Sören Benn +++ Leon +++ Schokolade +++ Jutta Lampe +++ Romy Schneider +++ Ferdinand von Schirach +++ Zauneidechsen +++ Glück +++ Stubenhocker +++ Home-Trainer +++ Schwarzenegger +++ Philipp Blom

„Moin! Drei Sachen: Haltet durch, haut euch nicht und seid dankbar und bedankt!“ So begann die Weihnachtsansprache eines Berliner Politikers. Nein, nicht Müller, Merkel oder Steinmeier. Die lassen sich ja lieber von hochbezahlten Ghostwritern ihr Geschwurbel formulieren, dass sie dann mit Wichtigtuer-Miene in unsere Stuben tröpfeln. 

Nein, so begann die Weihnachtsbotschaft von Sören Benn (Linke), Bezirks-bürgermeister von Pankow, an die Menschen in Prenzlauer Berg und Drumherum. Welch eine Wohltat. Als Helmut Kohls Silvesteransprache einmal im Fernsehen versehentlich wiederholt wurde, hatte es kaum ein Mensch gemerkt. Danke, Sören Benn, du hast die Großkopfeten ganz schön blass aussehen lassen. Aber das waren die ja auch schon vorher.

Nochmal Weihnachten. Ein Berliner Krankenhaus sammelte handgemalte Wunschzettel von krebskranken Kindern. Die meisten Kinder wünschten sich das Übliche. Einer nicht: Leon, 3 Jahre. Er wünschte sich „eine Polizeistation mit Gefängnis“. Die Berliner Polizei: „Natürlich ließ sich da was machen.“

Mein Bezirksamt Mitte hatte sich auch was Nettes zu Weihnachten ausgedacht. Alle Autofahrer, die korrekt parken, bekommen eine Tafel Schokolade unter den Scheibenwischer. Als Bartleby erwartungsvoll zu seinem Auto ging, hatte jemand schon längst seine Schokolade geklaut. Moabit eben. Der Bezirk hat aber noch einen Trost für ihn: „Radfahrende, die bei Rot halten und nicht auf dem Gehweg radeln, belohnen wir im nächsten Jahr.“ Da muss Bartleby seine alte Möhre doch noch einmal aus dem Keller holen. Verdammt, wo ist eigentlich die Luftpumpe?

Vielleicht kennt ihr das: eine Prominente stirbt und ihr überlegt, welche Rolle sie in eurem Leben gespielt und was sie für euch bedeutet hat. Wenn ihr einmal so alt seid wie Bartleby, wird sich das Monat für Monat für euch wiederholen. Im Dezember ist Jutta Lampe gestorben. Sie war etwa so alt wie ich. Viele von euch werden sie nicht kennen. Schade. Nicht nur für mich eine der herausragendsten Schauspielerinnen der Berliner Schaubühne. Ja, das wird mir jetzt keiner glauben, aber ich war ihr seit den 70er Jahren verfallen. Ich habe kein Stück versäumt, in dem sie mitgespielt hat, kein Stück. (Bartleby, wie war das möglich?) Sie hatte etwas,das Peter von Becker vom Tagesspiegel in seinem Nachruf so nannte: mädchenhafte Anmut, etwas Schwebendes und Grazie verbunden mit kühler Sanftmut. Wer von euch kann heute noch etwas mit dem Begriff „Grazie“ anfangen? 

Zum Foto: Im „Prinz von Homburg“ gibt es einen magischen Moment, in dem Nathalie (Jutta Lampe) dem zum Tode verurteilten Prinzen (Bruno Ganz) die Nachricht überbringt, dass er begnadigt würde, wenn er das wolle. Er lehnt das ab. Dazu Jutta Lampes Nathalie mit einem sonderbar beseelten Lächeln: „Du gefällst mir.“ Vielsagend betont auf der zweiten Silbe des Wortes.

„Das erinnert mich an Romy Schneider. Auch von ihr gab es einmal eine so diskret offene wie zugleich geheimnisvolle Zuneigungserklärung: als Schneider in einer TV-Talkshow plötzlich mit ihrem wie tagträumerischen Timbre zu dem Ex-Häftling und Autor Burkhard Driest fast das Gleiche sagte: „Sie gefallen mir.“ Nie sonst ist in einem eher trivialen Fernsehplauderstudio derart ein Engel durch den Raum gegangen.“ (Becker). 

Romy bin ich in meiner Jugend in Berchtesgaden begegnet, Jutta Lampe nach einer Aufführung in der Schaubühne (Drei Schwestern?). Es war beim Italiener neben dem Theater. Ich hatte den Tisch neben ihr ergattert. Nur Augen und Ohren für sie, dabei wurde mein teures Saltimbocca kalt. Ja, sie war wie eine zweite Romy Schneider für mich. (Bartleby, du kommst ja richtig ins Schwärmen. So kennen wir dich gar nicht. – Ach Leute, wer von euch kennt mich schon?) 

Ihr habt sicher eines der Stücke gesehen, die Ferdinand von Schirach für das Fernsehen geschrieben hat: „Feinde“, „Terror“, „Gott“. Zum Schluss kann sich jeder Zuschauer ein Urteil machen. Ein faszinierendes Format. Bartleby hätte eine Idee für das nächste Stück des Autors. Es geht um zwei Orte nicht weit weg von Berlin. Der eine ist ein altes Dorf in der Lausitz. Seine Bewohner sollen es nach mehr als hundert Jahren verlassen. Ein großes Energieunternehmen will genau dort noch kurz vor dem Kohleausstieg  nach Braunkohle baggern. Gerichte haben das durchgewinkt.

Der andere Ort ist Grünheide bei Berlin. Dort soll eine große Fabrik für E-Autos entstehen. Bei Tesla könnten 30 000 Arbeitsplätze entstehen. ABER: Genau an der Stelle sollen etwa 27 Zauneidechsen und ein paar Schlangen Winterschlaf halten. Ein Gericht hat deswegen den Bau gestoppt. 

Frage an das Publikum: Hatten die Bewohner der Dörfer im Braunkohlerevier nur das Pech, dass sie keine Zauneidechsen waren? Und hat Tesla Pech, dass es kein   Energieunternehmen ist, dass Dörfer wegbaggert? Keine leichte Entscheidung oder doch. Herr von Schirach, bitte übernehmen Sie.

 (Bartleby, was soll das? Alexa und wir hatten doch vereinbart: keine Politik. Also bitte!)  

Nur noch ein Wort zu Corona. Was soll ich sagen, das Glück als Kriegskind ist mir treu geblieben. Wäre die Pandemie ein paar Jahre früher ausgebrochen, hätte ich mich in der Charité als Krebskranker mit den Covid-Patienten um ein Bett auf der Intensivstation streiten müssen. Wäre die Situation wie heute schon vor einem Jahr so gewesen, hätte es nicht den stimmungsvollen runden Geburtstag von Elke auf dem Funkturm gegeben und auch nicht den runden Geburtstag von Tassilo auf seiner festlich hergerichteten Insel. Und den alten Bartleby hatte seine Family an seinem runden Geburtstag in eine angesagte Disco am Zoo entführt. Alles heute nicht mehr möglich. Glück gehabt, Bartleby, wie so oft in deinem Leben.

Und heute? Heute hat sich der Ü80 vor Corona in seiner Wohnung verschanzt mit den Bildern seiner Lieblingsmaler an den Wänden und den Büchern seiner Lieblings-autoren in den Regalen. Und eine kleine Bar gibt’s auch noch. So lässt sich die Luxus-Quarantäne für den Großmeister der Stubenhocker aushalten. (Schämst du dich nicht wenigstens ein bisschen dafür, Bartleby?) Einmal in der Woche schlurft der Extremrentner zu EDEKA und deckt sich mit dem Nötigsten ein. Erstaunlich, wie wenig er davon nach Hause tragen muss. Haben wir etwa wieder Krieg? Könnte sein.

Vor 100 Jahren sind die Menschen 17 km pro Tag gelaufen, liest Bartleby in seiner Zeitung. Und heute, in Zeiten von Corona? So wenig, dass ihr Gehirn einrostet. Bis vor einem Jahr hat Bartleby sich auf seinem Home-Trainer fit gehalten. Dann ging das Gerät kaputt. 20 Jahre mit Bartleby überlebt niemand. Er hat überlegt: Lohnen sich 1.000 Euro oder mehr noch für einen neuen Home-Trainer? Bartleby, wie ihr ihn kennt, er wollte lieber nicht. Aber er hatte die Rechnung ohne seinen Enkel gemacht. Du gehst jetzt auf Ebay Kleinanzeigen und suchst einen gebrauchten Home-Trainer. Und wie mache ich das? Pass auf, ich zeigs dir. Irre! Nach wenigen Minuten war ich der Besitzer eines tadellosen Home-Trainers für sage und schreibe 100 Euro. Wenn ihr im hohen Alter auch mal so ein Wunder erleben wollt, müsst ihr allerdings rechtzeitig für Kinder und Enkelkinder sorgen. Sonst sieht es böse aus. Die Zeit, die Bartleby damals auf Demos und mit Hausbesetzungen verbracht hat, verbringen die Kids heute vor dem PC. Und wie ihr seht, nicht nur an einer Playstation.

Bartleby hat immer die Typen bewundert, die sich in Fitness-Centern Muskeln antrainieren. Dabei hat ihn vor allem die Frage beschäftigt, warum man dafür Gewichte stemmen muss und nicht auch vom Lesen Muskeln bekommen kann. Bartleby als ein Schwarzenegger der anderen Art zwischen Bücherregalen und Zeitungsstapeln. Das wärs doch. Dann die bittere Erkenntnis: Wenn andere dumm sind, nützt es mir auch nicht, dass ich Bücher lese. 

Zum Schluss noch ein Tipp für alle von euch, die sich nicht mit der Lektüre der „Apotheken Rundschau“ begnügen. Bartleby hat gerade bei You tube auf seinem Lieblingssender SRF-Kultur ein Gespräch in der Reihe „Philosophie Sternstunde“ verfolgt. Gast war der Historiker und Philosoph Philipp Blom, Bartleby bis dato unbekannt. Aber dann: eine Stunde lang ein Gewitter brillanter Gedanken. Ihm zufolge befinden wir uns derzeit am Ende von 3000 Jahren Kulturgeschichte. Am Anfang stand das göttliche Gebot „Macht euch die Erde untertan!“ Damit ist es nun vorbei. Plankton und Ameisen, Bäume und Pilze sind für den Planeten in Zukunft wichtiger als Menschen. Starker Tobak? Aber macht euch selbst ein Bild. 

Alexa lässt grüßen. Sie ist gerade im home office.