Newsletter Extra – „allesdichtmachen“

Hier ein Überblick über die neuen Corona-Verordnungen: „Ab null Uhr herrscht Maskenpflicht für die Sternzeichen Jungfrau, Waage und Wassermann und für alle Volvo-Fahrer, außer wenn sie grüne Socken tragen. Die Maßnahme gilt nur von 

18 Uhr bis 21.30 Uhr, vorausgesetzt, Sie fahren einen Audi mit einer 17 im Kennzeichen. Wenn ihre Hausfarbe gelb ist, dann dürfen Sie nicht aus dem Haus, außer es steht auf der rechten Straßenseite. Die Ausnahme entfällt jedoch, wenn ein Parkplatz davor ist.“

Der österreichische TV-Journalist Ferdinand Wegscheider hat die Lage im vergangenen Oktober so zusammengefasst. Jakob Augstein zitiert ihn in seinem Leitartikel im aktuellen „Der Freitag“ zu der ganzen Aufregung um Jan Josef Liefers und die Aktion „allesdichtmachen“. 

Doch zuerst mal ein Blick in den Duden. „Satire“, steht da, „ist eine Kunstgattung (Literatur, Karikatur, Film), die durch Übertreibung, Ironie u. Spott an Personen od. Zuständen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz geißelt“. 

Genau das haben etwa 50 KünstlerInnen mit ihrem Versuch gemacht, gegen nicht nachvollziehbare und unverhältnismäßige Einschränkungen gerade im Kulturwesen zu protestieren. Zugegeben, nicht jeder Beitrag war gelungen. Aber was wirklich schlimm war, waren der Shitstorm und die Reaktionen der regierungsfrommen Medien, leider auch von Teilen meines Tagesspiegels.  

Was einige von euch vielleicht wissen, ist, dass ich rund um 1968 einige Semester Publizistik an der FU Berlin studiert habe. Das hat meinen Blick bis heute geschärft. Direktor des Instituts war Harry Pross, vormals Intendant von Radio Bremen. Ein Liberaler wie er im Buche steht. In dem USA- und Springergeilen West-Berlin ließ er uns die Vietnam-Flagge auf dem Institut im feinen Dahlem hissen. Die Frontstadt kochte vor Wut. „GEHT DOCH RÜBER!“

Aber was mich geprägt hat bis heute war sein Seminar über Manipulation in der Presse. Er erinnerte uns an die Römer und ihr berühmtes Feldzeichen, die Manipel, hinter der die Kohorten sich versammelten und marschierten. Und er warnte seine Studenten (ja, durfte man damals noch so sagen), jemals hinter so einer Manipel herzulaufen, sei es eine Zeitung oder ein Sender. Das war für uns nicht einfach. Axel Springer hatte damals die Stadt fest im Griff und im Sender Freies Berlin saßen die rechten Frontkämpfer der SPD. Bartleby empfand das damals wie ein Berufsverbot und zog seine Schlüsse: „Ich möchte lieber nicht.“

Heute erkenne ich wieder eine Manipel, hinter der die staatstragenden Medien herlaufen. Ein Ministerpräsident sagt zum Infektionsschutzgesetz in die Kameras, das sei ein Tiefpunkt für das föderale System der Bundesrepublik, stimmt aber im Bundesrat trotzdem zu. Kritik in den Medien? Habe ich nicht gehört, aber vielleicht liegt das an meiner Alterstaubheit.

Dafür arbeiten sich die Medien an den besorgten, enttäuschten und verärgerten Künstlern ab. Aber woher sollte die Journaille auch wissen, was Satire ist oder sein kann? Ich erinnere mich noch gut an den Deutsch-Unterricht in meiner Konrad-Adenauer-Schule in Eschwege oder hieß die anders? Goethe, Schiller, Lessing, Hebbel bis zum Abwinken, aber Satire? Gabs nicht trotz Heinrich Böll und Kurt Tucholsky. War das nicht der, der gesagt hat „Was darf Satire? – Alles!“ Als Ersatz musste „Familie Hesselbach“ im Hessischen Fernsehen herhalten. Danach durfte sich das Volk die Zipfelmütze wieder über die Ohren ziehen. 

Ein Lichtblick im überwiegend braunen Kollegium war damals mein Deutschlehrer Henner Kaiser. Einerseits sollte  er aufpassen, dass ich in unserer Schülerzeitung nicht über die Stränge schlage, andererseits gab er mir den Rat, mich doch intensiv mit Heinrich Heine zu beschäftigen. Ich habe ihn nicht beim Direx verpetzt, Heine gelesen und den „Simplicissimus“ abonniert. Das hätten all die Klugscheißer, die jetzt auf Liefers und Co. herumhacken, vielleicht auch tun sollen. „Titanic“ und „Pardon“ lasse ich gerade noch durchgehen. 

Wer die Video-Clips von „allesdichtmachen!“ noch nicht gesehen hat, sollte das auf Youtube nachholen. Zum Einstieg empfehle ich Liefers und Ulrich Tukur. Wer von euch das große Satire-Abitur bestanden hat, darf sich auch an den nachdenklichen Beitrag von Hanns Zischler wagen. Von Boris Palmer gibt es zwar keinen Clip, ist ja auch kein arbeitsloser Künstler. Aber er richtete in der letzten Talkshow von Maybrit Illner ein Wort an den viel gescholtenen anwesenden Jan Josef Liefers: „Danke für diese Aktion.“ Verehrter Harry Pross, es gibt wohl doch noch Hoffnung.

Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder. Ihr kennt doch den grummeligen alten weißen Mann aus Charlottenburg: Harald Martenstein. In seiner Glosse in meiner heutigen Sonntagszeitung lästert er wieder mal über die Identitätsultras, die am liebsten alle alten und beliebten Bücher in political correctness umschreiben lassen würden. Wie wär´s damit, schreibt er, endlich auch Tucholsky auf den Stand der Zeit zu bringen? Vorschlag für die Gesamtausgabe: „Satire darf alles, außer Corona und Medien.“ Mensch Tagesspiegel, es geht doch!