbesetzer, ganz normale Menschen wie ihr und fühlten sich wohl. Bis die Polizei kam und Mutters teure Möbel irgendwo in Berlin in ein Lager brachte. Bartleby hat seiner Mutter nichts davon erzählt. Sie hätte das nicht überlebt.
Die älteren Berliner unter euch erinnern sich vielleicht noch an den Tag, an dem der damalige Innensenator medienwirksam seinen Triumph vom Balkon eines besetzten Hauses feierte. Seine Polizei, für uns damals Bullen, hat ihm zu Ehren die Demonstranten auf die belebte Potsdamer Straße getrieben. Mit Erfolg: ein junger Mann starb unter einem BVG-Bus. Durch einen Zufall war Bartleby nur wenige Minuten später an der Unfallstelle. Er wollte aus Sorge wegen der angesagten Demos eigentlich seinen Sohn aus der nahe gelegenen Schule abholen. Aber als echter Berliner Junge hatte der sich schon vorher in Sicherheit gebracht. Bartleby schnappte sich statt dessen einen weinenden kleinen türkischen Schüler und fuhr ihn nach Hause in eine Seitenstraße der Potsdamer. Im Polizeifunk hatte er inzwischen gehört, was passiert war.
An der Unfallstelle lagen schon ein paar Blumen, aber nicht lange. Dann erschien ein Wasserwerfer und schoss sie von der Straße und uns Trauernde gleich mit. Die, wie wir da saßen – unter uns auch der spätere Regierende Bürgermeister Momper – entschlossen uns spontan dafür, am Abend an dieser Stelle eine Demo zu machen. Die lief wie erwartet. Die Bullen hatten alles aufgeboten, was ihr Waffenarsenal her gab und waren alles andere als zimperlich. Plötzlich hatte Bartleby einen Stein in der Hand. Und jetzt? Wirft er ihn oder wirft er nicht? Ihr ahnt es, Natürlich nicht. Das „ich möchte lieber nicht“ Gen war wieder einmal stärker. Das blöde Gen hätte aber auch mal eine Ausnahme machen können, zumindest an diesem Abend. Es kommentiert Gastautor Heinrich Heine: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen.“
Corona News: Bartleby ist vor kurzem mit einem Nachbarn aus dem Haus zusammen-gerauscht. Er ist dem Typ in den letzten Jahrzehnten so gut wie nie begegnet, aber jetzt. Bartleby wartet mit seinen Einkaufsbeuteln (Jute!) vor dem Fahrstuhl. Der kommt, die Tür geht auf und Bartleby geht rein und drückt den Knopf. Da taucht wie aus dem Nichts dieser Nachbar aus einem anderen Stockwerk auf und quetscht sich im letzten Moment in den engen Fahrstuhl. Bartleby, höflich wie immer: „Schon mal was von Abstand halten gehört?“ – „Dann musst du eben eine Maske tragen!“ Kurzer verbaler Schlagabtausch auf unterstem Niveau. Bevor ich ihn erschlagen konnte, stieg er ein Stockwerk höher wieder aus. Ich vermute mal, er gehört auch zur Fraktion der Typen im Haus, die zu dämlich sind, den Müll zu trennen.
Oben angekommen, braucht Bartleby erst mal einen Schnaps. Dann fällt ihm wieder ein, was er vor kurzem von seinem Idol Georg Schramm gehört hat. Der hatte Papst Gregor den Großen zitiert: „ Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegen-stellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“ Darauf noch einen Doppelten!
Bartleby kennt in seinem Alter ja nur noch wenige Freuden. Aber über eins kann er sich immer wieder köstlich amüsieren: um die krampfhaften Bemühungen, eine gendergerechte Sprache durchzusetzen. Sternchen* oder nicht, Innen oder nicht oder gleich eine neue Wortschöpfung. Es gibt Feministinnen, denen es immer noch nicht reicht, jetzt von „SportlerInnen“ zu lesen. Wieso muss der männliche Teil am Beginn des Wortes stehen?
Bartleby schlägt vor: „InnenSportler“. Jetzt zufrieden, Mädels?
Bartleby ist für manche von euch ein „alter, weißer Mann“. Gastautor Jürgen von der Lippe sieht darin gleich eine dreifache Diskriminierung: „Alt“, „weiß“, „Mann“. Das tut gut.
Der Genderwahnsinn wäre ein gefundenes Fressen gewesen für Herbert Feuerstein. Der ist leider nur den Alten oder ganz Alten unter euch bekannt. Er war einer von Bartlebys Darlings. Die Presse bezeichnete ihn als den „giesgrämigsten Komiker des deutschen Fernsehens“. Wenn er das Leben grundsätzlich negierte und als „großes Unglück“ ansah, war es, als ob er neben Bartleby vor der Glotze saß und sich mit ihm um die Salzstangen kloppte. „MAD“ hat er zu dem Magazin gemacht, das Bartleby seine Lesestunden auf der Toilette länger werden ließen als nötig. Schon zu Lebzeiten hatte er seinen Nachruf verfasst. Der Beginn ist legendär: „Ich will nicht lange drumrum reden, ich bin jetzt tot.“
Das Verhältnis zu seinem alter ego Harald Schmidt fasst er nur kurz in einen Satz: „Wir hatten keinen Sex.“ Schmidt wiederum kommentierte Feuersteins Tod auf seine gewohnt trockene Art: „Er hat mir befohlen, zuerst zu sterben. Jetzt ist es anders gekommen.“ Sie werden mir fehlen. Beide.
Bartleby war schon immer ein Freund vom Anarchismus in der Kulturszene. Aber die Protagonisten werden immer weniger. Jetzt fällt ihm nur noch Helge Schneider ein, der das Fähnlein der letzten Aufrechten trägt. Das ist ja das Seltsame an solch einem Verlust wie dem von Feuerstein, dass er Bartleby erst einmal deprimiert, ihm dann aber auch gerade dadurch den eigenen Abschied leichter macht. Wenn alle nicht mehr da sind, die ihn in seinem Leben in welcher Form auch immer begleitet haben, was soll das Ganze noch? Keine Angst, das ist nur so ein Gedanke. Aber Bartleby freut sich heute schon auf den Moment in der Anarchisten-Hölle, wenn er mit Feuerstein und anderen High Five machen kann. Und über Harald Schmidt lästern.
Last but not least ein Wort zu Corona. In meinem Tagesspiegel-Checkpoint fand ich einen hübschen Tweet, der sich Gedanken macht zur Bekämpfung von Corona in der Stadt: „Vielleicht wäre in Berlin eine effektive Drohung, dass junge, feierorientierte Menschen bei Verstößen gegen die Corona-Regelungen zurück nach Baden-Württemberg zu ihren Eltern ziehen müssen.“ Bartleby ergänzt: „Und dort bleiben.“
Alexa, heute will ich mal nicht über Politik schreiben?
Oh Gott, ich ahne Fürchterliches.
Keine Angst, es geht um die Raser in den Städten und auf der Autobahn.
Kommt jetzt wieder die Story von den Männern mit den kleinen Schwänzen?
Nein, aber warum fahren die schlimmsten Raser nie mit E-Autos?
Du wirst es mir erklären.
Porsche-Fahrer haben gesagt, uns fehlt dabei das laute Brumm-Brumm!
Versteh ich nicht.
Naja, die brauchen eben auch beim Sex ein lautes „Sag mir was Schmutziges!“
Und das findest du witzig?
Ich fahre einen Mercedes.