An meinem Eschweger Gymnasium gab es einen Musiklehrer, den ich bis heute nicht vergessen habe. Wir nannten ihn alle das „Veilchen“, weil er uns wieder und wieder dieses Stück von Mozart vorspielte. Ein kleiner Mann mit Glatze und einem Buckel. Bevor er sich ans Klavier setzte, legte er sich immer zwei Telefonbücher auf den Klavierstuhl, um überhaupt die Tasten zu erreichen. Und dann spielte er seinen Mozart unbeirrt von der Menge pubertierender Hyänen um ihn herum.
Eine der schlimmsten Hyänen war natürlich Bartleby. Der bekam danach wie alle anderen als Hausaufgabe, selber mal ein Stück zu komponieren. Na warte, dachte sich das Pubertier. Konnte zwar keine Noten lesen, aber dass Noten für tiefe Töne unten stehen müssen und Noten für hohe oben, war ihm schon aufgefallen. Der Rest war einfach. Bartleby hörte sich auf seinem Plattenspieler immer wieder die Single „Don´t be cruel“ von Elvis an und verteilte dann dessen Musik wie gehört in seinem Notenheft nach unten und oben. Kurze Probe, doch, doch, hört sich irgendwie nach Elvis an. Das muss eine gute Benotung geben.
Gab es aber nicht. Das Veilchen bestrafte meine Cover-Version mit Nichtachtung. Im Halbjahreszeugnis gab es wieder eine glatte „5“, im Jahreszeugnis aber doch wie immer eine „4 minus“. Gnade vor Recht, Versetzung also nicht gefährdet. Ich habe erst nach dem Abi erfahren, was das verspottete Veilchen für ein bemerkenswerter Mann war. Er hat Schüler unterstützt, die Probleme hatten, private oder finanzielle, und hat das immer für sich behalten. Er war mehr als ein Musiklehrer, er war ein Pädagoge alter Schule, der sich die Kraft dafür bei seinem Mozart holte. Respekt.
Gut, dass er nicht mehr erleben musste, was bei Bartleby passierte, nachdem der bei Youtube das „Veilchen“ von Mozart heruntergeladen hat. Plötzlich tanzten lauter Algorithmen auf seinem Bildschirm herum. Alles attraktive junge Frauen wie die Models von Fußballstars. Aber warum saßen die alle an einem Steinway-Flügel und hatten dabei fast nichts an? Als Bartleby das letzte Mal in der Philharmonie war, saßen am Flügel entweder ein ernster Mann im Frack oder eine ältere Frau im Abendkleid. Beide festlich gekleidet wie das Publikum. Aber was war denn jetzt los? War die Philharmonie auf einmal zu einem zweiten Berghain geworden?
Bartleby beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Alles auf You tube. (Name und Musiktitel eingeben) Zuerst spielt Lola Astanova „Will you be my Valentine?“. Ihre Strümpfe erinnern mich an die, die ich als Junge immer tragen musste, allerdings noch mit Strapsen. Mutter bestand darauf. Das Umziehen in der Kabine vor und nach dem Turnunterricht war jedes Mal eine Pein für den zarten Jungen. Aber mit Strapsen am Barren herumturnen, war für Turnvater Jahn unvorstellbar. Es gibt nicht viel auf der Welt, was Bartleby so gehasst hat wie Geräteturnen.
Dann Auftritt von Yuja Wang mit „Rhapsody in Blue“. Aber holla, die Waldfee!Erstaunlich, wie eine Frau mit solchen high heels zwar nicht Auto fahren, aber Klavier spielen kann. Andere wären schon auf dem Weg zum Flügel gestolpert. Hoffentlich hat sie sich dabei nicht erkältet.
Und zum krönenden Abschluss noch Zubin Mehta mit Khatia Buniatishvili mit „Schumann, Piano Concerto in A-Minor Op.54“. So nur auf die Musik konzentriert und kein bisschen auf die Pianistin neben dir kannst du nur sein, wenn du über 80 bist wie Zubin Mehta und Bartleby. Weiß jemand eigentlich, wann die Philharmonie wieder öffnet?
Also: Sex sells jetzt auch in den Konzerthäusern. Hätte mich auch gewundert, wenn es anders wäre. Fehlen nur noch die Kirchen. Bartleby hätte da schon ein paar Ideen.
Bartleby, Frauen und Musik, das ist ein weites Feld. Danke Fontane. Ohne die Frauen in seinem Leben würde der unmusikalische alte Mann heute wohl immer noch die Wildecker Herzbuben hören. Das begann schon mit Monika. Sie brachte eine große Sammlung von Schallplatten mit klassischer Musik mit in die Beziehung. Bei ihr hörte er zum ersten Mal das Adagio aus dem Klarinettenkonzert A-Dur KV 622, das ihr vielleicht besser aus dem Film „Out of Africa“ kennt.
Dann begegnete er Sylvia, einer blonden Schönheit und 17 Jahre jünger. Ja, mein Gott, was soll ich machen? Sie machte ihn mit Bob Marley und dem Reggae bekannt. Wenn da nur nicht die verdammten Drogen gewesen wären. Bartleby entführte sie, die noch nie aus Hannover herausgekommen war, an seine vertraute Cote d´Azur in der Hoffnung, das würde für sie vielleicht ein turning point werden. Wurde es aber nicht. „Sylvias mother says, Sylvia´s happy. So why don´t you leave her alone?“
(Dr. Hook & the Medicine Show). Kurze Zeit danach war ihr junges Leben zu Ende.
Eileen habe ich als Elternsprecher in der Schule kennen gelernt, Ihr Sohn hatte seiner Mutter erzählt, dass ich meinen Sohn nur mit Ravioli und Fischkonserven ernähren würde. Naja, so ganz falsch war das nicht. Die begnadete Köchin beschloss, dass sich das dringend ändern müsste. So kam es, dass ich Van Morrison, die Dubliners und die ganze irische Folk Musik kennenlernte.
Nach der „Wende“ war ich für die Allianz acht Jahre in der Ex-DDR tätig. Unzählige Seminare mit Frauen von Rügen bis zum Erzgebirge. Mutter warnte mich noch: „Pass auf in Sachsen, wo schöne Mädchen auf den Bäumen wachsen.“ Hab ich, aber nicht in Potsdam. Dort hat mir Elke den lässigen Manne Krug nahegebracht und vor allem Hannes Wader. („Viel zu schade für mich“).
Mensch, Bartleby, gab es denn überhaupt keine Männer, die dich auch musikalisch weitergebracht haben? Doch, gab es: Hasso-Borussia Marburg mit „O alte Burschenherrlichkeit“ und Heino mit „Schwarz-braun ist die Haselnuss“.
Wenn ich das richtig zusammenzähle, steht es damit 4:1 für die Frauen. Überraschung? Ich denke, nein. – Sag mal Bartleby, was ist denn heute mit dir los? Du schreibst ja diesmal nur nette Sachen über Frauen. Das ist doch sonst nicht deine Art. Dabei ist noch gar nicht der Internationale Frauentag am 8. März. Hast du wieder heimlich Filme mit Romy Schneider gesehen?
Nein, hat er nicht, aber er verrät euch jetzt etwas aus der Reihe „unnützes Wissen“. Er ist einer der ältesten Feministen im Kiez. Glaubt ihr nicht? Ein Beispiel: Kurz nach der Wende gab es bei der Allianz eine Betriebsratswahl. Bartleby trat dazu mit einer Liste aus engagierten Frauen an. Mit Erfolg. Er wurde mit dem zweitbesten Ergebnis in den Betriebsrat gewählt. Bei der Verteilung der Aufgaben ging es auch um den „Frauenbeauftragten“. Normalerweise immer ein Amt, das eine Frau ausgeübt hat. Diesmal aber wählte der mehrheitlich mit Frauen besetzte Betriebsrat ausgerechnet Bartleby zum Frauenbeauftragten. Einen Mann, einen richtigen Mann! Bartleby konnte es nicht fassen. Es war, als hätte ihn Alice Schwarzer geküsst. Ich denke mal, sie wusste, dass Frauen bei Bartleby immer gut aufgehoben sind.
Zum Schluss noch was Aktuelles. Nein, nicht zu Corona, sondern zum Winter. In Berlin liegt nach Jahren ein Zentimeter Schnee auf den Straßen und die Flachlandtiroler heulen auf. Ich habe für euch mal ein Foto von 1951 aus Berchtesgaden rausgesucht. Ihr seht den jungen Bartleby und seinen kleinen Bruder in ihrer Schneeburg. Von dort aus haben die beiden die Passanten mit Schneebällen beworfen. War nicht ungefährlich, hat aber Spaß gemacht. Gab ja noch keine Smartphones.
