Hallo Fritz,
danke für deine Briefe, den abgesandten und den vorher nicht abgesandten. Gerade der Letztere hat mich schon nachdenklich gemacht. Ich glaube nicht, dass Reinhold mich besser kennt als du. Vielleicht habe ich ihn aber schon länger mit meiner Art von Ironie um zwei Ecken gequält. Das ist sicher manchmal nicht einfach für den Empfänger. Aber ich liebe sie, vor allem Selbstironie. Sie ist für mich eine Möglichkeit, anderen auf subtile, im besten Sinne humorvolle Art zu sagen, wie ich denke und fühle. Das gelingt manchmal, manchmal auch nicht. Die Gründe hierfür will ich hier nicht länger ausführen, habe sie aber jahrelang in meinen Rhetorik-Seminaren unter das Allianz-Volk gebracht (4-Ohren-Modell).
Bei Elke zum Beispiel bemühe ich mich seit langem, Ironie zu vermeiden. Sie ist im Osten sozialisiert worden und konnte sich zu meinem Bedauern nie für einen Harald Schmidt oder Georg Schramm begeistern. Ja, ich gebe es zu, mit Ironie hatte man es unter Ulbricht und Honecker nicht leicht. Aber dass das so prägend sein kann, hat mich doch überrascht. Heute habe ich gelernt, damit zu leben. Elke läuft mir nicht weg, schon ihre Katze würde das verhindern.
Ich wollte mich hinter Oblomow und Bartleby nicht verstecken, genauso wenig wie hinter Heinrich Heine oder Woody Allen. Im Gegenteil, ich wollte damit nur sagen, dass ich ihre Art, zu leben, verstehe und sogar bewundere. Ja, wir sind Brüder im Geiste, aber anders als sie bleibe ich doch bei meinem eigenen Weg. Fritz, du kannst beruhigt sein. Wenn es mir wirklich Scheiße geht, sage ich es auch so. Direkt und ohne jede Ironie (Müller-Arnstadt: „Merde alors!“).
Zurück zum Alltag. Weihnachten war ich bei den Kindern eingeladen. Herrlicher großer Tannenbaum wie früher bei mir in der Altbauwohnung. Leider ohne Kerzen aus Wachs, mein Sohn ist ein Sicherheitsfreak schon wegen seiner Katzen. Er steht lange in der Küche und bereitet ein anspruchsvolles 3-Gänge-Menue vor. Ich hatte früher meiner Mutter an diesem Abend nicht einmal geholfen, die Bockwurst und den Kartoffelsalat warm zu machen. Woher mein Sohn das hat? Schlag nach bei Darwin: Mutation.
Was bringt mir das neue Jahr? Zunächst in ein paar Tagen einen Rund-um-Check bei meiner Onkologin. Die kritische 5-Jahresfrist nach meinem Krebs neigt sich dem Ende zu. Wenn ich die überstehe, geht es mir wie meinem Auto. Das muss Ende des Jahres auch zum TÜV. Wenn es den wieder wie bisher ohne große Macken übersteht, steht es kurz davor, in die Familie der Oldtimer (30 Jahre) aufgenommen zu werden.
Sollte es also zu unserem Mai-Treffen kommen, werde ich den Oldie schonen und mir einen Mietwagen nehmen. Das letzte Mal war das ein Desaster. Sie gaben mir einen nagelneuen Mittelklassewagen. In meinem alten Mercedes gibt es nur eine Armaturenanzeige von der Größe einer Postkarte. Geschwindigkeitsmesser und Tankfüllung, das ist alles. Jetzt auf einmal Navi und ein Display mit tausend Informationen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Ich habe es nicht einmal geschafft, das Radio und den Scheibenwischer anzustellen. Gottseidank, bis Eschwege und zurück hat es dann nicht geregnet. Richtet euch bei unserem Treffen also bitte auch nach dem Wetterbericht (Ironie?).
Ich arbeite mich immer noch an meinem Vater ab? Da täuscht du dich. Dieses Kapitel habe ich schon vor längerer Zeit abgeschlossen. Inzwischen weiß ich über seine Zeit bis 1948 mehr als er selbst. Danach war er ein wunderbarer Vater und das ist ja das eigentlich Erschreckende. Schade, dass er so früh starb. Statt in Büchern hätte ich gerne selbst herausgefunden, was für ein Mensch er war.
Den „SPIEGEL“ habe ich mir natürlich geholt. Er bot für mich aber nichts Neues. Bei mir stapeln sich Bücher über und von Kriegskindern wie mich und dich. Erst vor wenigen Jahren wurde ich darauf aufmerksam, dass auch die Kinder der Kriegskinder nicht unbeschädigt geblieben sind (s. Sabine Bode). Seitdem sehe ich meinen Sohn mit anderen Augen. Ich hätte ihm gerade als alleinerziehender Vater einen anderen Vater gezeigt, einen, der mit seinem Sohn voller Empathie und Zärtlichkeit umgeht. Nicht, dass das nicht vorkam, aber es war viel zu wenig. Aus ihm ist trotzdem was geworden (Kinderladen) und das Verhältnis zu seinem eigenen Sohn ist sehr herzlich. Irgendwann muss diese verdammte Kriegskinderscheiße (sorry) doch auch mal ein Ende haben.
Ein Zitat in dem SPIEGEL-Artikel hat mich an meine Ankunft nach der Flucht 1945 im Bahnhof Berchtesgaden erinnert. Dort stand auf einem Nebengleis eine Dampflok mit der Parole: „Räder müssen rollen für den Sieg“. Nicht das hat mich damals empört, sondern dass dieser Spruch nicht auch auf meiner Märklin-Eisenbahn in Berlin gestanden hat. Ich war knapp sechs und aus mir wäre vermutlich ein begeistertes Mitglied der HJ geworden. Stattdessen schickte mich mein Vater dann zu den Pfadfindern, Sippe Steinadler. Mein Halstuch war jetzt zwar blau-gelb, alles andere aber so braun wie früher. „Flamme empor!“
„Männer in der Küche sind sexy“ habe ich gerade gelesen. Habe mich natürlich sofort angesprochen gefühlt. Also auf ins KaDeWe und eine sauteure Gänsekeule gekauft. Diese Gans hatte ein schönes Leben auf einem Bio-Hof im Oldenburgischen und ihr Leben lang davon geträumt, bei einem sexy Mann wie mir in der Küche zu landen. Als Rezept hatte ich mir aus dem Internet einen Mix von Sterne-Köchen zusammengestellt. Das Resultat war ein Gedicht, the best ever. Am liebsten hätte ich noch kurz einen von den Tannenbäumen nach oben geholt, die jetzt schon auf der Straße liegen und Weihnachten 2.0 gefeiert.
Aktuelles Thema bei uns: der Schnee. Die Bayern tun so, als ob das Ende der Welt gekommen sei. Ich habe mich an meine Kindheit in Berchtesgaden erinnert und ein Foto für dich rausgekramt. Mein kleiner Bruder und ich hatten aus den Schneemassen vor unserer Wonung eine tolle Normannenburg gebaut mit einem Dach aus Schnee und Eis, also eigentlich das erste bayerische Iglu. Schulfrei wie heute gab es zu der Zeit natürlich nicht. Warum auch? Wir sind dann eben einfach mit Skiern in die Schule gefahren und haben unsere Skier unter den Fahrradständern abgestellt. Und was ist heute? Ein Volk von Jammerlappen bleibt lieber im Bett und wartet, bis der Schnee schmilzt.
Zum Schluss noch Ernest Hemingway: „Glück, das ist einfach eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis“. Soll ich dir wirklich beides wünschen? Entscheide du.