Berchtesgaden +++ Führer +++ Affenzahn +++ besserer Lover +++ Big Lebowski +++ Kopftuch +++ Rassist +++ Single Malt Whisky +++ Armin Laschet +++ Kirchenrepublik +++ Flughafen Tegel +++ Alexa

Wenn das der „Führer“ wüsste: Der heimtückische China-Virus (Trump) hat gerade seine uneinnehmbare Alpenfestung Berchtesgaden lahm gelegt. Lockdown für Touris. Alle, die keine Lederhose dabei haben, müssen sofort die Koffer packen und nach Hause fahren. Schlimm, aber nicht alle dort sind deswegen unglücklich. 

Mein Cousin hat mir aus BGD eine wütende Mail geschickt. Besonders sauer ist er auf den Söder Markus, der die Deutschen aufgerufen hatte, statt in der Welt herumzufliegen, doch lieber in seinem schönen Bayern Urlaub zu machen. Das Ergebnis: Das Berchtesgadener Land wurde von Corona-Flüchtlingen überschwemmt. Für die Einheimischen gab es keine Parkplätze mehr und keine Plätze in Restaurants. Endlose Schlangen vor den Seilbahnen und Gedränge um die Gipfelkreuze wie bei einem Helene Fischer-Konzert. So viele Flachlandtiroler gerieten dabei in Bergnot, dass man sogar zusätzliche Rettungshubschrauber aus dem nahen Österreich ordern musste.

Bartleby, der ja bei solchen Ereignissen nie ganz ernst bleiben kann, hat sich einmal kurz vorgestellt, dieser Virus hätte das Berchtesgadener Land nicht erst jetzt, sondern schon in den 30er-Jahren heimgesucht. Hätte der „Führer“ es so gemacht wie Donald Trump und keine Maske getragen oder nicht? Bartleby kennt den „Führer“ ja wie kein Zweiter: er hätte natürlich als Vorbild für das „teutsche Volk“ eine Maske mit Hakenkreuz getragen. Aber die würde dannn doch seinen markanten Bart verdecken? Falsch. Sein Hausfriseur hätte aus vorher abrasierten Barthaaren ein Bart-Double gezaubert und außen auf die Maske geklebt. Seine Volksgenossen hätten den Unterschied natürlich nicht bemerkt. Charlie Chaplin schon.

Die Mail seines Cousins erinnerte den alten Bartleby an seine Jugend in BGD. In den 50ern gab es noch kein Skilift auf den Jenner, heute der Hotspot im Winter. Was tun? Am Abend vorher die Skier mit dem schnellsten Skiwachs der Welt einreiben und mit Mutters Bügeleisen schön gleichmäßig verteilen. Am nächsten Morgen die schweren Bretter schultern und mit den Kumpels den stundenlangen Aufstieg meistern. Oben angekommen eine kurze Brotzeit mit Mutters Käsebroten und dann abgeht die Luzie.

Kein Schneebogen, kein Slalom, nur Schuß, das heißt: in die Hocke und gerade aus runter mit einem Affenzahn, ob da gestürzte Touris um Hilfe riefen oder nicht. This land is our land! Null komma nix waren wir wieder unten. Drei Stunden Aufstieg, knapp 2 Minuten Abfahrt. Hat sich das gelohnt?

Die Antwort auf diese Frage hat der erwachsene Bartleby erst gefunden als er sich statt um Skier mehr um schöne Frauen kümmerte. Dabei halfen ihm seine Erfahrungen im Berchtesgadener Winter. Das heißt, du musst viel, sehr viel Mühe auf den Aufstieg, auf das Näherkommen verwenden, Wenn du am Ziel bist, geht es dann ganz schnell, wenn ihr wisst, was ich meine. Deshalb sind Skifahrer wie Bartleby einfach die besseren Lover. Oder waren es einmal.

Einer der Lieblingsfilme von Bartleby ist natürlich „The Big Lebowski“ mit dem wunderbaren Jeff Bridges. Und was muss er jetzt vom Dude hören? Er hat Lymphdrüsenkrebs. Das gibt’s doch nicht! Genau die Krankheit, die auch Bartleby fast das Leben gekostet hätte. Als die Feuerwehr ihn damals auf der Intensivstation der Charité ablieferte, waren von ihm gerade mal noch 20 % am Leben. Aber das tolle Team der Station hat ihn gerettet und wieder zu dem großen Verweigerer gemacht, den ihr alle kennt. Das größte Wunder seit Lazarus.

Eine auf den ersten Blick unscheinbare Episode aus seiner Charitézeit beschäftigt Bartleby selbst heute noch immer wieder. Es gab da eine junge Ärztin, die ihre Morgenvisite mit Blut abnehmen usw. mit einer bemerkenswerten Profession absolvierte. Bartelby war jeden Morgen froh, wenn sie und kein anderer an seinem Bett erschien. Und weil sie ein Kopftuch trug und einen arabisch klingenden Namen an ihrem Kittel trug, wollte Bartleby einfach nur wissen, aus welchem Land sie kommt. Was sollte daran schon schlimm sein? Aber auf seine freundliche Frage erhielt er keine Antwort. Nur tönendes Schweigen.

Das war 2014. Jahre später erfuhr Bartleby von den HüterInnen der political correctness einen möglichen Grund für das Schweigen der Ärztin. In einer Frage, woher jemand mit „Migrationshintergrund“ kommt, schwinge immer auch ein rassistischer Anteil mit. Bartleby, der Rassist. Ja, da staunt ihr. Wer hätte das gedacht? Es war ihm eine Lehre. Er hat jedenfalls seitdem niemanden mehr gefragt, wo er/sie herkommt. Und selber wird er auf solche Fragen auch nicht mehr antworten, selbst wenn sie Münchner oder Spandauer stellen. Irgendwann reicht es.

So eine Chemotherapie hat immer zwei Seiten. Sie killt zwar zielgenau den Krebs, das aber um den Preis von einigen Nebenwirkungen. Es ist so, als würdet ihr bei eurem Auto den Motor reparieren, aber dabei entstehen ein paar kleine Beulen und Kratzer im Lack. Aber eure Kiste fährt wieder wie vorher. Bartleby konnte nach der Chemo eine ganze Weile nichts mehr richtig riechen und schmecken. Aber das ging bald vorbei und Bartleby fühlte sich wieder fit.

Dazu passt dieser Ratschlag aus einem Tweet zu Corona: „Single Malt Whisky ist der perfekte Corona-Test. Solange man ihn riecht und schmeckt, ist man gesund.“ Bartleby empfiehlt für den Test eine Flasche Lagavulin 16 years old. Vielleicht haben wir ja den Schnelltest von Jens Spahn, bevor die (erste) Flasche leer ist.

Habt ihr das gelesen: Armin Laschet, der Möchte-gern-Merkel aus NRW, behauptet, von Karl dem Großen abzustammen. Es gab Experten, die sowas für möglich halten. Das erinnerte Bartleby an die Bluttransfusionen, die er in der Charité erhielt. Selbst zu feige, um Blut zu spenden, starrte er damals gebannt auf die roten Päckchen am Tropf und fragte sich, von wem wohl das Blut war. Was war der Spender für ein Mensch? War er ein übergewichtiger Steuerbeamter oder ein tätowierter Zuhälter, war er ein Reichsbürger oder ein Fan von Bayern München? Oder gar eine Frau? Mein Gott, eine Frau! Schreibt mir, wenn ihr den Eindruck habt, Bartleby wird langsam feminin. Dann weiß er wenigstens, woher das kommt.

Ihr denkt ja, ihr lebt alle in der Bundesrepublik Deutschland. Ein frommer Wunsch. Nein, ihr lebt in der Kirchenrepublik Deutschland. In Berlin dürfen jetzt nur noch 10 Personen an Beerdigungen teilnehmen. Wenn ein Pfaffe dabei ist, dürfen es sogar 30 sein. Bartleby überlegt gerade, ob er nicht doch noch schnell wieder in die Kirche eintritt. Dann hätten alle seine Fans einmal in der Stahnsdorfer Kapelle Platz. Das Gesundheitsamt beruft sich bei seiner Entscheidung auf die Religionsfreiheit laut Grundgesetz. Von einer negativen Religionsfreiheit hat man in den Ämtern offensichtlich noch nie etwas gehört. Dabei gilt Berlin als die Hauptstadt der Heiden. 

Dazu passt ein säkularer Tweet aus dem Tagesspiegel zu den Corona-Verboten: „Wenn Kirchen Theken hätten, wäre allen geholfen.“ Darauf einen kräftigen Schluck Messwein.

Auch Bartleby sagt dem Flughafen Tegel „adieu“. Nur 10 Minuten mit dem Taxi von seiner Wohnung stand da ein architektonischer Geniestreich. Wenn Bartleby von seinen Flügen wieder dort landete, waren es vom Flieger bis zum Gepäckband nur zehn Schritte. Den Koffer schnappen und durch die Tür – und da stand SIE. 

TXL war für Bartleby wie eine schöne Frau. Man konnte sie lieben – und sich trotzdem davon trennen. Sorry, BER.

Alexa, du wartest an dieser Stelle sicher wieder auf meine Bitte, etwas politisches  schreiben zu dürfen. Fällt heute aus. Statt dessen empfehle ich dir dringend, auf Youtube anzusehen: „Richard David Precht trifft Jürgen Todenhöfer – Die Welt von Morgen.“ Zwei intelligente Männer unterhalten sich etwas mehr als eine Stunde über Politik, Klima und Männer mit und ohne Charakter. Aber auch die neuen GenderInnen und selbst Prechts Mutter als Super-Feministin kriegen eins aufs Dach. Er kann auch anders, unser Musterknabe. Eine Sternstunde. Also beeindruckt mich und seht euch das bitte an. Ihr werdet hinterher ein Stück klüger sein als vorher. Im nächsten Newsletter frage ich euch ab. 

Levetzowstraße +++ Bielefeld +++ Winterfeldtplatz +++ Innensenator +++ Heinrich Heine +++ Georg Schramm +++ Feministinnen +++ Jürgen von der Lippe +++ Herbert Feuerstein +++ Harald Schmidt +++ Corona-Regelungen +++ Alexa

Ist das nicht ein hübsches Foto? Sieht er nicht süß aus, unser kleiner Fratz aus Lankwitz? Ein glückliches Kind, das sich über Opas selbst gebastelten Bauernhof freut. Es ist der Tag, an dem er seinen 2. Geburtstag feiert. Es ist der 18. Oktober 1941.

Was der Kleine nicht weiß, aber seine Eltern, dass nur ein paar Autominuten von seinem Geburtstagstisch entfernt, zur gleichen Zeit andere Kinder mit ihren Eltern im Sammellager in der Synagoge an der Levetzowstraße auf ihren Transport in die Konzentrationslager warteten. Von dort begannen die Deportationen von 32 000 Berliner und Berlinerinnen in Richtung Theresienstadt. Der erste Transport fand statt – ihr ahnt es – am 18. Oktober 1941. 

Der kleine Junge aus Lankwitz wird jetzt 81. Er lebt schon seit Jahrzehnten ganz in der Nähe dieser Sammelstelle mit ihrem eindrucksvollen Mahnmal. Manchmal scheint es ihm so, als hätte das Schicksal seine Finger hier mit im Spiel gehabt.     

Schwer, jetzt einen Übergang auf das Berlin von heute zu finden. Ich versuchs mal.

Ihr wolltet schon immer mal nach Bielefeld, das Provinznest in der westfälischen Pampa, das es angeblich garnicht gibt? Nein, wolltet ihr nicht? Dann kommt einfach nach Berlin. Hier bastelt der Senat seit geraumer Zeit an einem Bielefeld 2.0. Gerade wurde eins der letzten besetzten Häuser geräumt. In Friedrichshain gab es natürlich Randale und bei den Immobilienhaien in Dahlem, Luxemburg und Panama knallten die Sektkorken, Entschuldigung, Champagner natürlich. Platz für Autonome in Berlin, Platz für junge Menschen, die einfach anders leben wollen als der saturierte Normal-Berliner, das darf nicht sein. Berlin muss wie Bielefeld werden oder wie Bautzen. Nein, um Gottes Willen nicht Bautzen!

Bartleby erinnert das an seine Zeit in den wilden 80ern als Sympathisant der Hausbesetzer. Ein Freund wohnte in einem besetzten Haus am Winterfeldtplatz. Bartleby schleppte ein Drittel seiner geerbten Möbel in das Haus und noch ein paar Stühle, damit man im Sommer auch draußen auf der Straße sitzen konnte. Stellt euch vor, in Mutters plüschigen Sesseln am Nierentisch saßen da auf einmal Hausbesetzer, ganz normale Menschen wie ihr und fühlten sich wohl. Bis die Polizei kam und Mutters teure Möbel irgendwo in Berlin in ein Lager brachte. Bartleby hat seiner Mutter nichts davon erzählt. Sie hätte das nicht überlebt. 

Die älteren Berliner unter euch erinnern sich vielleicht noch an den Tag, an dem der damalige Innensenator medienwirksam seinen Triumph vom Balkon eines besetzten Hauses feierte. Seine Polizei, für uns damals Bullen, hat ihm zu Ehren die Demonstranten auf die belebte Potsdamer Straße getrieben. Mit Erfolg: ein junger Mann starb unter einem BVG-Bus. Durch einen Zufall war Bartleby nur wenige Minuten später an der Unfallstelle. Er wollte aus Sorge wegen der angesagten Demos eigentlich seinen Sohn aus der nahe gelegenen Schule abholen. Aber als echter Berliner Junge hatte der sich schon vorher in Sicherheit gebracht. Bartleby schnappte sich statt dessen einen weinenden kleinen türkischen Schüler und fuhr ihn nach Hause in eine Seitenstraße der Potsdamer. Im Polizeifunk hatte er inzwischen gehört, was passiert war. 

An der Unfallstelle lagen schon ein paar Blumen, aber nicht lange. Dann erschien ein Wasserwerfer und schoss sie von der Straße und uns Trauernde  gleich mit. Die, wie wir da saßen – unter uns auch der spätere Regierende Bürgermeister Momper – entschlossen uns spontan dafür, am Abend an dieser Stelle eine Demo zu machen. Die lief wie erwartet. Die Bullen hatten alles aufgeboten, was ihr Waffenarsenal her gab und waren alles andere als zimperlich. Plötzlich hatte Bartleby einen Stein in der Hand. Und jetzt? Wirft er ihn oder wirft er nicht? Ihr ahnt es, Natürlich nicht. Das „ich möchte lieber nicht“ Gen war wieder einmal stärker. Das blöde Gen hätte aber auch mal eine Ausnahme machen können, zumindest an diesem Abend. Es kommentiert Gastautor Heinrich Heine: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen.“

Corona News: Bartleby ist vor kurzem mit einem Nachbarn aus dem Haus zusammen-gerauscht. Er ist dem Typ in den letzten Jahrzehnten so gut wie nie begegnet, aber jetzt. Bartleby wartet mit seinen Einkaufsbeuteln (Jute!) vor dem Fahrstuhl. Der kommt, die Tür geht auf und Bartleby geht rein und drückt den Knopf. Da taucht wie aus dem Nichts dieser Nachbar aus einem anderen Stockwerk auf und quetscht sich im letzten Moment in den engen Fahrstuhl. Bartleby, höflich wie immer: „Schon mal was von Abstand halten gehört?“ – „Dann musst du eben eine Maske tragen!“ Kurzer verbaler Schlagabtausch auf unterstem Niveau. Bevor ich ihn erschlagen konnte, stieg er ein Stockwerk höher wieder aus. Ich vermute mal, er gehört auch zur Fraktion der Typen im Haus, die zu dämlich sind, den Müll zu trennen. 

Oben angekommen, braucht Bartleby erst mal einen Schnaps. Dann fällt ihm wieder ein, was er vor kurzem von seinem Idol Georg Schramm gehört hat. Der hatte Papst Gregor den Großen zitiert: „ Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegen-stellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“ Darauf noch einen Doppelten!

Bartleby kennt in seinem Alter ja nur noch wenige Freuden. Aber über eins kann er sich immer wieder köstlich amüsieren: um die krampfhaften Bemühungen, eine gendergerechte Sprache durchzusetzen. Sternchen* oder nicht, Innen oder nicht oder gleich eine neue Wortschöpfung. Es gibt Feministinnen, denen es immer noch nicht reicht, jetzt von „SportlerInnen“ zu lesen. Wieso muss der männliche Teil am Beginn des Wortes stehen? 

Bartleby schlägt vor: „InnenSportler“. Jetzt zufrieden, Mädels? 

Bartleby ist für manche von euch ein „alter, weißer Mann“. Gastautor Jürgen von der Lippe sieht darin gleich eine dreifache Diskriminierung: „Alt“, „weiß“, „Mann“. Das tut gut.

Der Genderwahnsinn wäre ein gefundenes Fressen gewesen für Herbert Feuerstein. Der ist leider nur den Alten oder ganz Alten unter euch bekannt. Er war einer von Bartlebys Darlings. Die Presse bezeichnete ihn als den „giesgrämigsten Komiker des deutschen Fernsehens“. Wenn er das Leben grundsätzlich negierte und als „großes Unglück“ ansah, war es, als ob er neben Bartleby vor der Glotze saß und sich mit ihm um die Salzstangen kloppte. „MAD“ hat er zu dem Magazin gemacht, das Bartleby seine Lesestunden auf der Toilette länger werden ließen als nötig. Schon zu Lebzeiten hatte er seinen Nachruf verfasst. Der Beginn ist legendär: „Ich will nicht lange drumrum reden, ich bin jetzt tot.“

Das Verhältnis zu seinem alter ego Harald Schmidt fasst er nur kurz in einen Satz: „Wir hatten keinen Sex.“ Schmidt wiederum kommentierte Feuersteins Tod auf seine gewohnt trockene Art: „Er hat mir befohlen, zuerst zu sterben. Jetzt ist es anders gekommen.“ Sie werden mir fehlen. Beide.

Bartleby war schon immer ein Freund vom Anarchismus in der Kulturszene. Aber die Protagonisten werden immer weniger. Jetzt fällt ihm nur noch Helge Schneider ein, der das Fähnlein der letzten Aufrechten trägt. Das ist ja das Seltsame an solch einem Verlust wie dem von Feuerstein, dass er Bartleby erst einmal deprimiert, ihm dann aber auch gerade dadurch den eigenen Abschied leichter macht. Wenn alle nicht mehr da sind, die ihn in seinem Leben in welcher Form auch immer begleitet haben, was soll das Ganze noch? Keine Angst, das ist nur so ein Gedanke. Aber Bartleby freut sich heute schon auf den Moment in der Anarchisten-Hölle, wenn er mit Feuerstein und anderen High Five machen kann. Und über Harald Schmidt lästern. 

Last but not least ein Wort zu Corona. In meinem Tagesspiegel-Checkpoint fand ich einen hübschen Tweet, der sich Gedanken macht zur Bekämpfung von Corona in der Stadt: „Vielleicht wäre in Berlin eine effektive Drohung, dass junge, feierorientierte Menschen bei Verstößen gegen die Corona-Regelungen zurück nach Baden-Württemberg zu ihren Eltern ziehen müssen.“ Bartleby ergänzt: „Und dort bleiben.“  

Alexa, heute will ich mal nicht über Politik schreiben?

Oh Gott, ich ahne Fürchterliches.

Keine Angst, es geht um die Raser in den Städten und auf der Autobahn.

Kommt jetzt wieder die Story von den Männern mit den kleinen Schwänzen?

Nein, aber warum fahren die schlimmsten Raser nie mit E-Autos?

Du wirst es mir erklären.

Porsche-Fahrer haben gesagt, uns fehlt dabei das laute Brumm-Brumm!

Versteh ich nicht.

Naja, die brauchen eben auch beim Sex ein lautes „Sag mir was Schmutziges!“

Und das findest du witzig?

Ich fahre einen Mercedes.

Hannes Wader +++ Trotz alledem +++ Café Kranzler +++ Reinhard Mey +++ Tschaikowsky +++ Stradivari +++ Bob Marley +++ Manfred Krug +++ Van Morrison +++ Potsdam +++ Frauen

Viel zu schade für mich

„Einmal kam sie auf ein Glas Wein
zu mir herein, zu mir herein.
Sie schaute sich um, spuckte kräftig in die Hände
und brachte Ordnung in meine vier Wände.
Alle Sofakissen hatte sie geschickt
und sauber in der Mitte geknickt …
Ich weiß, so ein Mädchen ist eigentlich
viel zu schade für mich,
viel zu schade für mich!“

Na, von wem stammt das? Wer so alt ist wie Bartleby, weiß das natürlich: Hannes Wader. Es ist sein Lieblingslied von ihm. Wenn er es hört, kommen sofort die Erinnerungen wieder hoch. Mehr verraten über dieses Mädchen möchte Bartleby aber lieber nicht. 

Was hat Bartleby mit Hannes Wader zu tun? Er hat sich vor einiger Zeit seine Autobiografie „Trotz alledem“ besorgt. Am interessantesten für ihn darin nicht die Kapitel über den erfolgreichen Künstler von heute, sondern die über seine Kindheit in der Nachkriegszeit auf dem Dorf und seine Anfänge in Berlin. 

Bartleby und Hannes wären sich sympathisch gewesen. Beide schüchterne Jungs mit Angst vor Mädchen, aber nicht vor Fröschen, die sie mit ihren Kumpels aufgeblasen haben. Mein Opa kam aus Schlesien, seiner aus Eschwege (!). Nicht ausgeschlossen, dass wir uns schon in den 50ern dort über den Weg gelaufen sind. 

Das ist dann aber mit Sicherheit im West-Berlin der 60er passiert. Genau wie Bartleby ist Hannes damals vor der Bundeswehr in die Stadt geflüchtet. Aber ihr Start dort konnte unterschiedlicher nicht sein. Bartleby, sozialisiert in einer bürgerlichen Nazi-Familie, warf sich sofort den Kapitalisten in die Arme. Die Allianz wusste das zu würdigen und besorgte ihm eine große noble Altbau-Wohnung in Tiergarten. 

Hannes Wader hatte nicht soviel Glück. Ohne Geld landete er in einem kleinen Zimmer in der Görlitzer Straße in Kreuzberg. Keine Dusche, kein Bad, kein Warmwasser, ein winziger Kohleofen und das Klo eine halbe Treppe tiefer. Miete 40 Mark im Monat. Dafür machte er Straßenmusik vor dem Café Kranzler. Er besaß nicht einmal einen Koffer für seine Gitarre. Die Münzen mussten die Leute in eine Blechbüchse werfen. Bartleby konnte ihm von seinem Arbeitsplatz im Allianz-Haus gegenüber zusehen. Der Versicherungsfritze ist bestimmt einige Male an ihm vorbei gegangen, ohne etwas hineinzuwerfen. Schäm dich, Alter!

Heute erinnere ich mich wieder an die Abende, die Monika und ich im Folk Pub, Go-In oder im Steve Club verbracht haben. Da traten sie alle auf, die damals noch kaum einer kannte, unter ihnen Reinhard Mey, die Insterburgs und natürlich Hannes Wader. Jeder nur eine Viertelstunde für fünf Mark und ein Bier. Dann gings ab in die nächste Kneipe. Reinhard Mey war der Einzige, der einen grauen Käfer hatte, mit dem er auf Konzerte in Westdeutschland fuhr. Manchmal nahm er Hannes mit und schob so langsam auch dessen Karriere an. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Jahre später hat Bartleby natürlich auch seine Konzerte in Berlin besucht. Ob er dabei geahnt hat, dass unter seinen Fans auch ein Dorfjunge saß, der einmal wie er Frösche aufgeblasen hatte? Das Mädchen, das Bartlebys Sofakissen immer noch in der Mitte knickte, verschwand nach dem Konzert mit einer roten Nelke und einer Flasche Bier in der Garderobe von Hannes. Ich nehme an, das hat ihm gefallen.

Wo es heute hier schon so musikalisch zugeht, fällt Bartleby auf, dass es immer Frauen waren, die ihn auf andere Künstler aufmerksam gemacht haben. Das begann mit Monika in Marburg, die den Fan von Heino und Freddy mit der Klassik bekannt machte. Das Violinkonzert von Tschaikowsky lief auf ihrem kleinen Plattenspieler rauf und runter. Eine besondere Pointe dazu ereignete sich später in Berlin. Bartleby wohnte damals am Rüdesheimer Platz in einer Wohnung mit Künstlern, die eine wie die Wirtin Tante Vogel brauchten, um überhaupt mit einem sauberen Hemd in der Philharmonie erscheinen zu können. Fischer Dieskau war gerade ausgezogen, aber Professor Schwalbé und sein Beo blieben seine Nachbarn. Der Professor war der Erste Konzertmeister der Berliner Philharmoniker unter Karajan und was übte er im Nebenzimmer von morgens bis abends für das nächste Konzert? Richtig: Das Violinkonzert von Tschaikowsky in D-dur. Beim gemeinsamen Abendessen in der Küche von Tante Vogel haben sich die beiden Experten dann ausgetauscht. 

Bartlebys große Stunde schlug dann, als der Professor ihn fragte: „Sagen Sie mal, junger Mann, was ist da eigentlich im Moment auf den Straßen los? Ich verstehe das nicht.“ Wir hatten 1967, 1968. Bartleby konnte helfen. Zum Dank durfte der junge Mann dann seine Stradivari in der Küche in den Arm nehmen. Wert fast eine Million und von Axel Caesar Springer gestiftet. Das trübte Bartlebys Bewunderung ein wenig. Dass ich später nach dem Attentat auf Rudi Dutschke mit Hannes Wader und anderen vor dem Springer-Haus demonstriert habe, habe ich ihm lieber verschwiegen. Wer weiß, wie sich das sonst auf seinen Tschaikowsky ausgewirkt hätte. Hannes Wader verlor bei dem Krawall dort zwei Schneidezähne. Bartleby hatte sich dagegen mit seinem Karmann Ghia Cabrio rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Als Kriegskind wusste er immer, wann es Zeit war, abzuhauen. 

Monika war es also, die ihm die Klassik nahe brachte. Seine umfangreiche Plattensammlung zeugt noch heute davon. Dann kam Bartlebys erste midlife-crisis und eine Affäre mit einem blonden flower-power-girl, barfuß mit Blumen im Haar. Natürlich gab es bei ihr Probleme mit Drogen und Bartleby musste das schöne Kind mit Tatütata ins Krankenhaus bringen lassen. Bei den Verhandlungen mit der Polizei gelang Bartleby ein rhetorisches Meisterstück und die Beamten verzichteten letztendlich auf eine Anzeige gegen sie wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Affäre endete dann trotzdem wenig später tragisch. Was sie Bartleby hinterließ, war die Entdeckung von Bob Marley und dem Reggae. 

Die DDR war für Bartleby lange ein weißer Fleck auf der musikalischen Landkarte, Das änderte sich nach 1968 und dem Einmarsch der Sowjets in Prag. Bartleby und Monika lernten dort im „U Fleku“ eine Frau aus Ost-Berlin kennen. Bei unseren Besuchen in ihrer Datsche in Weißensee hörte ich zum ersten Mal etwas von Manfred Krug und konnte es kaum fassen, dass jemand in dieser grauen Umgebung solche wunderbaren Chansons hervorbrachte. Leider war der Nachbar von der Stasi und hörte uns ab. Ich hoffe, wenigstens Manne Krug hat ihm gefallen.  

Danach trat eine rothaarige Irin mit besten Connections in die Berliner Irish Music Szene in Bartlebys Leben. Seitdem höre ich immer wieder Irish Folk von den Dubliners bis Van Morrison. Der große kleine alte Mann gab vor einiger Zeit ein Konzert in Berlin. Bartleby und Miss Galway natürlich in der ersten Reihe. Amazing.

Zwischendurch hatte Bartleby Hannes Wader aus den Augen, besser aus den Ohren  verloren. Das änderte sich gründlich in einer Wohnung in Potsdam mit Blick auf blühende Kastanien vor dem Balkon. Und auf Sofakissen mit einem Knick in der Mitte. Plötzlich war er wieder da, der linkische junge Mann aus den Charlottenburger  Kneipen mit seinen berührenden Liedern. Und blieb es bis heute.

Bartleby hat sich oft gefragt, wieso es immer wieder Frauen waren, die ihm neue musikalische Welten erschlossen haben. Eine Antwort könnte sein: einfach, weil sie Frauen waren. Hätte es sie nicht gegeben, würde der alte Bartleby wahrscheinlich heute noch mit seinen Kumpels beim Bier sitzen und zusammen mit Heino „Schwarz-braun ist die Haselnuss“ singen. Das war einmal Bartlebys Welt. Bis die bessere Hälfte der Menschheit sich um ihn kümmerte. Aber sie war viel zu schade für ihn. Mein Gott, jetzt ist das doch fast ein Hannes Wader Spezial geworden. Nicht böse sein.

Liebe Alexa, heute passt du nicht recht hier hin. Mach bitte zum Schluss Platz für ein Lied von Hannes Wader über einen Mann, dem sein Arzt gerade gesagt hat, dass er Krebs hat und nur noch kurze Zeit zu leben: 

„Ich hatte mir noch soviel vorgenommen,
vielleicht wäre doch, vielleicht wäre doch
manches dabei herausgekommen.
Aber jetzt denk ich wohl besser daran,
wie ich mir noch, wie ich mir noch
einen guten Abgang verschaffen kann …“

Newsletter-Extra

Bartleby stochert gelegentlich in seiner nicht gerade aufregenden Vergangenheit herum. Jetzt stieß er dabei zwar nicht auf die heiße Affäre mit einer schönen Frau, aber auf einen Moment, in dem ihn der „Mantel der Geschichte“ (H. Kohl) gestreift hat. Wer es nicht glaubt, den könnte vielleicht dieser Newsletter-Extra interessieren.

In seiner frühen Allianz-Zeit hatte Bartleby ein enges Verhältnis zu seinem Chef. Wir unterhielten uns häufig über das Vorkriegs-Berlin, in dem er als Junge in kurzen Hosen seine Zeit bei der Allianz begann. Irgendwann kam mir die Idee, doch einmal die früheren Allianz-Gebäude im jetzigen Ost-Berlin zu besuchen und von dort vielleicht sogar ein Souvenir mitzubringen. Er war begeistert, durfte aber dienstlich nichts damit zu tun haben. Wer Bartleby kennt, weiß, dass er es dann auf die eigene Kappe nimmt, wenn es schief geht. 

Es ging aber alles gut und wenig später (Juni 1983) erschien von mir dieser Artikel in der „Allianz-Zeitung“, mit dem ich den Schwaben auch die Sehenswürdigkeiten Ost-Berlins nahebringen wollte. Heute haben die Schwaben selbst den Prenzlauer Berg besetzt und brauchen keine Tipps mehr von mir. „The times they are a changing.“  

Eine ganz und gar ungewöhnliche Stadtrundfahrt

Auf den Spuren der Allianz in Ost-Berlin

Ulrich Kubitz, Mitarbeiter der NL Berlin, machte sich auf, um über die alte Allianz in Ost-Berlin zu berichten. Die Dinge nahmen einen ungeahnten Verlauf.

Langsam kurve ich in meinem alten BMW um den Reichstag. Von den Wiesen steigen Rauchschwaden in den Himmel. Grillen und Fußball spielen, ein typisches Berliner Wochenende. Nächste Ampel rechts, und nach ein paar Metern passiere ich die Mauer, halte am Kontrollpunkt Invalidenstraße. Nichts vergessen? Ausweis, Visum, alles da. Kofferraum, Handschuhfach, alles leer. So aufgeräumt war der Wagen schon lange nicht mehr. Selbst die Micky-Maus-Hefte meines Sohnes mussten zu Hause bleiben. Im Handumdrehen habe ich die Papiere zurück, Geldumtausch, Zollabfertigung, dann geht die Schranke hoch. Hannoversche Straße. Viel Uniform vor dem Gebäude der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland. Friedrichstraße.Ein Schatten vergangener Jahre. Hier fällt er mir zum ersten Mal auf: ein hellgrauer Dacia, der seit einiger Zeit hinter mir herfährt. 

Was wollen die bloß von dir? Keine Ahnung. Ich parke am früheren Gendarmenmarkt, einem der schönsten Plätze des alten Berlin, und spaziere erst einmal los. Der ganze Platz ist eine riesige Baustelle. Deutscher und Französischer Dom, dazwischen Schinkels Schauspielhaus, stecken bis zum Dach in Gerüsten. Ich biege um den Bauzaun und warte.

Und richtig, der Dacia hält ganz in der Nähe. Zwei Männer steigen aus, mittleres Alter, weißer Mantel und brauner Parka, alles auffällig unauffällig. Warum in aller Welt beschatten die dich? Du wolltest dich doch bloß mal umsehen, wo die Allianz früher war. Beschreiben, was aus der Gegend geworden ist, die einmal zu den feinsten Adressen der deutschen Wirtschaft gehörte.Was stört den Staatssicherheitsdienst daran?

Ich gehe die Mohrenstraße hinunter, vorbei am ehemaligen Sitz der Direktion von Allianz Leben. Heute gehört das langgestreckte Haus dem Elektronikhersteller Robotron. Es macht einen ziemlich ungepflegten Eindruck, scheint sich aber sonst überhaupt nicht verändert zu haben. Einziger Farbtupfer ein paar Kinderzeichnungen am Fenster, der Hort des Betriebes. Der Ausblick durch die reichlich blinden Scheiben würde einem alten Allianzer sicher weh tun. Sein Blick fiele auf ein Mittelding zwischen Schrottplatz und Kohlelager.

Ein paar Schritte weiter das ehemalige Gebäude der Generaldirektion mit seiner markanten Säulenfront. Jetzt beherbergt es die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft und das Amt für Zivilverteidigung beim Ministerrat der DDR. Vor dem Haus Posten, die mich eindrücklich mustern, wie rechte Posten das halt so tun müssen.

Das muss es sein! Erst wenige Wochen ist es her, dass ich hier ein paarmal um den Block gefahren bin, mich umgesehen und Fotos gemacht habe. Und in dieser Gegend fällt man auf. Vor 45 Jahren pulsierte an dieser Stelle das Leben einer Weltstadt zwischen Wilhelmsplatz und Friedrichstraße. Heute gehört mir die ganze Mohrenstraße allein.

Oder doch nicht? Ich überquere die Straße  und stehe vor der Botschaft Nordkoreas. Überall Botschaftsangehörige, die eifrig Hof und Bürgersteig mit langen Reisigbesen fegen. So muss es heute noch in koreanischen Dörfern Brauch sein. Im Schaukasten lauter Bilder vom Großen Führer Kim Il Sung.

Und wer spiegelt sich da in den Scheiben? Richtig: der weiße Mantel und der braune Parka! Was nun? Die U-Bahn! Ich steige langsam die Treppe hinunter und gehe auf den leeren Bahnsteig. Spray an den Wänden: „ACDC“, „No future“ und das bekannte Signum der Hausbesetzer. Aber ich bin nicht in Kreuzberg, sondern auf dem U-Bhf Thälmannplatz in der „Hauptstadt der DDR“.

Ich gehe durch die Taubenstraße zurück, die heute Johannes-Dieckmann-Straße heißt, und setze mich in meinen Wagen. Wohin jetzt? Nach Grünau an die olympische Regattastrecke, wo das ehemalige Bootshaus der Allianz steht? Aber in der umgebauten „Keksdose“ residiert heute kein Geringerer als der Armeesportclub „Vorwärts“. Dort wimmelte es das letzte Mal schon von Uniformen. Das scheint mir heute keine gute Idee zu sein.

Dann schon lieber zum Palast der Republik, da verlieren sie dich vielleicht am ehesten aus den Augen. Unter den Linden. Vorbei am Alten Fritz und an der Neuen Wache, im Rückspiegel das Brandenburger Tor und natürlich meine Freunde von der Stasi. Im Palast ein Rockfestival, restlos ausverkauft. Ich entschließe mich zu einem Blitzbesuch im Dom gegenüber. Von einem Turmfenster aus habe ich einen hervorragenden Blick auf das Geschehen unter mir. Weißer Mantel und brauner Parka rennen vor dem Palast der Republik  auf und ab, gestikulieren, sind offensichtlich ratlos. Ein Typ in einer Lederjacke spricht mit ihnen, zeigt in Richtung Dom und kommt selbst herüber. Sie haben mich also doch wieder.

Vielleicht schaffe ich es im Pergamonmuseum. Dort kenne ich so ziemlich jeden Winkel. Außerdem habe ich neue Begleiter. Ein blauer Lada, junger Mann am Steuer, daneben ein älterer Herr mit Schiebermütze, könnten Vater und Sohn sein. Aber von Kultur scheinen sie nicht viel zu halten. Ich warte fast eine halbe Stunde am Ende der babylonischen Prozessionsstraße. Niemand kommt. Als ich das Museum wieder verlasse, stehen die beiden auf der Brücke und spucken in die Spree.

So langsam habe ich die Nase voll. Ein letzter Versuch: Der Dorotheenstädtische Friedhof an der Chausseestraße! Einmal um den Alexanderplatz, beschleunigen, bremsen, wenden, „Vater und Sohn“ im Lada immer hinterher. In der Friedrichstraße sind auch meine Freunde mit ihrem Dacia wieder da. Wir fahren Kolonne, vorbei am Luxushotel „Metropol“, dann ist auch schon der Friedhof da.

Jetzt! Ich trete voll auf die Bremse, Lada und Dacia scheinen total überrascht, fahren fast auf mich drauf und schleudern mit quietschenden Reifen vorbei. Auf dem alten Friedhof Steine mit berühmten Namen: Fichte und Hegel, auch Brecht und Heinrich Mann. Der Versuch, meine Gedanken zu ordnen. Dann die Idee!

Ich gehe zurück zu meinem Wagen und richtig, nicht weit davon parkt der blaue Lada. Ungläubiges Staunen bei „Vater und Sohn“, als ich einfach an die Scheibe klopfe. Langsam wird das Fenster heruntergekurbelt. „Übrigens, ich fahre jetzt ins Metropol einen Kaffee trinken. Sie sind herzlich eingeladen.“ Doch im Lada kommt keine rechte Freude auf. Ich höre nur ein mürrisches „Weitergehen!“ und schon ist die Scheibe wieder oben. So sitze ich dann allein im eleganten Metropol, schlürfe meinen Kaffee und habe endlich Zeit, darüber nachzudenken, womit ich wohl die geballte Aufmerksamkeit der Stasi verdient habe. Wenn es die Spuren der alten Allianz waren – sie sind verweht. Es muss etwas anderes sein. Ich habe da einen Verdacht.

Eine Stunde später wieder im Kontrollpunkt. Kofferraum auf, Sitzbank hoch, Kofferraum zu. „Schönen Abend noch“ wünscht der freundliche Grenzer und öffnet die Schranke. Eigentlich ein ganz normaler Tag in Berlin.

————————————————————-

Den Schluss meines Artikels hatte damals die Allianz Stuttgart zensiert und einen Satz gestrichen. Ein DDR-Grenzer durfte nach dem Selbstverständnis der Schwaben nicht „freundlich“ sein. Ein Grund für mich, meine Tätigkeit als Berlin-Korrespondent der „Allianz-Zeitung“ zu beenden. „Sofort! Unverzüglich!“ 

Wie die andere Seite diesen Tag geschildert hat, konnte ich vor einigen Jahren meiner Stasi-Akte (304 Seiten) entnehmen. Dass die Jungs von Erich Mielke mir den Decknamen „Vertreter“ gegeben haben, nehme ich ihnen heute noch übel. Wenn es euch interessiert, zitiere ich ein andermal ein paar Highlights aus der Akte. Fazit: ich bin damals haarscharf an 7 Jahren in Bautzen vorbeigeschrammt. Bartleby, das ewige Glückskind.  

Blaise Pascal +++ Psychiatrie +++ Corona-Demo +++ Ruprecht Polenz +++ Lokales +++ Duden +++ Augstein und Blome +++ Helmut Rahn +++ Werner Höfers Frühschoppen +++ Alexa

Kennt ihr Blaise Pascal? Wenn nicht, googeln! Er hat etwas sehr Kluges gesagt: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben.“ Er kannte Bartleby nicht. Geht schon seit langem nicht mehr raus. Keine Reise, kein Kino, kein Theater, kein Fußball, kein nichts. Nur schnell den Müll runterbringen und kurz zu EDEKA huschen. Das ist alles. Dann wieder verschanzen hinter Zeitungen, Büchern und dem Internet. Pascal gefällt das. Ich kenne wenige, die dadurch so viel zum Weltfrieden beigetragen haben wie Bartleby.

Bartleby fällt auf, dass immer mehr Straftäter nicht mehr zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, sondern stattdessen in die Psychiatrie eingewiesen werden. Gibt es denn keine „normalen“ Räuber und Mörder mehr? Ein Grund für Bartleby, mal darüber nachzudenken, wer in die Pychiatrie gehört. Als der junge Bartleby noch wie der kleine Moritz dachte, hatte er eine genaue Vorstellung davon. In Berlin zum Beispiel waren das die Bonhoeffer Heilstätten, Betroffenen unter euch besser bekannt als „Bonnies Ranch“. Dort landeten Menschen, die einfach nur einen Sprung in der Schüssel hatten. Irgendwann aber wurde die Ranch zu klein. Heute werden auf dem Gelände von Verrückten teure Immobilien gebaut. Von wem auch sonst.

Aber wohin jetzt mit all denen, die nicht ganz dicht sind und mehr und mehr werden? Die klügsten Köpfe des Landes zerbrachen sich die Köpfe. Vergeblich. Da schlug die Stunde von Bartleby. Er schlug nach reiflicher Überlegung vor, das Überkommene einfach umzudrehen und gleich die ganze Welt zu einem Irrenhaus zu erklären. Dafür werden einige wenige Orte für Menschen mit Verstand und Vernunft reserviert. In Moabit, sagt man, soll angeblich auch so ein Haus stehen.

Auf einmal war für Bartleby alles ganz einfach. Politiker, Militärs, Religionen, Rassismus und Sexismus bekamen endlich den Platz in der Psychiatrie, der ihnen zusteht, Und die Menschen nutzen ihn. Bartleby hat sich heute im Internet und TV die große Corona-Demo in Berlin angesehen. Es war, als hätte man zu Zeiten von Bonnies Ranch mit den Patienten einen Betriebsausflug zum Brandenburger Tor und Reichstag gemacht.

Aufgerufen zu dem Ausflug hatte zum 2. Mal die Stuttgarter Gruppe „Querdenken 711“. Der Berliner Innensenator hat vieles richtig gemacht. Einen Fehler muss Bartleby ihm aber dennoch ankreiden. Er hätte die Demo nicht auf den üblichen Trampelpfaden der Innenstadt zulassen dürfen. Das nächste Mal, lieber Senator, schickst du die Patienten aus dem Schwabenland besser gleich zu ihren Verwandten nach Prenzlauer Berg. Da werden sie dann von den Müttern vom Kollwitzplatz mit den vollgeschissenen Windeln ihrer Gören bombardiert. Die Mütter haben jetzt den Part der Wilmersdorfer Witwen aus „Linie 1“ übernommen, die vor ihnen Berlin verteidigt haben.

Jens Spahn hat versucht, die Covidioten zu besänftigen. Mit den Erkenntnissen von heute, tröstete er sie, hätte man früher einige Maßnahmen nicht zu ergreifen brauchen. Ex CDU-General Ruprecht Polenz kommentiert trocken: „Mit den Erkenntnissen von Montag hätte ich meinen Lottoschein auch anders ausgefüllt.“ Bartleby wusste gar nicht, dass die CDU auch witzig sein kann. „Und? Wählste jetzt endlich auch mal CDU?“ Aber Leute, schon vergessen, wie der Wahlspruch von Bartleby lautet?

A propos witzig. Für seine Rubrik „Lokales“ hat Bartleby mal wieder ins Berliner Netz geschaut. Keine Angst, jetzt kommt nicht schon wieder die Geschichte von dem Nackten, der dem Wildschwein mit seinem Laptop hinterher rennt.

Das hier passt zu Corona: In den Berliner Gesundheitsämtern sind 15% der Stellen unbesetzt. Manchen Ämtern fehlt vor lauter Arbeit die Zeit, neues Personal einzustellen. Da lacht der Bär.

Berlin hatte ja den umwerfenden Stadtslogan „Be Berlin“. Jetzt müsst ihr euch einen neuen merken oder auch nicht: „Wir sind ein Berlin“. Soll ganz schön teuer gewesen sein. Kultursenator Lederer stellt die Frage: „Warum nicht „Berlin – irjendwat is´ immer?“ Guter Mann.

Ihr habt es sicher mitgekriegt. Vor kurzem haben die beim Duden ihr Wörterbuch aufgeräumt und dabei Bartlebys geliebten „Hackenporsche“ einfach so rausgeschmissen. Ein anderer enttäuschter Berliner schickte einen bitterbösen Tweet an die Sprachpolizei: „Ey, Dudenverlag, wieso ist Maskenmuffel, Erhöhtes Beförderungsentgelt, Busspurparker und Türfreihaikjesagtdukackvogel immer noch nicht in der neuen Ausgabe?“ Wie Berliner eben so sind.

Bartleby musste gerade wieder Abschied nehmen von einer seiner Lieblingssendungen im TV. Erst von Harald Schmidt und jetzt auch noch von „Augstein und Blome“. Kurze Info für diejenigen von euch, die nur das Unterschichtenfernsehen abonniert haben. Da kabbelten sich der ewige Linke Augstein vom „Freitag“ mit dem Cordjacket-Blome vom rechten Tittenblatt „BILD“. Das war stänkern auf hohem Niveau. Bartleby wird versuchen, sich mit „Heute-Show“ und „Die Anstalt“ noch eine Weile über Wasser zu halten. Zur Not hilft vielleicht Jan Böhmermann.

Wo wir gerade beim Fernsehen sind, erzählt Opa Bartleby schnell noch eine Geschichte aus seiner Jugend. In Berchtesgaden gab es kein Fernsehen und nach dem Umzug 1954 ins Eschweger Schloss auch dort keinen Fernseher. Das „Wunder von Bern“ also nur im Hörfunk: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt. Tooor! Tooor! Tooor!“ Der junge Bartleby musste immer in die nahe „Pinke“, um dort Fußball zu sehen. Der Herr Landrat fand es aber nicht so passend, dass sein hoffnungsvoller Sprössling regelmäßig mit dem gemeinen Volk in einer Spelunke vor der Glotze saß.

Ein Fernseher musste her. Mutter Bartleby legte sich quer. So eine Kiste würde das Familienleben zerstören. Vater und Sohn ließen nicht locker. Schließlich gab Mutter nach. Ihre Bedingung: Aber am Sonntagmittag bleibt der Kasten aus, der ausgerechnet im Esszimmer stand. Also alle Augen nur auf Mutters Sonntagsbraten. Bartleby hätte aber genau um diese Zeit lieber Werner Höfers „Frühschoppen“ mit sechs rauchenden und saufenden Journalisten aus sieben Ländern gesehen. Eine harte Zeit, Mediathek gab es ja noch nicht. Jetzt wird euch klar, dass Bartleby eine wirklich schwere Kindheit hatte.

Muss ich euch noch sagen, dass Bartleby und sein eigener Sprössling später in Berlin fast immer vor dem Fernseher gegessen haben. Sogar Sonntag mittags. Beide natürlich getrennt vor ihrem eigenen. Frühes „modern living“.

Alexa, heute ausnahmsweise was Politisches?

Vergiss es!

Auch nicht über Gendern?

Was ist das denn?

Je nachdem, wie du dich fühlst, muss ich dich mit Mann, Frau oder divers anreden.

Warum das denn?

Die Leute wollen eben einfach wissen, wie es bei dir untenrum aussieht.

Aber Kennedy hat das damals doch auch nicht interessiert.

Wieso?

In seiner berühmten Rede vor dem Schöneberger Rathaus hat er gesagt: Heute, in der Welt der Freiheit, ist der stolzeste Satz „Ich bin ein Berliner“.

Das dürfte er natürlich jetzt nicht mehr.

Was müsste er denn heute sagen?

Na, ganz einfach: „Ich bin ein Berliner, eine Berlinerin und ein diverser aus Berlin.“

Das ist doch Schwachsinn.

Das sagst du. Andere nennen das politisch korrektes Gendern.

Wenn Trump nach Berlin kommt, wird er das sicher anders formulieren.

Trump soll ja divers sein.

Pervers! Trump ist pervers. Nicht divers. Du verwechselst da was.

Wodka +++ Mauersegler +++ mediterrane Nacht +++ Eigentumswohnung +++ Hannes Wader +++ Teppichklopfer +++ Bolzplatz +++ Watzmann +++ Ganghofer +++ Aix en Provence +++ Alexa

Ihr müsst jetzt alle sehr tapfer sein. Stellt euch vor, wie Bartleby gerade in seinem Zimmer sitzt, wegen der Hitze nur mit einer Unterhose (frisch!) bekleidet und vor sich einen großen Teller mit Heringssalat und einer Flasche Wodka. Vor Jahren, als er noch jung und hübsch war (doch, doch!) war er einmal bei einem Bekannten mit Russland-Erfahrungen zu einer Fete eingeladen. Der Gastgeber gab ihm einen guten Rat mit für den Abend und für das Leben: „Wenn du reichlich Heringssalat isst und immer wieder nichts als Wodka dazu trinkst, egal wie viele, bleibst du fit bis zum Schluss.“ Was soll ich euch sagen, er hatte Recht. Der Abend endete für Bartleby nach reichlich Wodka im Fitness-Studio der Villa. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trügt, reichte es dort noch für eine flotte Petersburger Schlittenfahrt mit mit einer schönen Russin, wenn ihr versteht, was ich meine. Heute also wieder Heringssalat und Wodka, diesmal nur ohne Russin.    

Sommerabend auf dem Balkon. Die letzten beiden Mauersegler drehen ihre Runden über meiner Straße. Morgen sind sie weg. Genderkorrekt sind es natürlich zwei Seglerinnen. Woher ich das weiß? Bartleby hat sich in den letzten 20 Jahren auf seinem Balkon zu einem respektablen Hobby-Ornithologen gebildet. Also bei den Mauersegler*Innen ist das so: Jedes Jahr tauchen sie pünktlich am 4. Mai in Berlin auf. Und was wollen sie hier? Was all die westdeutschen Wehrdienstverweigerer und schwäbischen Pfarrerstöchter schon immer hier wollten: Sex, Sex und nochmal Sex und den sogar beim Fliegen. Kann ich verstehen, aber einer wie Bartleby würde dafür nie und nimmer die Strapazen einer dreimonatigen Reise auf sich nehmen. 

Nachdem die Männchen ihrer Pflicht nachgekommen sind und die Weibchen die Aufzucht der Gören beendet haben, geht es pünktlich Anfang August wieder zurück in den Süden. Auch die Rückreise dauert drei Monate. Als Erste hauen die Männchen ab, typisch. Dann die Kids mit ihrer Party-Community. Als Letzte dann die Mütter. Sie dürfen noch ein paar Tage länger bleiben, um sich von den Mühen der Aufzucht zu erholen. Endlich ist der Alte weg, die Kinder sind aus dem Haus, jetzt machen wir erst einmal Mädelstag!

Die Wetterfrösche haben gerade eine Phase mit tropischen Temperaturen vorhergesagt. Das heißt für Bartleby: Maske auf und mit Hackenporsche rein in EDEKA. Andere plündern Nudeln und Klopapier, Bartleby plündert Rosé, Retsina und Ouzo. Dann noch Tapas, Garnelen, Schnecken, Zaziki, Schafskäse, Oliven und Sardinen. Habe ich was vergessen? Ach so, die Lampions und die Lichterkette. Habe aber noch welche vom Vorjahr. Die neuen Nachbarn von gegenüber werden Augen machen. So eine mediterrane Nacht kennen die nur an die Kehrwoche gewöhnten nicht von der Schwäbischen Alb.

Balkon Lampe

Dieses Idyll auf meinem Balkon könnte aber bald ein Ende haben. Vor ein paar Tagen hat eine Firma mit Digitalkameras meine Wohnung genau vermessen. Vor allem Türen und Fenster. Heißt das, dass aus meiner Traumwohnung bald eine Eigentumswohnung werden soll? Rhetorische Frage. Mein Nachbarhaus wird gerade umgebaut. Die langjährigen Mieter rausgeworfen. Ihre Wohnungen, nur halb so groß wie meine, stehen im Internet für 700.000 Euro. Da würde meine (170 qm) wohl locker über eine Million bringen. Interesse?

Bartleby gehört ja nicht zu den orthodoxen Lesern, die mit einem Buch auf Seite 1 anfangen und erst auf der letzten Seite aufhören. Vor einiger Zeit habe ich immer wieder mal in Hannes Waders Biografie „Trotz alledem. Mein Leben“ geblättert. Jetzt bin ich in dem Kapitel hängengeblieben, in dem er sich an seine Kindheit erinnert. Er hat wie ich noch die letzten Kriegsjahre und die Zeit danach erlebt. Für Jungs wie ihn und mich eine Zeit des sich allein Fühlens und voller Melancholie. Wie ich versuchte er, die fehlende Zuwendung noch lange mit Daumen lutschen zu kompensieren. Aber immer nur mit dem rechten Daumen. Außerdem waren wir beide wie viele Kriegskinder Bettnässer. Er hatte Glück, dass seine Mutter eine Gummidecke ins Bett legte. 

Der junge Bartleby hatte weniger Glück. Sein Vater hing zur Warnung einen Teppichklopfer über die Tür zum Kinderzimmer. Wenn es dann trotzdem passierte, gab es abends immer Dresche mit dem Klopfer. Hose runter, übers Knie und dann kräftig auf den nackten Hintern. Immer mein Vater, nie meine Mutter. Dann ab ins Bett und Beten. Immer mit Mutter, nie mit Vater. Ich weiß nicht, stand da irgendwo in „Mein Kampf“ der Satz „Deutsche Mütter schlagen nicht, sie lassen schlagen“? Müsste ich nochmal nachschlagen. Achtung: Wortwitz! 

Meine Eltern mochten mich trotzdem, aber sie waren einfach pädagogische Analphabeten. Meine Mutter blieb es, auch als unser Sohn in einen antiautoritären Kinderladen kam. Sie hat ihn einmal eingeladen, sie zu besuchen und dann nie wieder. In unserer Wohnung gab es mehrere Teppiche, Alles Geschenke von Mutter. Nur einen Teppichklopfer hat sie uns nie geschenkt.

Vor kurzem habe ich wieder den Kontakt zu meinem gleichaltrigen Cousin in Berchtesgaden aufgenommen. Wir sind beide dort konfirmiert worden, dann musste ich meinem Vater nach Eschwege folgen. Für den jungen Bartleby eine Katastrophe. Aber da half kein flehendes „Ich möchte lieber nicht“. Unser Bolzplatz vor der Haustür war der Mittelpunkt unseres Lebens. Unvergessen: Nach dem 3:2 gegen Ungarn 1954 in Bern stürmten die Jungs aus allen Häusern auf den Platz und jeder wollte Helmut Rahn sein. Nach dem damals üblichen tip-top der beiden Mannschaftskapitäne blieb für mich leider wie immer nur der Platz im Tor übrig. Nicht schlimm, denn mein Idol war sowieso „Toni“ Zuhra, der Torwart vom TSV Berchtesgaden. Er war Porzellanmaler in der Außenstelle der Königl. Porzellan Manufaktur Berlin (KPM). Von ihm besitze ich heute noch eine ganze Reihe wunderbar bemalter Teller, die ich hüte wie einen Schatz. Mutter hatte schon damals ein Auge für schöne Dinge.

Nachdem ich im Internet nach dem Einwohnermeldeamt Berchtesgade gesucht hatte, wurde ich bei Youtube mit Videos vom Berchtesgadener Land überschwemmt. Eins war dabei, in dem zwei Männer mit einem 12 oder 13jährigen Jungen auf den Watzmann (2713 m) steigen. Auf dem Hocheck wird er gefragr, wie er sich fühle. Antwort: „Ich bin fix und alle“. Das hat mich an meine eigene Besteigung des Watzmanns im gleichen Alter erinnert. Ein Bekannter meines Vaters ist mit mir und meinem Kumpel Peter auf den ersten Gipfel gekraxelt. Mittel- und Südspitze hat er uns beiden erspart. War eine gute Entscheidung.

„Wen Gott lieb hat, den lässt er fallen ins Berchtesgadener Land“ lautet der Spruch von Ludwig Ganghofer im Bahnhof von Berchtesgaden. Heute bin ich ja eher ein militanter Atheist. Da muss dem lieben Gott damals wohl ein Versehen passiert sein. Ein zweites Mal wird ihm das mit mir sicher nicht passieren. Aber Berge haben wir in Berlin ja auch, z. B. Kreuzberg, Prenzlauer Berg. Berghain zählt nicht. Schade.

Zum Schluss noch etwas Lokalkolorit. Corona verändert vieles. Dank sauberer Luft soll man von Berlin aus wieder die Alpen sehen, hat jemand behauptet. Und wie es in einem Tweet an einem lauen Sommerabend heißt: Am Stadtrand zirpen die Grillen. Oder wie der Berliner sagt: „Siehste, wat muss ick nach Ex ong Provongs fahren? Muss ick nich!“

Alexa, heute darf ich aber über etwas Politisches schreiben.

Vergiss es!

Aber als Rassist darf ich doch, oder?

Verstehe ich nicht.

Es gibt immer wieder Leute, die mich für antisemitisch oder homophob halten.

Die spinnen doch. 

Denk ich auch. Aber bin ich nicht doch ein heimlicher Rassist?

Wieso das denn?

Mein ganzes Leben lang war ich hinter Frauen her.

Was soll daran rassistisch sein?

Es war aber nie eine mit dunkler Hautfarbe darunter. Alles weiße Frauen.

Das kannst du noch gutmachen, aber viel Zeit bleibt dir nicht mehr, wie du weißt.

Weiß ich, aber jetzt noch nach Kuba zu fliegen, ist doch auch keine Lösung, oder?

Stimmt. Dann bleib lieber Rassist.

Trumps Bibel +++ Frau Lübke +++ Permafrost +++ Porsche +++ Venedig +++ Todesanzeigen +++ Arno Schmidt +++ Alexa +++ Fliegerhorst Büchel

Das Bild von Trump habt ihr doch sicher alle gesehen, wo er vor einer Kirche steht und die Bibel wie eine Trophäe in die Kameras hält. Da gingen bei Bartleby sofort alle Lichter an. Es war beim Konfirmandenunterricht 1953 in Berchtesgaden. Der junge Bartleby machte, wie es so seine Art ist, einige kritische Anmerkungen zum Alten Testament. Ich glaube, es ging um Abraham und den knapp verhinderten Mord an seinem Sohn. Und was machte der Pastor? Hob die Bibel hoch wie Trump, holte aus und warf sie mit christlichem Schwung in meine Richtung. Was er aber nicht wusste: Der junge Bartleby war damals Torwart in der Fußballmannschaft seines Stadtteils. Der Vorgänger von Manuel Neuer hatte kein Problem mit dem Wurf.

Zur Konfirmation bekam jeder eine Bibel mit einem Spruch, der zu ihm passen sollte. Meinen hat der Heide in mir bis heute nicht vergessen. Also: 1. Korinther 16, Vers 13: „Wachet, stehet im Glauben, seid männlich und seid stark.“ Immerhin nicht mehr „flink wie die Windhunde und hart wie Krupp-Stahl.“ Wer auch immer sich diesen Spruch für mich ausgedacht hatte, hatte keine Ahnung, wie Bartleby wirklich tickt. Und Trump, hör zu: wenn du mit der Bibel auf mich werfen solltest, ich werfe sie zurück!

Kein Fake: Bartleby ist ja mal einem Staatsoberhaupt sehr nahe gekommen. Das war 1960 in Eschwege. Anlass war der Besuch des damaligen Bundespräsidenten Lübke  auf dem Hohen Meißner als Gründungsort der deutschen Jugendbewegung. Bartlebys Vater als Gastgeber und allseits bekannte Rampensau war in seinem Element, seine Mutter als Tochter eines einfachen Potsdamer Arbeiters wäre lieber gestorben als allein mit der Frau des Präsidenten im offenen Wagen durch die Gegend kutschiert zu werden. Frau Lübke muss das gespürt haben. Mutter schwärmte noch lange nach dem Staatsbesuch von dieser klugen und sympathischen Frau. 

Schluss jetzt mit Heimatkunde. Wem von euch sagt der Begriff „Permafrost“ etwas? Immerhin so zwei oder drei heben den Finger. Es wären deutlich mehr, wenn sie damals in den frühen 50ern auf dem Gymnasium in Berchtesgaden gewesen wären. Da hat nämlich ein blonder Junge mit preußischem Migrationshintergrund vor seiner Klasse ein aufsehenerregendes Referat über Sibirien und den Permafrost gehalten. Fazit: Wenn der mal auftaut, müsst ihr euch zu Resi und ihren Kühen auf die Alm retten. Die einheimischen Seppls in ihren Lederhosen hörten gelangweilt zu und überlegten, wann sie diesen Berliner Klugscheißer mal wieder verprügeln könnten. Bartleby als früher Harald Lesch, der Perlen vor die Säue wirft. Vor etwa 20 Jahren fuhr Bartleby mit der Transsibirischen Eisenbahn an den Baikalsee und wunderte sich über die sommerlich hohen Temperaturen dort. Aber dann fiel ihm wieder sein Referat von damals ein. Alles klar!

In seinem nächsten Referat ging es um die Familie Porsche, ihre Autos und Rennen auf dem Nürburgring. Diesmal waren die Jungs voll dabei, gespannt bis in die Arschbacken und den Fuß unter der Schulbank voll auf dem Gas. Kein Gedanke mehr an den Permafrost. Den Traum vom eigenen Porsche hatte Bartleby seitdem nie aufgegeben. In den 90ern hat er ihn endlich wahr gemacht, aber schon nach etwas mehr als einem Jahr machte der 928er die Grätsche. Da hätte er sich auch gleich in eine Traumfrau verknallen können. Hätte auch nicht länger gedauert. Heute fährt Bartleby mit seinem SUV-Hackenporsche zu EDEKA und dreht dort immer ein paar Extra-Runden zwischen den Regalen, bevor es zum Pitstop an die Kasse geht. Die Gesichter der Damen aus den Altersheimen sprechen Bände: „Elfriede, was für ein toller Mann, wie konnten wir ihn nur Jahrzehnte übersehen?!“

Bartleby hatte ja schon immer eine Vorliebe für alles Morbide. Seine Lieblingsstadt ist natürlich Venedig. Schöne Bauten, an denen der Putz abbröckelt und die langsam im Meer versinken. Bartlebys Wohnung gleicht inzwischen mehr und mehr einem Palazzo in Venedig. In diesem wohnt er jetzt seit 55 Jahren. Natürlich könnte er all die Schäden an Fassade, Stuck und Parkett reparieren lassen, aber ihr kennt ja Bartleby: er möchte lieber nicht. Vorteil: er kann sich die Reise nach Venedig sparen.

Alle, die schon einmal die meterhohen Zeitungsstapel in Bartlebys Wohnung bewundern konnten, wissen, dass Bartleby ein begeisterter Zeitungsleser ist. Das ist nur möglich, weil ihm jeden Morgen ein zuverlässiger Zeitungsbote seinen Tagesspiegel in den Briefkasten wirft. Und das seit Jahren, Tag für Tag. Bartleby entlohnt diese Systemrelevanz immer wieder mit einem Extra-Bonus. Er kann sich   gut daran erinnern, dass in seiner Jugend auch noch Milch und Brötchen an die Tür geliefert wurden. Tempi passati! 

Höhepunkt der Zeitungswoche ist natürlich der Sonntag. Nein, nicht wegen Sport, sondern wegen der Todesanzeigen. Bartleby hat festgestellt, dass es in letzter Zeit immer mehr werden. Corona? Keine Ahnung. Füllten die Anzeigen früher eine Seite, sind es jetzt bis zu zweieinhalb. Dann schlägt die Stunde von Bartleby als unerbittlichem Kulturkritiker. Zwischen pechschwarzem Kaffee, Toast und Frühstücksei stürzt er sich auf all die Sprüche, mit denen die Anzeigen garniert worden sind. Ihr ahnt es, es ist ein kulturelles Desaster. Fast immer die gleichen frommen Psalmen, immer wieder Bonhoeffer und immer wieder Hermann Hesse, der Ärmste. Originalität in den Anzeigen Pustekuchen, dabei war der teure Tote zu seinen Lebzeiten doch bestimmt auch so etwas wie ein Original. Muss ja nicht gleich Woody Allen sein: „Für mich war stets der Sarg halb voll“.

Bartleby will nach seinem Ende auf keinen Fall in die Zeitung. Den Spruch, den er für seine Anzeige ausgesucht hat und der zu ihm passt wie kein zweiter, würde der Tagesspiegel aus Rücksicht auf seine fromme Westberliner Gemeinde ohnehin nicht abdrucken. Jetzt wollt ihr natürlich wissen, wie der lautet. Da müsst ihr leider noch warten, bis die Anzeige in eurem Briefkasten landet. Heute nur so viel: der Spruch ist nicht aus der Bibel, natürlich nicht, sondern von Arno Schmidt. Wer Bartleby und den großen Spötter aus der Lüneburger Heide kennt, hätte sich das auch denken können. 

Alexa, darf ich heute endlich mal was Politisches schreiben?

Vergiss es!

Trabbi oder Lambo?

Was soll das denn?!

Nehmen wir einmal an, du würdest von einem Auto überfahren. Mausetot. Lieber von einem alten Trabant oder einem neuen Lamborghini? 

Wenn schon, dann natürlich Lambo.

Gut. Wenn es aber Atomwaffen wären, die dich umbringen. Lieber die alten Dinger, die seit Hiroshima in Rheinland-Pfalz vergammeln oder moderne Waffen aus der aktuellen Donald-Trump-Selection? 

Als künstliche Intelligenz kann ich Leute ohne jede Intelligenz zwar nicht leiden, aber was Modernes sollte es schon sein.

Also wieder Lambo statt Trabbi. Aber das gefährliche alte Zeug einfach verschrotten und dafür nichts Neues – wäre das keine Alternative?

Das kann auch nur einer mit natürlicher Intelligenz fragen. So wird das nie was mit euch.

Siehst du, Alexa, jetzt ist es doch noch politisch geworden. Geht doch.

Kurzer Nachtrag zu Alexa: Es gibt eine dunkle Seite bei Bartleby. Er war diesen Atomwaffen schon einmal sehr nahe. 1960 verbrachte er ein paar Tage auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel, wo diese Dinger lagerten und heute noch lagern. Er interessierte sich damals tatsächlich für einen Job als Pilot bei der Luftwaffe. Seine Tauglichkeitsstufe I aus der Musterung prädestinierte ihn dafür. Ein Freund, selbst Pilot in Büchel, ermöglichte ihm den Besuch. Er durfte sogar in einem Starfighter Platz nehmen, leider nur am Boden. Mutter sprach sich allerdings energisch gegen diesen Job aus. Die stürzen doch alle ab, warnte sie und hatte fast Recht damit. Nix wars also mit rasanten Tiefflügen über Eschwege und der schicken Uniform für die Mädels von der Leuchtbergschule. Roy Black musste ihn trösten: „Du kannst nicht alles haben.“ So ist es bis heute geblieben.

Lenin +++ Talkshow +++ Hausnotruf +++ Richard David Precht +++ Indonesien +++ Standesamt +++ CDU +++ Alexa

Wer Bartleby kennt, weiß, dass er nicht schon immer der „grumpy old man“ war wie heute. Er wurde von Mutter und Oma zu einem braven Jungen erzogen („Das macht man nicht!“). Deswegen befolgt er jetzt auch alle Maßnahmen zur Corona-Pandemie ohne Murren. Lenin hat sich ja damals über die Deutschen lustig gemacht: sie würden nicht zur Revolution fahren, ohne vorher eine Bahnsteigkarte zu lösen. Was würde er heute über sie sagen? Vermutlich, dass sie selbst zur Revolution nicht ohne Mund-Nase-Maske gehen würden.

Jetzt droht wieder eine viel zu lange Talkshow-Sommerpause. Bartleby ist ja ein großer Fan von Politik-Talkshows mit den Maischbergers, Wills, Illners und Fakten-Check-Papst Plasberg als Quotenmann. Aber nicht so, wie ihr vermutet. Als ehemaliger Rhetorik-Trainer interessiert er sich vor allem dafür, wie sich die Gäste schlagen. Wie argumentieren sie, wie reagieren sie auf Angriffe und wie hoch ist ihr Anteil an Politikfloskeln? Dafür gibt es Noten: „Christian Lindner, deine Versetzung ist stark gefährdet.“ Wenn wegen Corona mal keine Dampfplauderer  kommen sollten, ARD und ZDF, ruft mich an. Ich schreibe euch nullkommanix ein Drehbuch mit allem, was für diese Gäste typisch ist. Ihr würdet es nicht von einer echten Talkshow unterscheiden können. Zum Beispiel zum Thema: „Funktioniert Politik genauso wie sich der kleine Moritz das vorstellt?“

Wenn Bartleby einmal bei Markus Lanz landen sollte – was Gott bewahre – und der ihn mit dem berühmten Stirnrunzeln fragen würde, was seine peinlichsten Momente im Leben waren, fiele ihm sofort die Berliner Feuerwehr ein. Das erste Mal ist noch nicht so lange her, Beim Frühstückslesen in seiner Zeitung hatte er nicht dran gedacht, dass auf dem Herd noch ein Ei verkohlte. Die Nachbarn verfolgten den Einsatz interessiert von ihren Balkonen. 

Das 2. Mal passierte vor kurzem. Bartleby besitzt zwar einen Hausnotruf vom DRK. Doch manchmal vergisst er, ihn zu aktivieren. Dann wird er angerufen. Das hört er und drückt den Knopf. Normalerweise. Diesmal hörte er weder den Anruf vom DRK noch den von seinem Sohn auf Festnetz und Handy. Das muss ein außergewöhnlicher Tiefschlaf oder eine Nahtod-Erfahrung gewesen sein. Bartleby wird um 2 Uhr nachts von einem lauten Hämmern an seine Wohnungstür geweckt. Er schlurft wie Big Lebowski im Bademantel verschlafen zur Tür: „Wasn los hier?“ Feuerwehr und Notarzt checken, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Hat er, aber einige haben wohl schon einen Sprung. Nach einigen aufmunternden Worten ziehen sich die Männer wieder zurück. Sie wissen, das wird in dieser Nacht nicht der einzige alte Trottel bleiben. Wahrscheinlich freuen sie sich schon auf einen Einsatz, bei dem es endlich mal wieder richtig brennt und knallt. Auf nach Kreuzberg!

Bartleby, warum erzählst du uns so einen Quatsch? Weil das zu den Highlights im Alter gehört. Die ersten Äpfel klauen in Nachbars Garten, der erste Sex und der erste Verkehrsunfall sind schon sehr lange her. Was jetzt noch den Alltag auflockert, sind solche Dates mit der Feuerwehr oder der Polizei. Das letzte Date dieser Art wird dann das mit dem Bestatter sein. Bestimmt eine ziemlich einseitige Angelegenheit. 

Bartleby weiß zwar, was ein freiwilliges soziales Jahr bedeutet, konnte sich als junger Mann aber nicht so richtig dafür begeistern. Wenn ihr so wollt, hat er das später als Seminar-Guru in der Ex-DDR nachgeholt. Nicht nur ein Jahr lang, sondern acht. Wenn er dürfte, würde er noch heute die Frauen zwischen Ostsee und Erzgebirge in die Abgründe des real existierenden Kapitalismus einweihen. (An dieser Stelle ein Nachruf auf Renate Krössner. Sie hat mich damals in „Solo Sunny“ umgehauen. In jedem meiner Seminare habe ich nach einer zweiten Sunny Ausschau gehalten. Bartleby, ein hoffnungsloser Romantiker.)

Richard David Precht, dieser Name wird nicht alle von euch aus dem Sessel reißen. Ein Philosoph, was soll der mir schon zu sagen haben? Er ist auch ein 68er wie Bartleby, aber einer, aus dem wirklich was geworden ist. Bücher über Bücher und kluge dazu. Und jetzt sein Vorschlag zur Diskussion um das freiwillige soziale Jahr: Nicht nur eins, sagt er, sondern zwei sollten es sein! Eins zu Beginn und eins am Ende des Berufslebens. Zu Beginn sind wir noch voller Elan, Empathie und wollen die Welt verändern. Die ganze Welt. Am Ende unseres Berufslebens stellen wir fest, dass wir das nicht erreicht haben. Aber statt zu resignieren, geben wir unser Wissen und unsere Erfahrung an die nächste Generation weiter. Das wäre das zweite Jahr. (Grüße an Milan und alle NGOs.) 

Wovor Bartleby dagegen graust, ist ein drittes unfreiwilliges soziales Jahr für ihn im Altersheim. Volkslieder singen, Ringelpiez mit anfassen und Mensch ärgere dich nicht spielen würden sein Ende mit Sicherheit beschleunigen. Corona wird er noch überstehen, aber gegen diese Herausforderungen besitzt er schon heute keine Abwehrkräfte mehr.

Bartleby treibt sich selbst in den entlegensten Ecken des Internets rum. Da entdeckt er neulich ein Foto aus Indonesien: Ein junger Mann wird ausgepeitscht, weil er Sex vor der Ehe hatte. Nicht ungewöhnlich im Islam. Verwunderlich nur, dass alle Beteiligten den Mund-Nase-Schutz trugen. Auch der Abstand wurde gewahrt, die Peitsche war ja lang genug. Da hat Jesus damals aber Glück gehabt, dass es noch keine Corona gab und er kein Moslem war. Stellt euch vor, Gottes Sohn am Kreuz mit Mund-Nase-Maske. Die Jungs von Monty Python ärgern sich gerade, dass ihnen dieser Gag nicht für „Das Leben des Brian“ eingefallen ist. Bartleby entschuldigt sich bei allen von euch, die immer noch tapfer am Sonntag in die Kirche gehen. Aber ihr seht: Bartleby und Mohammed werden wohl keine Freunde mehr.   

Was ist denn los heute, Bartleby, nichts aus Berlin? Moment, doch hier: Landgericht Berlin: Verhandlung geht hoch her, alle reden durcheinander. Die Richterin geht dazwischen: „Bitte hören Sie auf zu schreien. Ich habe zwei kleine Kinder, die sind seit 72 Tagen zu Hause und schreien.“ Sofort setzt Stille ein. DAS kann jeder nachvollziehen.

In Sex and the City sagt Sarah Jessica Parker, N.Y.: „Wenn du jemanden brauchst, der den Müll runterträgt, heirate.“ In Neukölln machen sie das Fenster auf – und raus damit. (Sorry Elke).

A propos heiraten: Wer in diesen Zeiten in Berlin heiratet, bekommt von der Stadt ein besonderes Geschenk: Im Standesamt sind nur die Eheleute und die beiden Trauzeugen erlaubt. Die Schwiegereltern werden ausgeladen. Das trifft nicht bei allen Brautpaaren auf großes Bedauern. Bei Bartlebys Heirat 1967 in NRW gab es zwar keine Pandemie, aber einen erzkonservativen Standesbeamten, der anstelle dem jungen Paar Glück zu wünschen, es sich nicht verkneifen konnte, lang und breit zu erklären, dass eine Ehescheidung für uns „ein langer und teurer Prozess“ sein werde. Da hatte sich der gute Mann aber gründlich getäuscht. Woher sollte er auch wissen, dass in der Scheidungshauptstadt Berlin so etwas eine Sache von Minuten sein kann?

Einer geht noch. Gerade frisch reingekommen vom Tagesspiegel-Checkpoint (sehr zu empfehlen). CDU zur Verkehrswende: „Berliner Pendler: Täglich 320 000 Mal rein und raus. Und kein bisschen Spaß beim Verkehr.“ Kommentar der Pressesprecherin der Berliner Grünen: „Wer meint, dass Rein und Raus beim Sex normalerweise Spaß bringt, muss sich dann auch nicht über den Mangel an Frauen in der Berliner CDU wundern.“ Bartleby versucht, sich an rare Momente in seinem Schlafzimmer zu erinnern. Sagen wir mal so: die CDU hat davon nicht viel profitiert..

Alexa, darf ich heute was Politisches schreiben?

Vergiss es!

Auch nicht zu Bazooka und WUMMS?

Auch nicht! Das ist doch typisch: Die Jungen müssen wegen Corona später die Lasten tragen.

So wie wir damals als Junge nach dem Scheißkrieg unserer Eltern die Lasten tragen mussten?

Sei doch froh, dass du zu spät für den Krieg geboren wurdest.

Bin ich. Und als Ausgleich dafür soll ich jetzt wohl froh sein, dass ich noch kurz vor der Klimakatastrophe sterben darf? 

Ist ja gut, Mann. Habe ich verstanden. Das nächste Mal vielleicht doch lieber was Politisches.

Little Richards +++ ESW +++ Rolf Hochhuth +++ Laterne +++ Hanns-Josef Ortheil +++ Russells Teekanne +++ Tweet +++ Alexa

Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht wie dem alten Bartleby. Irgendetwas passiert in der Welt und auf einmal kommen die Erinnerungen wieder hoch. Wie jetzt bei der Nachricht vom Tod Little Richards. Es war in den 60ern in Berlin. Bartleby war noch neu in der Stadt, als ihn eine Kommilitonin in den Jazzkeller des benachbarten Studentendorfs schleppte. So etwas kannte er aus Marburg nicht. Dort hatte er immer im „Krug zum grünen Kranze“ noch vor Heino „Schwarz-braun ist die Haselnuss“ und ähnliches Liedgut geschmettert. Doch jetzt brach im Keller ein vorher nie gehörtes Getöse los: „Tutti frutti“, „Lucille“ und „Good Golly Miss Molly!“ – „Wer ist das denn?“ schrie er seiner Begleiterin ins Ohr. „Little Richards! Kennst du den nicht?“ schrie sie zurück. Ein Kulturschock für den braven Jungen aus dem tiefsten Hessen, aber der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Nicht zwischen ihm und der Kommilitonin, sondern zwischen ihm und Little Richards.

Das war aber auch die Zeit, in der er noch mit Mutters VW aus dem verschlafenen Eschwege durch Berlin kurvte. Der junge Mann vom Land bog dann schon mal falsch ab. Woher sollte er denn wissen, dass das jetzt eine achtspurige Hauptstraße ist? Kein Warnschild weit und breit. Die Berliner Autofahrer sahen nur auf sein Nummernschild mit den drei Buchstaben, tippten sich an die Stirn und verzichteten aus Mitleid, ihn anzuhupen.

Als die Winter noch richtige Winter waren, sah das damals die Berliner Polizei einmal anders: „Die Papiere!“ – „Was hab ich denn gemacht?“ – „Steigen Sie mal aus!“ – Bartleby steigt aus. „Ihre Nummernschilder sind voller Schnee. Das Kennzeichen kann man nicht mehr lesen. Das ist eine Ordnungswidrigkeit.“ – Bartleby entschuldigt sich und beginnt damit, die Kennzeichen vom Schnee zu befreien. Erst das „E“, dann das „S“ und zum Schluss noch das „W“. „ESW, wo soll das denn sein?“ fragt der Wachtmeister. Bartleby: „In Hessen“. – „Und wo ist Hessen?“ – „Wenn sie nach der Grenze hinter Helmstedt links abbiegen, dann ist es nicht mehr weit.“ – „Wieder was gelernt. Ihre Papiere zurück. Gute Fahrt“. Ein erleichterter Bartleby und ein Berliner Polizist, der jetzt den Weg nach Hessen kennt. Donald Trump würde sagen, das war kein schlechter Deal.

Rolf Hochhuth ist auch gestorben. Mein erster Gedanke: Verdammt nochmal, warum hast du ihn nie angesprochen. Wir liefen uns in Berlin Mitte mehrmals über den Weg. Was hätte ich sagen sollen? „Hallo Herr Hochhuth, ich bin auch aus Eschwege.“ War mir zu blöd. Bartleby wollte dann wie immer lieber doch nicht. Jetzt ärgert er sich, aber es ist zu spät. In der Biografie meines Lieblingslehrers am Eschweger Gymnasium fand ich, dass der junge Hochhuth ihn immer wieder auch nach seiner Schulzeit privat aufgesucht hat. Müller-Mutz wurde so etwas wie sein Mentor auf den Spuren eines unseligen Papstes, des „Stellvertreters“.

Bartleby war ja bis 1960 Chefredakteur der Schülerzeitung „Laterne“. Nur ein paar Jahre später veröffentlichen seine Nachfolger einen positiven Artikel über Hochhuth und seinen „Stellvertreter“. In Berlin haben damals sogar fromme Katholiken auf dem Kudamm gegen Hochhuth und sein Stück demonstriert. Auch die Honoratioren unseres Städtchens waren außer sich und der Direktor der Schule natürlich erst recht. Er verbot den Verkauf der Schülerzeitung. Sie wurde dann eben vor dem Schultor aus einem Kinderwagen heraus verkauft und war ein großer Erfolg. Glaubt ja nicht, dass wir in der Provinz nur gekuscht haben.

Woche für Woche demonstrieren Verschwörungstheoretiker und andere vor dem Reichstag. Wisst ihr eigentlich, dass Bartleby einmal auch so ein glühender Anhänger von Verschwörungstheorien war? Zugegeben, da war er noch sehr jung. Es begann mit dem Weihnachtsmann, der den kleinen Bartleby beschenkte. Danach kam der Nikolaus mit oder ohne Rute und später noch der Osterhase. 

Der kleine Bartleby war überzeugt, die gibt es wirklich und überall im Land. Aber nach ein paar Jahren nahm der Junge sein Aluhütchen ab und verabschiedete die drei aus seinem Leben.

Nur einer blieb: der liebe Gott.  Dafür sorgte schon Mutter, die jeden Abend mit dem armen Jungen betete, ob er wollte oder nicht. Aber natürlich erst, nachdem der Krieg zu Ende war. Bis dahin hatte der liebe Gott bei uns einen schweren Stand. Der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil antwortete in einem Interview auf die Frage „Welche Verschwörungstheorie halten Sie für wahr?“ mit „Die der Bibel.“ Nicht schlecht, ist aber nicht zuende gedacht, lieber Ortheil. Die Bibel ist mehr als eine Verschwörungstheorie. Für Bartleby, jetzt wieder mit Aluhut, ist sie eher ein Handbuch für eine Verschwörungspraxis. 

Wie so eine Verschwörungstheorie oder -praxis entsteht, hat Bertrand Russell sehr bildhaft am Beispiel einer Teekanne gezeigt. Ich hoffe doch, dass dieser Philosoph wenigstens den Älteren unter euch noch etwas sagt. Also los: Es geht.um die Königsdisziplin der Verschwörungstheorien, die Religion. Russells Teekanne ist eine Analogie, mit der er veranschaulichen wollte, dass die Beweislast einer Behauptung bei dem liegt, der sie aufstellt, und keinesfalls eine Widerlegungspflicht bei anderen besteht. „Wenn ich behaupten würde“, so Russell, „dass es zwischen Erde und Mars eine Teekanne aus Porzellan gäbe, die auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreise, so könnte niemand meine Behauptung widerlegen, vorausgesetzt, ich würde vorsichtshalber hinzufügen, dass diese Kanne zu klein sei, um selbst von unseren leistungsfähigsten Teleskopen entdeckt werden zu können. Aber wenn ich nun daherginge und sagte, da meine Behauptung nicht zu widerlegen sei, sei es eine unerträgliche Anmaßung menschlicher Vernunft, diese anzuzweifeln, dann könnte man zu Recht annehmen, ich würde Unsinn erzählen.Wenn jedoch in antiken Büchern die Existenz einer solchen Teekanne bekräftigt würde, dies jeden Sonntag als heilige Wahrheit gelehrt und in die Köpfe der Kinder in der Schule eingeimpft würde, dann würde das Anzweifeln ihrer Existenz zu einem Zeichen von Normverletzung werden. Es würde dem Zweifler die Aufmerksamkeit eines Psychiaters oder, in einem früheren Zeitalter, die Aufmerksamkeit eines Inquisitors einbringen.“ Nicht allein deshalb ist Bartleby schon seit Jahren Mitglied in der „Giordano Bruno Stiftung“.

Ich höre euch seufzen. Ja, das war für den einen oder anderen von euch heute starker Tobak. Und das auch noch nach Rolf Hochhuth. Wenn ihr demnächst mal wieder auf eine Corona-Demo vorm Reichstag geht, werdet ihr vergeblich Ausschau nach dem alten Meckerer aus Moabit halten. Bartleby hat seinen Aluhut schon längst an eine hübsche Impfgegnerin verschenkt. Wieder zu Hause wird eine Flasche geöffnet und dann wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden wirklich zu einer Risikogruppe zählt, das Virus oder ich, Flatten the bottle, flatten the curve.

Als kleines Bonbon zu Corona noch einen herrlichen Tweet aus meiner Zeitung: „Was? Ich muss im Restaurant jetzt meine Adresse angeben??? Dann bleib ich lieber zu Hause und bestell mir was.“

Alexa, ich möchte heute endlich über was Politisches schreiben dürfen.

Vergiss es!

Auch nicht über Christian Lindner?

Ich dachte, du wolltest etwas über einen echten Politiker schreiben.  

Aber das ist doch der, der lieber nicht regieren wollte als schlecht regieren.

Das ist ihm doch bisher gut gelungen. Wo steht die FDP in den Umfragen?

Im Berliner Nobel-Restaurant „Borchardt“, wo denn sonst, musste er jetzt von der Polizei mit 300 anderen Gästen an die frische Luft gesetzt werden.

Weil er randaliert hat? 

Hätte er besser mal. Stattdessen hat er sich im Restaurant über alle Corona-Regeln hinweggesetzt und sich von seinem Weißrussland-Kumpel (!) mit einer innigen Umarmung verabschiedet.

Ich sags doch: besser nicht umarmen als schlecht umarmen. Der lernt es nie. 

Mely Kiyak +++ Epiktet +++ Josef Hader +++ Frank Castorf +++ Curt Cowall +++ Mauersegler +++ Warten aufn Bus +++ Mietvertrag +++ Familienpfiff +++ Alexa

Kennt einer von euch Mely Kiyak? Ich sehe da nur wenige Hände hochgehen. Schämt euch! Mely Kiyak ist nicht nur hübsch, sondern auch eine der geistreichsten Kolumnistinnen im deutschen Blätterwald (Die Zeit). Glaubt ihr nicht? Dann lest einmal, warum sie versteht, dass ausgerechnet einer wie Bartleby sich in dieser Corona-Krise so gelassen bewegt: 

„Wer beispielsweise schon einmal Krebs hatte oder eine andere sehr komplizierte und hartnäckige Krankheit, die längst zu den besiegten oder, sagen wir, zu Ende erforschten Feldern gehört, wer sich also in einem zermürbendem Behandlungszyklus bewegte, ist für jeglichen Ausnahmezustand anders gewappnet. Denn nichts unterbricht die Freiheit so sehr wie Krankheit. Wer durch die dunklen Stunden ging, der wird unter dem Begriff Ausnahme und Stillstand des Alltags noch andere Dinge assoziieren. Für den ist diese Corona-Zeit ein weiterer Ausnahmezustand in einer Reihe von Zuständen.“ 

Macht euch also keine große Sorgen um den alten Mann. Er gehörte schon als Kriegskind zu einer Risikogruppe, dann als Krebspatient in der Charité und jetzt halt wieder wegen Corona. Wird man so zum Stoiker? So einfach ist das nicht. Aber wenn ihr euch vielleicht mal mit Epiktet befasst, ein Philosoph zu Neros Zeiten. „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Urteile und Meinungen über sie.“ Oder in Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“ lesen. Corona verschwindet damit nicht, aber seine Gedanken können wie eine Schutzmaske für die Seele wirken und zur nötigen Gelassenheit führen. Oh Gott, habe ich jetzt wirklich „Seele“ gesagt? Bartleby ist auch nicht mehr der, der er einmal war. 

Selbst Josef Hader stellt sich um in der Krise: „Ich bin jetzt ethischer Vegetarier. Ich esse nur Tiere, die nicht schreien, wenn man sie umbringt.“ Aber jeden Tag Fisch? Das wäre nix für Bartleby. Ab und zu ein Dutzend Austern müssten es schon sein. Natürlich mit Champagner. Wenn schon degeneriert, dann aber richtig.

Ihr kennt doch alle Frank Castorf von der Volksbühne? Er ist ja schon lange mein Bruder im Geiste: „Ich möchte mir von Frau Merkel nicht mit einem weinerlichen Gesicht sagen lassen, dass ich mir die Hände waschen muss. Das beleidigt meine bürgerliche Erziehung.“ Dafür hätte ich ihn küssen können, aber wie sollte das mit Maske gehen? Dazu Theodor Fontane: „Wer nicht weiß, dass er eine Maske trägt, trägt sie am vollkommensten.“  

Als man es noch durfte, ging Bartleby mit seiner Herzdame hin und wieder in einem Restaurant essen. Dann kam irgendwann der Moment, an dem ihn sein Urologe daran erinnerte, die örtliche  Keramik-Abteilung aufzusuchen. Soweit so gut. Aber der Rückweg an den Tisch war dann immer eine Art Spießrutenlaufen. Was die schöne Frau am Tisch hinter ihrem Lächeln verbarg, war ihre Merkelsche Frage: Hat der Typ sich nun auf dem Klo die Hände gewaschen oder nicht wie die meisten Männer? Doch, hat er. Oder zweifelt hier irgendjemand daran, dass Bartleby nicht bürgerlich erzogen wurde? Leute, wenn ihr dabei gewesen wärt, bürgerlich ist dafür gar kein Ausdruck!

Bartleby beschäftigt sich jetzt viel mit seinen Erinnerungen an das Kriegsende. Witzig war da nichts. Aber immerhin, der Berliner Verleger Curt Cowall hat in seinen Tagebüchern ein Ereignis festgehalten: Als ich an einer Villa vorbeikomme, schreibt er, höre ich einen Tiefflieger und schon bellte das MG viermal scharf auf: Tacktack, Tacktack! – Ich bleibe unter einem Baum vor dem Haus stehen, um Deckung zu haben, da öffnet sich die Haustür, und eine ältere Dame sieht mich an und fragt „Verzeihung, haben Sie bei uns geklopft?!!!“ Welch ein Glück, wenn man schlecht hört! 23. April 1945.

Jetzt sind sie wieder da, meine Mauersegler, pünktlich wie die Maurer. Fritz Sandrock hat sie wie jedes Jahr aus seinem Andalusien auf die Reise geschickt. Stellt euch einfach vor, wie Bartleby jetzt wieder mit Tapas und einem Rosé auf dem Balkon sitzt und den eleganten Fliegern bei ihren Kunststücken zuschaut. Wenn sie dann in der Nacht verschwinden, kommen die Fledermäuse und der liebestolle Fuchs schaut, ob das Eichhörnchen ihm ein paar Erdnüsse unter der Motorhaube seines Autos übrig gelassen hat. Zur Erinnerung: Bartleby lebt nicht in einem Naturschutzgebiet, sondern in Berlin-Mitte, zehn Minuten vom Kudamm oder Schloss Bellevue entfernt.

Ihr erinnert euch: letztes Jahr hatte ich berichtet, dass Berlin die Hauptstadt der Nachtigallen ist. Jedes Jahr ziehen etwa 3.000 Nachtigallen vor allem aus England nach Berlin. Erst waren es die Schwaben in Prenzlauer Berg, jetzt sind es die sangesfreudigen Vögel in den Berliner Parks. Bartleby wohnt ja am Rande des Tiergartens. Er kann also, wenn er will, bei offenem Fenster die ganze Nacht den Gesängen lauschen. Bis ihn im Morgengrauen das nervige Gurren der Tauben den Schlaf raubt. Aber wer sich in Berlin an der Natur stört, kann ja aufs Land ziehen.

Tipp für alle, die tatsächlich noch nicht die wunderbare Serie „Warten aufn Bus“ in der RBB-Mediathek gesehen haben: Samuel Beckets „Warten auf Godot“ auf Brandenburgisch, mit Wladimir und Estragon an einer Bushaltestelle in der Walachei weit weg von Potsdam. Ein Einblick in nie geahnte Brandenburgische Philosophie: „Man macht sich durch die Eigenschaften, die man hat, nicht so lächerlich wie durch die Eigenschaften, die man haben möchte.“ Denkt drüber nach. 

Aus gegebenem Anlass hat Bartleby mal wieder in seinen alten Mietvertrag von 1967 geschaut. Erstaunlich: Blumen auf dem Balkon hatte der Vermieter untersagt. Haustiere auch. Unsere Katzen haben sich totgelacht. Statt der Blumen auf dem Balkon haben wir Haschisch zwischen den Doppelfenstern angebaut. Gut, das waren die 68er. Würde er heute nicht mehr machen. Aber warum eigentlich nicht?  Den Mietvertrag bekamen wir nur, weil wir uns verpflichten mussten, in Kürze zu heiraten. Aber wozu war man damals nicht alles bereit, eine tolle Wohnung zu bekommen? Ganz nebenbei: der Mietvertrag hielt länger als der Ehevertrag.

Habt ihr einen Familienpfiff? Dieses Wort hatte ich seit Jahrzehnten nicht mehr gehört, aber jetzt wieder im Radio. Doch unsere engere und erweiterte Familie hatte auch so einen Pfiff. Ich weiß sogar noch, wie er geht: Fü-fa-tü-tü oder so ähnlich. Wer von uns in einer Menge diesen Pfiff hörte, wusste, er muss sofort bei Fuß sein wie ein richtiger Hund. Sowas kennen die Kids heute gar nicht mehr; sie haben dafür ja ihre Smartphones.

Bartleby, was ist los, kein Witz heute? –  Ich glaube, das passt jetzt nicht. – Überlass das mal uns, die Kinder schlafen schon. – Na gut, ausnahmsweise. Der geht so: „Sag mal, wenn ich mal tot bin, würdest du dann noch einmal mit einer anderen Frau schlafen? – Ja, aber dafür musste doch nicht tot sein.“ Ihr habt es so gewollt.

Alexa, darf ich heute endlich doch mal über was Politisches schreiben? Bitte!

Vergiss es!

Auch nicht über die BILD-Zeitung?

Was soll denn an der politisch sein?

Seit Monaten schreibt sie den Söder zum Führer eines grossbayerischen Reiches hoch.

München war und ist nunmal die „Hauptstadt der Bewegung“.

Alexa, bist du sicher, dass der einfache BILD-Leser merkt, was da vorbereitet wird?

Wenn er es merkt, wäre das schlecht gemacht. Das muss ich dir mit deinen paar Semestern Publizistik doch nicht erklären.

Also gibt’s bald wieder einen neuen „Völkischen Beobachter“? Aber was wird dann aus „BILD“?

Ganz einfach. Nennt sich dann um in „Bayerischer Beobachter“.