Moritz Rinke +++ Polizei +++ Verbot +++ Intelligenz +++ negativ +++ Lobgesang +++ peinlich +++ Trump +++ Hundenamen +++ Alexa

Bartleby hat in seiner Zeitung etwas Hübsches für euch zu Corona entdeckt. Moritz Rinke, Schriftsteller und Mitglied der Autoren-Fußball-Nationalmannschaft, schreibt über den Besuch bei seiner Mutter in Zeiten wie diesen: 

Den Achtzigsten meiner Mutter habe ich mit ihr alleine gefeiert. Sie lehnte am Fenster, ich stand unten auf der kleinen Straße. Wir mussten sehr laut sprechen, eher schreien.

„Mir wird das jetzt zu doof, ich komme runter!“ sagte sie. „Als ich Kind war und Krieg herrschte, bin ich bei Fliegeralarm auch vor die Tür gegangen!“

„Nein!“, rief ich entsetzt, „du musst oben bleiben. Das hat sogar die Bundeskanzlerin gesagt!“

„Ich sehe doch, dass du nicht krank bist!“ entgegnete sie. „Ich hab´s dir immer angesehen, wenn du krank warst!“

„Beim Fliegeralarm konnte man die Flugzeuge sehen, das Virus sieht man aber nicht! Außerdem müssen wir die exponentielle Robert-Koch-Kurve abflachen!“ 

„Aber nicht an meinem 80. Geburtstag! Komm mir da nicht mit so einer Robert-Koch-Kurve! Ich komme jetzt runter!“

So sind die Frauen meiner Risikogruppe. Wir sind uns früher bestimmt mal auf einer 68er Demo begegnet. Heute halten wir beide das Fähnlein der Alten aufrecht, die andere am liebsten einsperren würden. Darin hat dieses Land ja Erfahrung.

Bartleby musste neulich die Polizei rufen. Richtig gehört: die Polizei. Und das kam so: Der Rentner machte wie immer seinen abendlichen Kontrollgang auf dem Balkon, um zu sehen, ob sich in seinem Kiez alle an die Regeln halten. Und was sehen seine müden Augen da unten auf der Straße? Vor dem Nebenhaus ist ein Bauzaun auf einer Länge von 20 Metern auf die Straße gestürzt und liegt flach auf dem Pflaster, Autos umkurven das Hindernis vorsichtig, aber fahren einfach weiter. Bartleby stellt sich vor, was da alles passieren kann. Zum Beispiel könnte eine hübsche junge Frau mit ihrem Fahrrad über den Zaun stürzen und sich verletzen. Dann würde er sie natürlich sofort in seine Wohnung tragen und ihre Schrammen am Knie und alles andere auch versorgen. 

Aber soweit sich Bartleby auch über die Balkonbrüstung beugt: weit und breit keine hübsche Radfahrerin. Nur alte Damen mit Rollator und Hündchen. Es kommt zum 68er Gau: Er muss die Polizei anrufen! Ein paar Minuten später hält eine Wanne und ihr entsteigen fünf durchtrainierte junge Männer. Sie richten den Zaun wieder auf und verstärken ihn mit Kabelbindern. Der Zugführer dankt dem alten Mann auf seinem Balkon und winkt zum Abschied. Gut, dass das keiner von seinen alten Kumpels von damals gesehen hat. Auf den Schreck braucht Bartleby aber erstmal einen doppelten Jack Daniels. 

Im Tiergarten darfst du jetzt nicht mehr auf einer Bank sitzen und ein Buch lesen. Die älteren jüdischen Mitbürger werden sich erinnern, dass es so ein Verbot schon einmal im sog. Dritten Reich gegeben hat. Damals aber nur für sie. Und in den Zoo durften sie damals auch nicht. Wie schön, dass jetzt die arischen Berliner auch einmal erleben dürfen wie das damals war. Corona machts möglich.

Gibt es nicht auch Hoffnung in dieser Krise? Gibt es. Bartleby hat neulich gelesen, dass ein kluger Mann festgestellt hat: Die Summe der Intelligenz auf dem Planeten ist eine Konstante. Aber die Bevölkerung wächst. Das hört sich nicht gut an. Aber im Umkehrschluss heißt das: Wenn sie wie in Zeiten von Corona sinkt, muss das dann  wirklich ein Drama sein? Ich weiß, so zu denken wie Bartleby ist nicht jedermanns Sache. Deswegen bewegt sich sein Freundeskreis auch immer in engem Rahmen.

Wenn du auf Corona getestet wirst und das Ergebnis ist negativ, schlagen dir alle auf die Schulter. Aber Bartleby hat mit dem Begriff „negativ“ so seine Probleme. Der hängt ihm schon seit seiner Jugend an. Immer wieder wurde er von seiner Umwelt kritisiert: „Sei nicht so negativ!“. Selbst sein kleiner Bruder, den er im Krankenhaus besuchte, bevor er mit 32 Jahren starb, gab ihm noch eine letzte Mahnung mit auf den Weg: „Sag nicht immer nur NEIN“. Bartleby hat lange darüber nachgedacht und sich dann für eine sanfte Variante des NEIN entschieden: „Ich möchte lieber nicht.“ Ich glaube, mein Bruder hätte das noch durchgehen lassen.

„Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen!“ So musste es Bartleby im Konfirmations-unterricht lernen. Heute ist er ja, wie ihr wisst, bekennender Atheist. Aber jetzt muss er doch mal eine Lanze für die Gläubigen in unserem christlichen Abendland brechen. Wegen Corona Gottesdienste zu verbieten, geht gar nicht. Wie kann man Menschen verbieten, ihrem lieben Gott dafür zu danken, dass er ihnen einen Virus geschickt hat, der ihre Eltern und Großeltern dahinrafft? Also öffnet die Türen der Kirchen. Das gilt ab sofort, unverzüglich! Ich möchte den lauten Lobgesang hören und nicht immer nur die kleinen Konzerte von Kreuzberger Balkonen. 

Jetzt haltet euch fest! Bartleby steht neulich morgens an der Kasse bei EDEKA. Mit Maske, Handschuhen und allem Pipapo. Da fällt ihm auf, dass er immer noch seinen Schlafanzug und Latschen anhat. Ist das peinlich! Ist das jetzt schon Demenz? Aber die hübsche Verkäuferin lächelt ihm verführerisch zu. In dem Moment wacht er auf. Es war nur ein Traum. Gottseidank. Aber mal ehrlich: Wer von euch hat das Bartleby zugetraut? 

Bartleby war schon immer ein Fan von Otto Waalkes und Ostfriesenwitzen. So etwas gibt es jetzt auch in Amerika: „US-Bürger kaufen verstärkt Glühbirnen aus Angst vor Stromausfall.“ Trump gefällt das. Endlich mal keine Fake News. Ihr lacht, aber was machen die Deutschen mit Klopapier?

Zum Schluss noch etwas ohne Corona. Bartleby musste neulich lachen. Doch, das kommt vor. Es ging um Hundenamen. Nicht um Waldi oder Hasso. Ein Hertha-Fan ruft seinen Köter immer „Elfmeter!“, Dann steht der sofort auf dem Punkt. Ein Berliner aus Mitte ruft seine Töle immer mit einem lauten „Alexander Platz!“ zur Ordnung. Soll aber nicht nur dort funktionieren. 

Alexa, aber heute darf ich doch mal über was Politisches schreiben, bitte!

Vergiss es, BILD schreibt doch schon ständig über ihren Söder.

Nein, mir geht es um etwas Ernstes.

Was ist denn mit dir passiert?

Alexa, du weißt doch, dass Deutschland bis zu 2 % seines Bruttoinlandprodukts für die Rüstung ausgeben soll?

Weiß ich. Na und?

Wäre es nicht sinnvoller angesichts von Corona, wir würden statt dessen die 2% für eine Grundversorgung in Gesundheit und Pflege ausgeben?

– – – —

Hallo Alexa! Bist du noch da?

Stahnsdorf +++ Einkaufen +++ Kondome +++ MHD +++ Care-Pakete +++ systemrelevant +++ Kiezbücherei +++ Günter Netzer +++ Schwarzes Brett +++ Einwandfrei

Bartleby gehört ja zur höchsten Risikogruppe, aber sterben möchte er deswegen nicht. Nicht jetzt, Er hat gehört, dass jetzt an einer Beerdigung höchstens eine Handvoll Menschen teilnehmen darf, wenn überhaupt. Das wäre dann der zweite worst case für Bartleby. Schon seit Jahren liegt auf seinem Schreibtisch eine sorgfältig zusammengestellte Liturgie für die Trauerfeier in Stahnsdorf. Seine Philosophen kommen darin zu Wort, Schriftsteller geben einen kleinen Einblick in sein Leben und Musiker spielen Songs, die ihn geprägt haben. Ein ganzes Leben in 30 Minuten. Ein Jammer, wenn das alles für die Katz gewesen sein sollte.

Bartleby geht jetzt trotzdem zum Entsetzen von Familie und guten Freunden selber einkaufen. Wenn er da so als einer aus der Hochrisikogruppe mit Maske und Handschuhen durch die Regale schlendert, teilt er die Reihen der anderen wie einst Moses das Meer. An der Schlange an der Kasse angekommen, muss er nur zwei, drei Mal husten (in die Maske natürlich) und alle lassen ihn gleich ganz nach vorne. Nie war Einkaufen einfacher.

Zuhause angekommen schockt Bartleby dann die Paketboten. Wenn die aus dem Fahrstuhl treten, sehen sie sich einem mäßig gepflegten Alten mit Bart, Maske und Handschuhen gegenüber. Sie lassen vor Schreck das Paket fallen, verzichten auf Unterschrift und Trinkgeld und retten sich schnell wieder in den Fahrstuhl. Wenn es nicht so viele tragische Fälle gäbe, könnte Bartleby sich direkt mit diesen Situationen anfreunden.

Bartleby ist ja seit den 60ern frankophil. Das begann eigentlich mit einem kräftigen „Merde alors!“ seines Französisch-Lehrers am Gymnasium. Deshalb hat er sich auch nicht darüber gewundert, wie unterschiedlich Deutsche und Franzosen auf die Corona-Krise reagieren: Die Deutschen horten jetzt Nudeln und Klopapier, die Franzosen Rotwein und Kondome. Die Kondome könnte Bartleby jetzt im Regal lassen, den Rotwein aber nicht.

Bartleby will ja nun nicht jeden Tag einkaufen gehen. Kein Leichtsinn! Da gilt es, endlich einmal die eigenen Vorräte zu sichten. Was versteckt sich denn da ganz unten im Kühlschrank? Ein Glas Grünkohl mit MHD 2017. Sieht aber immer noch grün aus. Und hier ein Glas Marmelade mit krakeliger Aufschrift „Erdbeer Rhabarber“. Ja, seine Oma hatte nach dem Krieg an alles gedacht. Sieht aus, als wäre bis auf die Kruste noch alles gut. Wegwerfen? Bartleby möchte lieber nicht.

Bartleby ist ja im Heinrich von Kleistschen Sinne Preuße durch und durch. Woran würdet ihr das merken? Das ist einfach: natürlich daran, dass er alle Einkäufe streng nach Mindesthaltbarkeits-dauer sortiert hat. Das klingt vernünftig, hat aber den Nachteil, dass er seine Mahlzeiten jetzt nach MHD planen muss. Also nicht mehr das, worauf er Appetit hat, wird gekocht, sondern das, was schnell weg muss. Bartleby hat Glück, dass er einen Magen wie ein Pferd hat. Bis jetzt jedenfalls.

Bartleby war ja noch nie ein großer Freund der USA. Aber in diesen Tagen erinnert er sich dankbar an deren Hilfe in den ersten Nachkriegsjahren. Heute weiß er, dass die Amis ihm damals nicht geholfen haben, weil der blonde Junge so schöne blaue Augen hatte, sondern weil sie ihn später noch brauchten für ihren Kampf gegen die „Soffjettunjon“ (Konrad Adenauer). Immer wieder bekam seine Mutter Care-Pakete von entfernten Verwandten aus Michigan. Das Auspacken war ein Fest. Milchpulver, Kakao und Gries für Mutter, das Zeitungspapier, in dem das alles eingewickelt war, für den Jungen. Darin verbargen sich Schätze. Der blasse Junge  hat mit größter Sorgfalt die Werbung der amerikanischen Autoindustrie ausgeschnitten und auf einem Stück Pappe festgeklebt. Cadillac, Buick und Studebaker. Das war sein Spielzeug und damit war er glücklich. Heute stehen bei ihm Dutzende von teuren Burago-Modellen 1:18 rum. Der alte Bartleby kann auch Dekadenz.

Die Frage aller Fragen ist gerade: Wer ist systemrelevant? Bartleby weiß es: die Frauen. Immer wenn Männer dieses Land in die Scheiße geritten haben, schlug die Stunde der Frauen. Das war nach dem 1. Weltkrieg so und das war erst recht nach dem 2. Weltkrieg so. Es waren die Trümmerfrauen, die Berlin wieder aus dem Schutt halfen. Nicht Trümmermänner. Heute sind es Krankenschwestern, Pflegekräfte und Kassiererinnen, die die langjährige Missachtung durch die Männer in Politik und Wirtschaft ausbaden müssen. Bartleby fürchtet, das wird sich nicht ändern.

Es war Bartlebys Mutter, die nach Kriegsende bei den Amis in einer Wäscherei arbeitete und damit ihre Jungen durchbrachte. Den Begriff „systemrelevant“ kannte man damals noch nicht, aber für Mutter traf er zu. Der Sohn hat bis heute nicht vergessen, wie es war, wenn er immer nach der Schule seine erschöpfte Mutter aus der dampfenden Waschküche abgeholt hat. Dann gab es Griesbrei mit Zucker und Zimt und manchmal sogar einen kleinen Klecks Butter obendrauf. Den musste er gegen seinen kleinen Bruder verteidigen. Altruismus war beim jungen Bartleby alles andere als ausgeprägt.

Der Berliner Senat ist ja nicht gerade bekannt dafür, wegweisende Entscheidungen zu treffen. Aber Corona machts möglich: Nur Berlin und Sachsen Anhalt (!) haben es erlaubt, dass bei ihnen die Buchhandlungen auch während der Kontaktsperre geöffnet bleiben dürfen. Söder Markus, liest du nicht? Der Berliner will einfach immer lesen, gleich nach dem Krieg, während der Luftbrücke und nach dem Mauerbau. Was das Bier für den Bayern ist, ist das Buch für den Berliner. Gestern  unterstützte ich meine Kiezbücherei und kaufte einen teuren Wälzer, den ich mir sonst erst später zu meinem Geburtstag geleistet hätte. Als ich ihr das erzählte, bekam die nette Buchhändlerin fast Tränen in die Augen. Bartleby streamt auch Online-Aufführungen der Berliner Theater und spendet dafür. Vielleicht können wir alle zusammen so das Schlimmste verhindern.

Zu seinem Kummer hat Bartlebys Friseur im Kiez geschlossen. Was jetzt? Hermann Görings Friseur, der dem Jungen in Berchtesgaden die Haare geschnitten hatte, lebt nicht mehr. Die muntere Türkin im Salon darf nicht mehr. Bartleby beobachtet einen Wettlauf zwischen seinen Haaren und seinen Fußnägeln. Wer wächst schneller? Bei seinen Fußnägeln könnte eine Gartenschere helfen. Seine Haare könnte er im Notfall zu einem Zopf binden, Karl Lagerfeld für Arme. Oder schulterlang wie damals als 68er. Die Mädels standen drauf, solange er mit ihnen nicht über Politik diskutierte. Wenn ihr also demnächst Bartleby bgegnet und er erinnert euch an Günter Netzer,  dann liegt das an den speziellen Extensions für alte Fußballer.  

Vor einem knappen Jahr war unser Dachgeschoss ausgebaut. Der Rentner lag auf seinem Balkon auf der Lauer, um zu sehen, wer da einzieht. Bestimmt irgendwelche Hipster aus dem Schwabenland, die ihm nun auch noch seinen gehüteten Parkplatz vor dem Haus für ihren SUV streitig machen. Und dann das: Die jungen Leute laden zu einer Einweihungsparty in ihre Dachwohnung ein. Bartleby als Rampensau mit seinen Geschichten als ewiges Kriegskind natürlich sofort im Mittelpunkt. Das hatte er nicht anders erwartet. Was ihn dann doch überrascht und beschämt hat, war vor kurzem ihr Anschlag am Schwarzen Brett: „Liebe Nachbarn, ruft uns an, wenn wir für euch einkaufen sollen. Wir machen das gerne.“ Bartleby wohnt seit 55 Jahren in diesem Haus, aber so etwas hat er noch nie am Schwarzen Brett gelesen. Der alte Mann muss mal wieder an seinen Vorurteilen arbeiten. Wer ihn kennt, weiß, wie schwer ihm das fällt.

Lieber Bartleby, das klang aber heute alles sehr ernst. Zum Schluss bitte doch noch was Lustiges, trotz Corona. Na schön. Bartleby hat neulich einen Witz gehört, der ihn an seine glorreiche Zeit als Seminarguru in der ehemaligen DDR erinnerte. Die aufgebrezelten Damen in ihren weißen Rüschenblusen monierten damals, dass er als Wessi immer alles wie Steffi Graf „super“ findet. Bartleby neugierig: „Was sagt ihr denn statt dessen?“ Ein Chor aus 12 Kehlen: „Einwandfrei“. Und jetzt der Witz: „Was ist ein Haus mit drei Wänden?“ Antwort: „Einwandfrei!“. Verstanden?

Maurenbrecher +++ Seehofer +++ Jogi Löw +++ Abitur +++ Schmisse +++ Helmut Kohl +++ Rheinsberg +++ Polen +++ Peanuts

Wie geht’s Bartleby? So wie Manfred Maurenbrecher, ein Musiker, den wahrscheinlich nur die 68er unter euch kennen. Für den alten Bartleby ist er ein Bruder im Geiste: „So die eigene Zeit durchkraucht, sieben Leben lang, sechs sind demnächst aufgebraucht, eins hängt noch im Schrank. Alles gut, der Rest ist Mut.“ 

Bartleby wollte euch einfach nur einen Newsletter schreiben, der seinen Alltag in diesen Zeiten schildert. Daraus wird nichts. Schon sein dritter Entwurf ist im Papierkorb gelandet. Ganz schnell ist er von Masken und Mindestabstand auf  Menschen gekommen, die in Syrien, im Jemen und auf Lesbos schon viel zu lange in elenderen Verhältnissen leben als wir hier. Ja, Hände waschen ist ein guter Rat, aber dazu müsste es wenigstens sauberes Wasser geben. Die kranken Kinder von dort würden hier viele Städte gerne aufnehmen. Aber der Seehofer von einer Partei, die sich „christlich“ nennt, verweist auf die EU und hofft, dass seine Kumpels in Polen, Ungarn und Österreich das dann doch verhindern. A Hund bin i scho, denkt er. Lieber Gott, danke, dass du mich zum Atheisten gemacht hast. Bartleby hört besser an dieser Stelle wieder auf.

„I want you to panic!“ So klang das bittere Fazit von Greta Thunberg zur Klimakrise. Viele haben sie deswegen gescholten. Wer hätte gedacht, dass die grassierende Pandemie jetzt als Vorstufe zum Klimadesaster über uns kommt? Da werden dann auch keine Gesichtsmasken mehr helfen. 

So eine Pandemie und Fußball, was haben die denn miteinander zu tun? Nüscht, werdet ihr vielleicht sagen. Albert Camus war ein begeisterter Fußballtorwart und sieht das ganz anders: „Alles, was ich über Moral und Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball.“ Von Jogi Löw, dem viel gescholtenen Bundestrainer, habe ich zur aktuellen Krise diese erstaunlichen Worte gehört: „Die Erde stemmt sich gegen die Menschen.“ Ein Satz, der einem Beckenbauer nie über die Lippen gekommen wäre.

Uns geht es trotz allem so gut, dass wir uns selbst jetzt eine Diskussion über das Abitur leisten können. Trotzdem abhalten, lieber verschieben oder ganz lassen. Bartleby hat sein Abitur traumatisch erlebt. Das Schriftliche war ja schon eine Qual, aber das Mündliche (zwei Tage, acht Fächer!) war der reine Horror. Der Oberschulrat und sein Hofstaat machten meiner Waldorfschule ihre Aufwartung. Wir mussten den hohen Herren zum Einstand ein paar Strophen aus den „Carmina burana“ von Carl Orff vorsingen. Danach die Marter in den einzelnen Fächern. Acht mal.

Ich habe damals die jungen Männer in afrikanischen Dörfern beneidet, denen in einem Initiationsritus nur das Gesicht zerschnitten wird. Das ist ihr Reifezeugnis, Meins ist ein Stück Papier, das mir die Kultusbürokratie im Auftrag eines ominösen Bildungsbürgertums ausgehändigt hat. Wenn Bartleby entscheiden dürfte, weg mit dem sadistischen Abitur. Wenn Lehrer nicht in der Lage sind, nach den letzten vier Semestern die „Reife“ eines jungen Menschen zu beurteilen, gleich auch weg mit ihnen. Es gibt so viele Berufe, in denen sich selbst mittelmäßige Typen wie diese verwirklichen können. „Bartleby, das war aber böse.“ Sollte es auch sein, war schon seit langem fällig. Wieviel Seuchen müssen denn noch kommen, damit dieser Schwachsinn endlich aufhört? Selbst so schreckliche Ereignisse wie dieser Virus bieten auch die Gelegenheit und Chance, längst überholte Regeln zu verändern. Eine meiner Corona-Heldinnen ist Karin Prien, Kultusministerin in Schleswig-Holstein, die versucht hat, das jetzt zu ändern. Der hundertjährige Muff in den anderen Kultusministerien hat das natürlich verhindert. 

Für Bartleby hörte dieses Trauma ja nicht mit dem Abitur auf. Er wurde gleich danach auf den nächsten Initialritus für eine konservative Gesellschaft vorbereitet: Mensuren schlagen. Im Farbenlied seiner Korporation heißt es bis heute: „Und für die Ehre, das kostbare Gut, blitzet der Schläger und spritzet das Blut.“ Nur Glück und Können haben verhindert, dass Bartleby heute nicht so aussieht wie sein Vater, Heydrich, Schreyer und andere Nazigrößen mit einem Gesicht voller Schmisse

Ihr werdet es nicht glauben, aber Bartleby war mal ein Fan von Helmut Kohl. Nicht von dem alten Dicken aus Oggersheim, sondern von dem jungen engagierten Europäer. Was war das für ein tolles Gefühl, in den 60ern mit einem klapprigen 2CV am Schlagbaum vorbei ans Mittelmeer zu fahren. Für Bartleby hätte es überall in Europa so weitergehen können. Statt dessen hat sich Brüssel auf die Normierung von Salatgurken konzentriert. Die Pläne zur Normierung von Särgen liegen bestimmt schon in der Schublade. Hat jemand von euch in diesen Tagen etwas von Flinten-Uschi gehört? Wo bleibt die europäische Task Force, das Bündeln der Besten der Besten, zur Bekämpfung des Virus?

Statt einer mutigen großen Lösung ein Rückfall in die Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts. MeckPomm hat damit angefangen, jetzt macht es der Landkreis Ostprignitz-Ruppin nach: Grenzen zu für Berliner! Nicht nur für Touristen, sondern auch für Leute, die dort ein Ferienhaus besitzen. 

Bartleby fällt dazu eine kleine Geschichte ein. Fontane und Tucholsky fahren zusammen im Auto (Kennzeichen B) zu ihrem Zweitwohnsitz nach Rheinsberg. An der Kreisgrenze werden sie von Vopos, Entschuldigung, von der Polizei gestoppt. „Umdrehen, ihr zwei, aber dalli!“ Tucholsky macht einen zaghaften Versuch: „Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße: das  Ideal der Berliner seit bald hundert Jahren.“ Der Vopo bleibt unbeeindruckt: „In eurem Görlitzer Park kriegt ihr alles, was euch fehlt.“ 

Sollen die Berliner doch ihren 1. Wohnsitz in die Prignitz verlegen, tönt der Landrat. Sein Corona-Virus hält sich natürlich an das Wohnsitz-Prinzip. Mein Vater war selbst Landrat, aber auf so etwas Dämliches wäre er nie gekommen. Sein Kollege aus OPR kämpft jetzt auf meiner nach oben offenen Dumpfbacken-Skala mit Trump, Bolsonaro und noch ein paar anderen um den 1. Platz. Seine Chancen stehen nicht schlecht. 

Ach übrigens, Herr Landrat, in deinem Brandenburg wird darüber gejammert, dass jetzt in euren Krankenhäusern Dutzende von polnischen Ärzten fehlen. Heul doch! Bartleby hat da mal eine Frage: „Fehlten die eigentlich nicht schon eine ganze Weile ihren Patienten in der Heimat, in Polen?“

Zum Schluss doch noch etwas Tröstendes für euch. Denis Scheck ist der Literaturkritiker meines Vertrauens. Er hat es ausgerechnet bei den Peanuts entdeckt: Charlie Brown und Snoopy sitzen auf einem Bootssteg und Charlie Brown sagt: „Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy.“ Worauf der weltweise Beagle erwidert: „Ja, das stimmt. Aber an allen anderen Tagen nicht.“ Bis bald also. 

Corona +++ Schlusspfiff +++ Klopapier +++ Karnickel +++ Füchse +++ Belohnung +++ Marie Kondo +++ Jens Bisky +++ Alexa

Heute kein Wort über Corona! Da ist alles gesagt von Klügeren als Bartleby, Am liebsten würde er euch einen Vortrag halten über die Verhältnismäßigkeit von politischen Maßnahmen in Zeiten wie diesen. Später. Bartleby als systemrelevanter Kommentator arbeitet gerade an einem Corona-Spezial-Newsletter. Wer ihn kennt, ahnt, dass das eher ein Wut-Letter wird. Aber heute noch einmal ein nostalgischer Blick auf die einstmals heile Welt der Hoch-Risikogruppe. „Und wo bleibt in diesen Tagen das Positive? Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.“ (Erich Kästner) 

Ihr wollt wissen, wie es dem alten Meckerer in seiner „Matratzengruft“ (Heinrich Heine) geht? Nee, wollt ihr nicht. Dachte ich mir. Also, als alter Fußballer geht es mir so, als würde ich mit meiner Mannschaft zehn Minuten vor Schluss mit 0:5 zurückliegen. Das Spiel ist gelaufen. Ich werde mir nicht mehr den Arsch aufreißen. Nur noch warten auf den Schlusspfiff. Davor aber dem Gegner wenigstens noch kräftig den Rasen kaputt treten. Und ein 0:6 muss nicht unbedingt noch sein, wirklich nicht. Aber bitte kein Mitleid. Es gab ja Zuspruch für mich in einem Song von Die Ärzte: „Du bist immer dann am besten, wenn´s dir eigentlich egal ist.“ Hätte ich nicht besser sagen können. Gute Band, die Jungs.

Jetzt das Wichtigste: Bartleby hat noch Klopapier. Ihr müsst ihm nichts schicken. Im Fall der Fälle könnte er auch noch auf drei Jahrgänge des Tagesspiegels zurückgreifen. Jetzt schlägt die Stunde der Printmedien! Versucht doch einmal, euch den Hintern mit einem E-Paper abzuwischen. Da macht auch das Hände waschen keinen Spaß. Erst, wenn auch mein Zeitungsbote in Quarantäne geht, wird es für mich ernst. Dann muss ich bei euch vorbei kommen und klingeln. Bartleby hat gehört, dass es schon Frauen geben soll, die mit einem Klopapierfabrikanten ins Bett gehen wollen.

Wo wir schon beim Sex sind: Haben Berliner besseren Sex als Brandenburger? Wenn sie Karnickel sind, ja. Forscher haben herausgefunden, dass Berliner Stadtkarnickel besseren Sex haben als Brandenburger Landkarnickel. Bartleby hatte immer schon so einen Verdacht. Aber den besten Sex hatte Bartleby in seiner Kindheit auf dem Dorf in Thüringen beobachtet. Sein Opa besaß einige Karnickelställe. In der Nachkriegszeit keine schlechte Idee. Aber irgendwann wurde es ihm mit ihrer Vermehrung zuviel. Er sperrte die Langohren nach Geschlechtern getrennt in Käfige. Der junge Bartleby hatte Mitleid mit dem einsamen Rammler, der ihn aus traurigen Augen anblickte. Also half er ihm wieder rüber zu den Mädels. Was dann passierte, wurde Bartleby erst Jahre später in einem schummrigen Bahnhofskino in Kassel klar. Opa war jedenfalls von dem Ergebnis not amused. Aufklärung des Enkels trotzdem Fehlanzeige. Für den armen Rammler war es ein letzter Höhepunkt. Kurz danach musste der arme Kerl in die Pfanne. Ein Schicksal, das den erwachsenen Bartleby noch in so mancher Nacht beschäftigte.

Wie ihr wisst, schnürt bei mir seit einiger Zeit ein einsamer Fuchs durch die Höfe.  

Offensichtlich hofft er auf ein Date mit einer echten Berlinerin. Keine Chance für eine Brandenburgerin und wenn sie noch so sexy wäre. Was er nicht weiß: Forscher haben herausgefunden, dass Berliner und Brandenburger Füchse zu zwei genetischen Clustern gehören, die sich nicht miteinander paaren. Bartleby gehörte damals gottseidank nicht zu diesem Cluster. Berliner Füchse sind menschlichen Aktivitäten gegenüber sehr viel toleranter als Landfüchse, sagen die Forscher. Aber auch: Die Klugheit des Fuchses wird oft überschätzt, weil man ihm auch noch die Dummheit der Hühner als Verdienst anrechnet. Petra und Milan sehen das vielleicht anders. 

Der junge Bartleby war ja selber mal ein Fuchs. So nannte man die Neuen, die in die schlagende Verbindung Hasso-Borussia Marburg eintraten. Sie trugen ein spezielles Band und ihr Fuchsmajor achtete darauf, dass die Füchse sich manierlich benahmen. Um ein Bursch zu werden, musste man dann eine Fuchsenprüfung bestehen. Die schwierigste Frage dabei, an die ich mich erinnere, war die, mit welchen Ziegeln die Elisabethkirche gedeckt ist. Was mir half, war, dass mein Strafrechtsprofessor in seiner Vorlesung seinen Studenten die gleiche Frage gestellt hatte. Wer sie nicht beantworten konnte, musste auf der Stelle die Vorlesung verlassen, in die Kirche gehen und mit der richtigen Antwort zurückkommen. Dann gab es Beifall im Audimax oder nicht. Mein Gott, so hätte ich noch hundert Jahre studieren können. 

Böse Zungen haben Bartleby ja nachgesagt, dass er eine Rampensau war. Das nur, weil er in seinen Seminaren den geneigten Damen auf charmante Art seine Küchenpsychologie nahe gebracht hat. Das heißt: wenn ihr in der Praxis all das, was ich euch beigebracht habe, umsetzen wollt und es fällt euch schwer, denkt euch eine Belohnung aus, wenn ihr es geschafft habt. Gönnt euch etwas, das ihr schon lange haben wolltet: eine Flasche Champagner, ein Paar tolle Schuhe oder ein Parfüm, bei dem euer Vorgesetzter auf dumme Gedanken kommen könnte. So macht Lernen Spaß.

Jetzt erlebt Bartleby seinen Ernstfall. Zum Stubenhocken verbannt hat er sich vorgenommen, seine Wohnung nach dem bekannten „Marie Kondo Prinzip“ aufzuräumen. Naja, sagen wir, Marie Kondo light. Die Belohnung ist aber schon bestellt bei seinem Hausschlachter in Röhrda bei Eschwege. Ein Paket voll mit Stracke, Ahle Rote, Bratwürsten und jede Menge Weckewerk. Marie Kondo ist bestimmt Veganerin. Da muss sie durch.   

Zum Schluss noch die übliche Berlin-Lobhudelei. Jens Bisky, der gerade ein tolles Buch über die Stadt geschrieben hat, sagt: „Ich glaube, jeder, der es sein will und hier drei Winter überstanden hat, kann sich mit Fug und Recht Berliner nennen. Hamburger kritisieren mich immer dafür, aber ich habe sogar das Gefühl, dass man an guten Tagen in Berlin manchmal das Meer riechen kann.“ Und nicht nur das.

Alexa, darf ich heute ausnahmsweise doch mal über was Politisches schreiben?

Vergiss es! Nicht schon wieder Philipp Amthor.

Nein, ich denke an die Grünen.

Was ist denn an denen politisch?

Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Sehen gut aus, aber das reicht nicht fürs Kanzleramt.

Warum denn nicht?

Kann ich dir sagen: Dafür müsste das Traumpaar erst einmal heiraten und die Bildzeitung ihre Hochzeit im Lifestream übertragen. 

Und Prinz Harry und Meghan müssten Trauzeugen sein?

Mein Gott, Bartleby, jetzt hast du es verstanden!

Fußball +++ Bayern-Fan +++ Sprechen +++ Schreiben +++ Pfau +++ Trauma +++ Zoo +++ Alexa

Bartleby und Fußball, das ist ein Leben vom Bolzplatz bis zur Bahre. Als beinharter Abwehrrecke bei Weiß-Blau Allianz erreichte er Legendenstatus. Sein Trikot mit der Rückennummer 3 schmückt heute noch einen Ehrenplatz in seiner Wohnung. Aber seine große Liebe galt immer der Alten Dame Hertha BSC, egal in welcher Liga. Frank Zander hat Recht: „Nur nach Hause gehn wir nicht!“ Was auch in schlechten Zeiten half, war der Hass auf Schalke und die Verachtung des FC Telekom-Adidas-Allianz-CSU-Bayern München.

Der FC Hoeneß rühmt sich damit, der Verein mit den meisten Fans zu sein. Ewald Lienen, Technischer Direktor vom FC St. Pauli, hat einmal genauer hingeschaut: „Das sind alles Leute, die ihre frühkindliche Deprivation durch ein wöchentliches Erfolgserlebnis kompensieren müssen. Der durchschnittliche Bayern-Fan braucht das. Du wirst FCB-Fan, weil du das Risiko nicht eingehen willst, wie beim HSV oder bei uns mal ein Spiel zu verlieren.“ Bartleby geht dieses Risiko Woche für Woche und Jahr für Jahr von Neuem ein. Als Kriegskind muss er aus dieser Zeit so nichts  kompensieren.

Bartleby würde, wenn er ein Auto wäre, wahrscheinlich nicht mehr durch den nächsten TÜV kommen: Die Augen, die Ohren, die Nase und die Blase. Aber das kennt man ja bei Oldtimern. Alles lässt nach. Jetzt kommt aber noch das Sprechen und Schreiben dazu. Bartleby spricht wochenlang mit keinem Menschen, abgesehen von der Kassiererin bei EDEKA: Bitte, danke, nur zwei Worte, aber eigentlich schon eins zuviel. Als er sich jetzt auf seine Ansprache bei der Verlegung der Stolpersteine vorbereitete, bekam er kein vernünftiges Wort mehr über die Lippen, nur Kauderwelsch. So ähnlich war das damals, als er mit der Feuerwehr in die Charité gebracht wurde, Krebs da, Stimme weg.

Was tun? Die Rede zehn, zwanzigmal laut vor sich hin sagen. Demosthenes hat das damals am Meer gegen die Brandung gemacht. Bartleby aber lebt in einem Häusermeer. So musste er immer wieder durch seine Wohnung tigern und gegen die Wände sprechen. Eine Demütigung für den einstigen rhetorischen Superstar der Allianz-Seminare. Irgendwann konnte er doch wieder drei Sätze halbwegs geradeaus sprechen. Für die Rede bei den Stolpersteinen hat es dann doch knapp gereicht.

Sein Schreiben wird inzwischen zu einem ähnlichen Drama. Der Alte sitzt jeden Tag stundenlang vorm PC und hämmert auf der Tastatur rum. Neulich wollte er mal nach langer Zeit wieder wie früher eine Glückwunschkarte verschicken. Mal nix ausdrucken, sondern den Kuli in die Hand nehmen und so schreiben wie früher. Das Ergebnis war ein erbärmliches Krikelkrakel. Wie ist das möglich? Der junge Bartleby hatte in „Schrift“ immer eine Eins. Großvater als Rektor erwartete von ihm jeden Abend ein paar handschriftliche Seiten in einem Heft mit Linien aus Ober- und Unterlängen. Immer wieder derselbe Buchstabe und davon gab es schon damals eine ganze Menge. Aber so wurde Bartleby der Schüler mit der schönsten Handschrift in ganz Thüringen. Und was hat es ihm gebracht? Es heißt ja immer, Fahrradfahren verlernt man nie wieder. Aber ein Füller (Pelikan, teuer) und eine Glückwunschkarte (auch nicht billig) sind kein Fahrrad. Bartleby übte Seite für Seite, um sie gleich wieder zu zerknüllen und in den Papierkorb zu werfen. Irgendwann war der voll und sein Gekritzel doch lesbar. Was wird als Nächstes nicht mehr funktionieren? Da gibt es noch so Einiges.

Zu seinen Allianz-Zeiten nahm Bartleby einmal an einem Fortbildungsseminar teil. Am Ende des Seminars mussten wir jedem Teilnehmer ein Tier zuordnen. Ich habe die Einschätzung durch einen Kollegen bis heute nicht vergessen: „Kubitz erinnert mich an einen Pfau. Sieht gut aus, aber keiner weiß, wozu er da ist.“ Guter Mann. Hat sich leider wenig später das Leben genommen, was seine Worte für mich aber noch wertvoller machten. 

Weil aber auch ein 80jähriger Pfau ein Pfau bleibt, hat sich Bartleby vor kurzem im Friseursalon seines Kiezes wiedergefunden. „Wie solls werden?“ Kürzer, sportlich, bloß keinen Beamtenschnitt! „Dann mal bitte gerade hinsetzen, junger Mann!“ Sie ist eine resolute Türkin, die wahrscheinlich schon einmal Erdogan unter der Fuchtel gehabt hat. Wie ich da so sitze und in den Spiegel starre, fällt mir mein Friseur-Trauma wieder ein. Als Junge hat mir Hermann Görings Leibfriseur die Haare geschnitten. In Eschwege machte das dann ein Friseur, natürlich auch ein Mann. Da stand immer die ganze Zeit ein Aschenbecher vor mir mit der Aufschrift „Fromms“. Keine Ahnung, was das bedeutet, aber es machte neugierig auf das Älterwerden.

Dann der Kulturschock in Berlin. Hier gab es ja auch Frauen, die an den Haaren von Männern herumschnippelten. Ihr kennt ja Bartleby, das wollte er lieber nicht. Aber die Stadt ist groß und so gelang es dem Provinzler, irgendwo immer noch einen männlichen Friseur zu finden. Alles gut. Bis der Tag beim Friseur im Bahnhof Zoo kam. Bartleby checkt von draußen die Lage, alles klar. Der Chef empfängt ihn wie immer: „Bitte nehmen Sie Platz. Sie werden gleich bedient.“ Bartleby setzt sich, ist beruhigt, schon weil es hier keine Aschenbecher mit rätselhaften Aufschriften gibt. Auf einmal steht eine junge Frau hinter ihm und legt ihm sanft ihre Hände auf die Schultern. Eine Frau!!Wo kommt die denn auf einmal her? Hier waren doch sonst nur Männer. „Mit Waschen oder ohne?“ Sie ist hübsch, tiefer Ausschnitt und duftet nach allen Wohlgerüchen des Orients. „Äh, was, beides bitte“ antwortet Bartleby leicht verwirrt. Seit seiner Geburt mit Hilfe einer Hebamme hat er sich nie wieder einer Frau so ausgeliefert gefühlt. Bartleby, der ja immer wieder zu Übertreibungen neigt, hätte die attraktive Friseuse hinterher am liebsten noch zum Essen eingeladen. Vielleicht hätte er dabei auch etwas über das Geheimnis des Aschenbechers erfahren.

Sophie Passmann ist eine junge Autorin, Moderatorin und witzig für eine Frau, wie sie selbst sagt. Ihr Buch „Alte weiße Männer“ über solche Typen wie Bartleby war ein Bestseller. Über seine Stadt hat sie auch einen rausgehauen: Berlin ist die einzige deutsche Stadt, in der man nicht „in die Stadt gehen“ kann, unser Misstrauen ist also begründet. Einem anderen Beobachter ist dazu noch das aufgefallen: Nur in Berlin ist der Tiergarten ein Park, der Tierpark ein Zoo und der Zoo ein Bahnhof. Also Wessis, merkt euch das: Hier ist vieles anders als bei euch auf dem Dorf.

Alexa, kennst du den Unterschied zwischen Äpfeln und Birnen?

Hältst du mich für blöd? 

Na ja, aber stell dir vor, jemand besitzt einen Korb voller Äpfel.

Und dann?

Dann holt er sich aus einem anderen Korb Birnen und legt die zu den Äpfeln in seinen Korb.

Na und?

Werden die Birnen dann wie von selbst auch zu Äpfeln?

Quatsch! Sie bleiben natürlich auch dort was sie waren: Birnen. 

Der Friedrich Merz denkt aber, wenn er das „Gesindel“, wie er es nennt, von der AFD in die CDU zurückholt, würden dort aus den Birnen ganz von allein wieder Äpfel.

Aber warum sagt er sowas?

Ganz einfach, weil er die Birnen braucht, um Kanzler zu werden. Ein auch dir bekannter Reichskanzler hat das damals so ähnlich gemacht.

Bartleby, es gibt Momente, da hasse ich dich!

Stolpersteine EXTRA

Guten Tag, Nachbarn: Schön, dass Sie da sind. Lassen Sie mich bitte kurz erklären, warum ich für diese Stolpersteine gespendet habe. Heute, zwei Tage nachHanau, bin ich mir nicht mehr sicher, ob das meine letzte Spende gewesen sein kann.

Mein Name ist Ulrich Kubitz. Ich bin als Kriegskind in Berlin geboren. Seit mehr als 55 Jahren wohne ich in diesem Haus. Als ich als junger Student hier einzog, glich meine Wohnung noch einem Loch voller Kriegsschäden. Ich habe sie bis heute nicht vollständig beseitigen lassen. Sie sollten sichtbar bleiben. Ein stolzes Haus wie dieses sollte seine Wunden zeigen dürfen. 

Sie können sich ihre Wohnung noch so schön einrichten und sich darin wohlfühlen, die Kriegsschäden bleiben eine sichtbare Mahnung. Wer hat hier vor mir gewohnt, was waren das für Menschen, die in dieser Wohnung genauso gern gelebt haben wie ich? Wie war das für sie damals, als sie sehen mussten, wie sich immer mehr Juden da drüben in der Synagoge an der Levetzowstraße melden mussten? Wie war das für sie, als eines Tages SA und SS die Treppen heraufstürmten und an ihre Tür wummerten? Wie war das für sie, als sie nur eine knappe Stunde Zeit hatten, einen einzigen Koffer zu packen? Und wie war das für sie, als ihre Nachbarn ringsherum dabei nur zusahen? Das waren Fragen, die mich all die Jahre nicht losgelassen haben.

Mein Vater war kein kleines Licht in der Nazi-Zeit. Er saß bis 1948 im Militärgefängnis in Nürnberg. Aber ich hatte auch einen Großvater, Rektor, Humanist und Freimaurer. In den Nachkriegsjahren fuhr er mit mir nach Weimar. Zuerst besuchten wir das Goethehaus. Der kleine Junge erstarrte zwar vor Ehrfurcht, hatte aber nichts verstanden. Anschließend zeigte er mir das nahe KZ Buchenwald. Ich erinnerte mich noch an Stacheldraht, Zellen und Baracken. Die schlimmsten Orte hat mir mein Großvater aus gutem Grund erspart. 

Jahre später war ich in Theresienstadt, Sachsenhausen und mehrmals in Buchenwald.  Langsam wurde mir klar, was mein Großvater mir damals an dem Tag in Weimar sagen wollte: Pass auf, mein Junge, auch ein Volk, dass Goethe und Schiller hervorgebracht hat, ist nicht davor gefeit, auch KZ zu betreiben. Merk dir das! Ich habe mir das gemerkt. Heute bin ich selbst Großvater und habe einen Enkel. Ich freue mich, dass er heute dabei ist. 

Die Namen von fünf meiner ehemaligen Nachbarn sind jetzt in Stein gemeißelt. Es waren Menschen wie Sie und ich. Ich möchte ihnen zum Schluss meine Stimme leihen, damit wir ihre Namen noch einmal hören.

Hier wohnten vor mir – und vor uns:

Else Sando-Mirsky – Max Schneider – Ludwig Schneider

Anna Schneider – Marta Schneider

Danke noch einmal an Herrn Demnig, danke an Frau Stippel, und danke Ihnen, dass Sie gekommen sind und mir zugehört haben. Auf Wiedersehen.

Borchardt +++ Allianz +++ Radikal +++ Waschmaschine +++ Relativhemden +++ Gleise +++ U-Bahn +++ Alexa

Heute ein Tipp für alle von euch, die nicht immer nur bei „Curry 36“ oder „Mustafa`s Gemüse Kebap“ am Mehringdamm essen wollen. Ihr kennt doch das „Borchardt“. Das ist das „Berghain“ für alle, die sich mal richtig den Bauch und nicht nur den Arsch vollschlagen lassen wollen. Aber da kriegen wir doch nie einen Platz, höre ich euch jammern. Die lassen doch nur die rein, die zur Haute Volaute (berlinisch für „hautevolée“) gehören. Falsch! Der Manager vom „Borchardt“ hat jetzt verraten, wie auch Kreti und Pleti da reinkommen: „Charme hilft – und ein kurzer Rock ist kein Hindernis.“ Also: Wenn es so einfach ist, her mit der Schere! Bartleby trägt zwar keinen Rock, macht das aber durch seinen Charme und gutes Aussehen wieder wett.

Die Dame mit der Katze hat Bartleby neulich ihren Arbeitsbereich in der neuen Allianz-Zentrale gezeigt. Das Allianz-Urgestein war schockiert. Keine Pflanzen, keine eigenen Bilder an den Wänden und schon gar keine Fototapeten. Er hatte sich damals für einen Südseestrand entschieden. Seine Azubis waren begeistert und ergänzten die Tapete um einige originelle und gewagte Details. Damals kamen gerade Grafittis auf. Die jungen Leute bespannten die Wände mit Packpapier und Bartleby spendierte eine Lage Spraydosen. Er  musste sich anhören, dass seine Azubis doch nur kämen, um sich künstlerisch zu betätigen, aber nicht, um etwas zu lernen. Dass Bartleby beides miteinander vereinbaren wollte, blieb ihnen leider verborgen. 

Deprimierend, wie heute bei der Allianz das Zimmer einer Führungskraft aussieht. Kleiner Tisch mit Computer und ein Stuhl in der Ecke, falls die Putzfrau mal einen Schwächeanfall erleidet. Das Ganze etwa halb so groß wie eine Zelle in der JVA Tegel. Bartleby erinnert sich noch, wie er als Betriebsrat in den 90ern verhindert hat, dass die Räume in den Treptowers nur so groß wie ein Taubenschlag oder Karnickelstall wurden. In seiner Betriebszeitung rief er seine Kollegen dagegen auf mit einem Zitat von Günter Eich: „Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.“ Das gefiel den Bossen natürlich nicht, brachte ihm aber eine Kandidatur seiner Gewerkschaft ein für einen Sitz im Aufsichtsrat von Allianz Leben. Daraus wurde dann leider nichts. Die große Allianz war noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Von den 68ern lernen, heißt, scheitern lernen.

Was manche von euch schon ahnten: Bartleby ist eigentlich ein verhinderter Journalist. Aber was ihr nicht wisst: Bartleby war sogar einmal (Mit)Herausgeber einer Zeitschrift. Natürlich nicht „Gala“ oder „Apotheken-Rundschau“, sondern von „Radikal“. Das war in den 1980er Jahren das auflagenstärkste und einflussreichste Blatt der Autonomen und galt als Sprachrohr der Hausbesetzerszene. Anspruch des Redaktionskollektivs: „Die 68er Opas haben immer noch nicht begriffen, dass wir nicht für die Öffentlichkeit kämpfen, sondern für ein selbstbestimmtes Leben in allen Bereichen.“

Im bleiernen Herbst der BRD wurden gegen die Zeitschrift 210 Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung geführt. Ein Student und ein Journalist wurden festgenommen, weil sie auf der Herausgeberliste standen. Sie wurden zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, das Urteil erst 1989 durch den Bundesgerichtshof aufgehoben. Wer Bartleby kennt, weiß, dass er bei sowas nicht einfach weiter ruhig in seinen Allianz-Akten blättern konnte. Obwohl 68er Opa, wurde er trotzdem auch Herausgeber von „Radikal“ und wartete nun jeden Tag auf seine Verhaftung. Aber weil wir so viele waren, musste der Staat schließlich aufgeben. „Mit Gefühl und Härte“ hieß es damals auf einem Graffiti in Kreuzberg. Beides hilft auch heute noch.

So, Opa hat genug vom Krieg erzählt. Jetzt geht es um seine Waschmaschine. Die funktioniert schon eine Weile nicht mehr richtig. Wochen? Monate? Jahre? Eine  Dame und ihre Katze beschwören Bartleby, sich doch endlich eine neue zu kaufen. Seine Antwort? Das war leicht: „Ich möchte lieber nicht.“ Aber die wachsamen Algorithmen von Google haben das Drama mitbekommen und schicken ihm per Youtube ein Video vom großartigen Kris Kristofferson: „Sunday morning coming down.“ Stellt euch vor, es ist Sonntag morgen und ihr habt noch einen dicken Kopf vom Vorabend. Disco oder Musikantenstadl, egal. Frühstück kannste vergessen, aber anziehen musst du ja trotzdem irgendwas. Bloß was? Im Kleiderschrank alles grau in grau. Aber Kris Kristofferson hat die Lösung: „I put my cleanest dirty shirt.“ 

Das erinnert Bartleby an seine Studienzeit in Marburg. In seiner Bude gab es natürlich keine Waschmaschine. Viele seiner Bundesbrüder fuhren am Wochenende zu Mutti und ließen sich ihre Wäsche waschen. Aber Bartleby wollte nicht so ein Weichei sein. Er sortierte dafür lieber seine weißen Oberhemden (Couleurzwang) im Schrank von links nach rechts. Das hieß: es gab nur getragene Hemden, aber das ganz links war immer das relativ sauberste. Wir nannten das „Relativhemden“. Danach kam es dann nach ganz rechts. Bis es wieder ganz links landete und dann begann wieder alles von vorne. Irgendwann kamen dann ja die Semesterferien und Mutti. – „Bartleby, ich hab da mal ne Frage.“ – „Ja, mein Kind,“ – „Hast du das mit deiner Unterwäsche genauso gemacht?“ – „Nächste Frage!“

Der Autofreak Bartleby will demnächst seit langem mal wieder mit der Bahn fahren. Das wird ein Abenteuer. Passend dazu ist er gerade auf einen hübschen Tweet gestoßen: Neulich im Zug von Zürich nach Stuttgart kurz nach dem Einsteigen. Fahrgast: „Hat es durchgängig Internet?“ – Schweizer Zugbegleiter: “Wir fahren durch Deutschland. Da können Sie froh sein, wenn es überall Gleise hat.“ Chapeau, diese Schweizer!

Es ist schon ein paar Jahre her, da wollte Bartleby im Bahnhof Zoo in die S-Bahn einstiegen. Konnte er aber nicht, weil man in dem Waggon gerade entdeckt hatte, dass ein Fahrgast inzwischen tot war. Ähnliches ist gerade wieder passiert, allerdings in der U-Bahn in Neukölln. Ein Mann saß tot auf seinem Platz und das wohl schon seit einigen Stationen. Keiner hatte es bemerkt. Der Tote fiel schließlich nur deswegen auf, weil er der Einzige war, der nicht ständig auf ein Smartphone starrte. Bartleby überlegt jetzt, ob er sich nicht doch noch ein Smartphone anschaffen soll.

Alexa, darf ich nicht doch mal was Politisches schreiben?
Vergiss es!
Auch nicht über Windräder?
Auch nicht! Die dürfen nun mal nicht zu nah an Häusern stehen. Die Menschen dort wollen das nicht.
Aber wenn sie ihre Häuser und ganze Dörfer dem Braunkohletagebau opfern müssen,  wollen sie das doch auch nicht.
Das ist doch wieder etwas ganz anderes.
Und wenn die Menschen statt dessen doch lieber Windräder hätten und dafür ihre Häuser behalten dürften?
Wie sagte schon der große Politiker Roy Black so richtig: „Du kannst nicht alles haben!“

Alexas Akkus sind gerade leer, deshalb schnell doch noch was Politisches: In Thüringen schmeißt die Vorsitzende der Linkenfraktion einem Nazi-Sympatisanten einen Blumenstrauß vor die Füße und im amerikanischen Kongress zerreißt Nancy Pelosi von den Demokraten das Redemanuskript von Donald Trump vor laufenden Kameras in Fetzen. Hallo Männer, wieso sind es immer nur Frauen, die zu solch starken Gesten fähig sind?

Zwiebelfisch +++ Sumpfstadt +++ Berliner Gerichte +++ TÜV +++ Wallensteins Tod +++ Russisch Raclette +++ ZÜCKBLEIM +++ Alexa

Greta würde Bartleby lieben. Er schont das Klima auf seine Art, das heißt, er bleibt zuhause. Einen Tag, eine Woche, einen Monat, vielleicht auch mal zwei. Spätestens dann aber steht seine strenge Gebrechlichkeitspflegerin aus Neukölln auf der Matte: „Der Alte muss an die frische Luft!“ Widerspruch zwecklos. Ostfrau. Komisch, von diesem Kino und dem Film hatte er noch nie gehört, bei so einem Vietnamesen noch nie sowas gegessen. War das eigentlich noch sein Berlin? Wo ist seine alte Allianz am Kudamm (Adlershof), wo ist der Gloria-Palast (Sony-Center), wo sind Hühner Hugo und Wienerwald (McDonalds)? Alles weg. Doch einer ist noch da: der „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz. Unkaputtbar. Seit über 50 Jahren beste Zwiebelsuppe in town.

Vor genau 100 Jahren wäre das für Bartleby noch viel dramatischer gewesen. Da haben tolldreiste Politiker (gibt’s heute leider nicht mehr) aus einem bunten Haufen Dörfer und Kleinstädten ein Groß-Berlin mit fast 4 Mill. Einwohnern geschaffen. Heute undenkbar. Schon allein die Umsiedlung von Lurchen, Zauneidechsen und Fledermäusen hätte das Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Berlin, das Ergebnis einer großen Umweltsauerei, was sonst. Übrigens: der Name Berlin kommt aus dem Slawischen und bedeutet soviel wie „Sumpfstadt“. Erstaunlich, wie weitsichtig die Slawen waren. 

Berliner Gerichte sind ja inzwischen berüchtigt. Beispiel gefällig? Einstellung eines Verfahrens wegen Körperverletzung mit Fahrerflucht: Ein Radler wurde angefahren, die Ermittler konnten kein „öffentliches Interesse“ feststellen – u. a. „weil die Verletzungen nicht schwerwiegend sind“. Aha. Wieviel Schürfwunde darfs denn sein, bitte? “Reicht auch eine Prellung, oder sollte doch schon was gebrochen sein?“ fragt der Betroffene in diesem Fall (lt. Tagesspiegel). Bartleby fährt mit seinem Rad deswegen nur noch im Tiergarten. Dort lauert die größte Gefahr in Form von roten amerikanischen Sumpfkrebsen auf ihren Wanderungen zum Kudamm. Die Yankees sind schnell eingesammelt, dann Fahrerflucht und ab in den Kochtopf. Lecker. 

So, dank Tagesspiegel hier noch eine Verkehrssache, zählen wir mal durch: Der Fahrer war 16, natürlich ohne Führerschein, den Smart von der Mutter geklaut, ohne Licht unterwegs, durch die Einbahnstraße, bei Rot über die Kreuzung, Vorfahrtsstraßen ignoriert, mit 120 Sachen durch die Tempo-30-Zone … da kommt einiges zusammen. Die Mutter kam übrigens mit dem Taxi dorthin, wo die Amokfahrt endete – und spuckte wütend nach ihrem Sohn. So, und jetzt Ihr: Wo fand das Ganze statt? Richtig, das war leicht: natürlich in Neukölln.

Die heimische Tierwelt hat sich ja mit dem Auto arrangiert. Bartleby wollte kurz vor seinem letzten TÜV-Termin den Motorraum seiner Luxuskarre reinigen. Aber was muss er da entdecken? Zwei Haufen von Erdnussschalen und Reste anderer Früchte. Marder können es nicht gewesen sein; die knabbern lieber an Kabeln. Sein Verdacht fällt auf Eichhörnchen, die ein erotisches Verhältnis zu Mercedes-Cabrios haben müssen. Das kommt davon, wenn ich mein Auto einige Wochen nicht bewege. Die sympathischen Gesellen denken sich dann vermutlich, dass ich das nur ihretwegen so lange vors Haus gestellt habe. Der Tierfreund Bartleby wird jetzt unter der Motorhaube ein kleines Erdnuss-Depot anlegen und vor jedem Start vorsichtshalber erst einmal  hupen. Keine Angst, natürlich nicht zu laut. 

Vor dem TÜV hatte Bartleby doch ziemlichen Bammel. Wird das das Ende sein für seine größte Liebesbeziehung? Sein Auto ist inzwischen 25 Jahre alt, eine alte Dame also, aber immer noch so elegant wie die späte Marlene Dietrich. Aber der junge Prüfer hat kein Auge für das verführerische Äußere (Platin-Wäsche 14,99 Euro), beschäftigt sich nur voller Eifer mit ihren Dessous. Bartleby, typisch mal wieder, hat sie lange nicht mehr gewechselt. Aus der Halle dröhnt, kracht und zischt es, dann ist es still. Das wars wohl. Dann Auftritt des jungen Prüfers. Mit ungläubigem Staunen reicht er den KfZ-Schein zurück. „Sie haben die Plakette.“ Ein Wunder. Was er nicht weiß, ist, dass die nur jemand kriegen kann, der sein Auto jahrelang so rücksichtsvoll und voller Gefühl behandelt hat wie eine Frau. Bartleby, der Autoflüsterer.

Bartleby ist ja berüchtigt für sein ständiges „Ich möchte lieber nicht“. Dabei berief er sich immer auf Herman Melvilles „Bartleby der Schreiber“. Jetzt muss er umdenken. Über die Feiertage hat er mal wieder im Buch von Josef Müller („Von der lieben Schulmeisterei“) geblättert. Den kennen nur wenige, aber er war der beste Lehrer, den der junge Bartleby am Gymnasium hatte. Was für ein beeindruckender Mann. Eine Persönlichkeit, die die Kriegswirren aus dem großbürgerlichen Prag ausgerechnet in das nur wenig verblasste braune Eschwege verschlagen hatte. 1950 hätte er Direktor der Friedrich-Wilhelm-Schule werden können. Die städtischen Gremien sprachen sich dagegen aus. Ein Argument: „Dass der Dr. Müller katholisch ist, mag ja noch angehen. Aber dass er nicht in der Partei war, das geht nicht.“ Stattdessen wurde es ein bigotter Prediger, den der junge Bartleby in seiner Schülerzeitung als pathologisch angeprangert hat. Dafür musste er ein Jahr vor dem Abi die Schule verlassen. So waren sie, die 50er Jahre.

Aber was ich sagen wollte: Müller-Mutz, wie wir ihn nannten wegen seiner Pfeife, war nicht nur der Mentor unseres Mitschülers Rolf Hochhuth („Der Stellvertreter“), sondern vor allem ein großer Goethe-Verehrer. Mit Schiller hatte er nicht so viel am Hut. In „Wallensteins Tod“ gibt es einen großen Monolog, in dem Wallenstein darüber spricht, dass schon das bloße Denken an eine Tat sie unvermeidlich machen könne. Sein Fazit vor einer Schlacht mit den Schweden „Ich will es lieber doch nicht tun“ fand Müller-Mutz zu banal. Goethe hätte das bestimmt faustischer formuliert, Egal, Bartlebys Wurzeln und sein berühmtes „Ich möchte lieber nicht“ gehen also nicht auf Melville, sondern auf keinen geringeren als Friedrich Schiller zurück. Auch nicht schlecht.

Bartleby hatte ja eine schlesisch-polnische Oma. Ihr Mantra nach seiner Entwöhnung von der Muttermilch lautete: „Iss Fleisch, mein Junge!“. Sehr zum Verdruss der veganen Feministinnen vom Prenzelberg hat der brave Junge so Krieg und Nachkriegszeit überlebt. Heute ist seine Küche ein wahres Bollwerk gegen Veganismus. Zuletzt gab es Russisch Raclette. Alle Reste, die sich nach den Feiertagen noch im Kühlschrank befanden, kamen in die Pfännchen: Raclettekäse, Speck, Birnen, Paprika, Oliven, Ziegenkäse, Rostbratwürstchen, Bündner Fleisch und mehr. Pfeffer, Honig und Ahornsirup drüber und einen kräftigen Schuss Rum. Dann wird flambiert. Die ersten Schweizer würden sich spätestens jetzt erschießen. Daher Russisch Raclette.

Noch ein Tipp für Berlin-Touris unter euch. Wenn ihr in der Stadt mit der S-Bahn unterwegs seid, hört ihr es oft aus den Lautsprechern bellen: „ZÜCKBLEIM!!!“ Nicht erschrecken, das ist nur  Höflichkeit nach Berliner Art und bedeutet soviel wie „Zurückbleiben, bitte“. Dabei erinnert Bartleby sich an eine S-Bahn-Fahrt kurz nach der Wende. Bahnhof Friedrichstraße, ein Kontroletti tobt durch den Gang und schreit „Die Fahrscheine!!“ Allein Bartleby zeigt den Fahrgästen, dass hier ein Wessi im Wagen sitzt. „Geht das Ganze nicht auch in einem anderen Ton?“ Der Mann baut sich vor ihm auf und antwortet „Ich war jahrelang bei der VA (Volksarmee), ich kann nicht anders.“ Bartleby: „Abtreten!“ Dann war Ruhe. (Das war die Zeit, in der Bartleby noch ein toller Kerl war.)

Alexa, darf Bartleby nicht doch mal was Politisches schreiben?
Vergiss es!
Auch nicht über eine Oma, die im Hühnerstall Motorrad fährt?
Auch nicht! Du willst dich doch bloß wieder über alte Frauen lustig machen.
Und wenn Opa mit einem SUV durch den Stall brettert? Ist der dann keine alte Umweltsau?
Kommt darauf an, woher der SUV kommt.
Ich glaube, aus Bayern.
Stop! Ich bin doch nicht bescheuert. Jetzt wird’s doch wieder politisch. 

Taxi am BER +++ Moabit +++ Militärseelsorge +++ Balkonien +++ Feuerwehr +++Toter Hund +++ Berliner Polizei +++ Alexa

Das solltet ihr wissen: wenn der BER in diesem Jahr wirklich fertig wird und ihr dann nach Berlin fliegen wollt, landet ihr aber nicht in Berlin. Ihr landet in Brandenburg. Das ist ein großer Unterschied. Fragt Rainald Grebe. Wieso? In Schönefeld dürft ihr nur in Taxis einsteigen mit dem Kennzeichen LDS (Landkreis Dahme Spree). Von diesen Ferkeltaxen steht allerdings nur eine Handvoll da und manche haben sogar einen Navi, der ihnen den Weg nach Berlin anzeigt. Die zahlreichen Taxen mit dem Kennzeichen B (Berlin) müssen leider alle wieder leer in die Stadt zurückfahren. Warum? Brandenburg eben. Da haben viele noch nicht mitgekriegt, dass es keine DDR mehr gibt. Auf der Rückfahrt von Berlin nach Schönefeld könnt ihr euch ja von einem Berliner Taxifahrer erzählen lassen, wie er diesen Irrsinn findet. Das wird ein Spaß! Vielleicht tröstet er euch mit einem Bonmot wie diesem: „Mit einem Taxi in Schönefeld ist es wie mit AIDS: Kriegen immer nur die Anderen.“ 

Bartleby lebt ja schon seit einer Ewigkeit in Moabit. Nicht die Prinzessin unter den Kiezen, eher das Aschenputtel. Aber schon der kleine Bartleby hatte sich in das arme Mädchen verliebt. Nur AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen findet Moabit eklig: „Wenn ich nur in Berlin von Tegel nach Mitte fahre durch Moabit und mir den Zustand dieses Viertels ansehe, das ist für mich eklig.“ Dann geh doch ins „Neumanns“ in Alt-Moabit. Unser Essen dort war sehr gut, aber die übrigen Gäste erinnerten uns dunkel an ein SA-Sturm-Lokal der Dreißiger. Wieder zuhause gegoogelt: Ja, es stimmt, „Neumanns“ ist ein AfD-Lokal. Das nächste Mal vielleicht lieber wieder ein Döner beim Türken, garantiert nicht eklig.

Bartleby ist ja bekanntlich ein militanter Atheist. Dafür braucht er natürlich keine Waffen und erst recht keinen Militärseelsorger. Anders bei der Bundeswehr: 300 jüdische Soldaten bekommen jetzt dort 10 (in Worten: zehn) jüdische Militärseelsorger. Das ist aber auch im wahrsten Sinne des Wortes ein Knochenjob. Erst müssen die frommen Männer den Soldaten seelisch auf seine Aufgabe vorbereiten. In jedem Krieg der Welt hieß das immer: den Feind töten. Nach dem Einsatz muss der fromme Mann sich dann um die seelischen Wunden des armen Schützen kümmern. Denn nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz. Da muss der Soldat wieder fit sein. Wer kümmert sich eigentlich um den getöteten „Feind“? Leute, nicht böse sein, aber Bartleby hält Militärseelsorger für eine perverse Obszönität. Hatte Hitlers Wehrmacht nicht auch welche? 

Was Kurt Tucholsky über Soldaten sagte, muss ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Aber auch das war ein Grund, weshalb der junge Bartleby sich der Wehrpflicht entzog und nach West-Berlin flüchtete. Eine seiner besten Entscheidungen. Er mochte lieber nicht. Der Verleger Klaus Wagenbach kommentierte die 60er-Jahre so: „In Berlin war die Elite der Nation versammelt: die Wehrdienstverweigerer. Die alten Nazis gegen die Wehrdienstverweigerer, das war West-Berlin. Die Zwischengeneration fehlte, die war im Westen und machte Karriere.“ (Nicht nur nebenbei: Bartlebys Sohn verweigerte nach der „Wende“ auch den Wehrdienst und machte trotzdem oder gerade deswegenKarriere)

Bartleby ist süchtig nach Umfragen. Solche wie diese: Frauen, die viel putzen, sind sexuell nicht ausgelastet. Seine Nachbarin gegenüber, auch nicht mehr die Jüngste, wienert ihre Fenster alle paar Wochen. Die Ärmste. Aber gilt das auch für Männer, die viel putzen? Bartleby hat seine Fenster seit 20 Jahren nicht mehr geputzt. Er wollte lieber nicht. Regen muss reichen dafür. Er kann zwar noch erkennen, welche Jahreszeit gerade da draußen ist, aber sein Sex ist dadurch nicht besser geworden.   

Um die Jahreswende schlägt wieder die Stunde von Bartleby, dem großen Plänemacher. Bei einer Flasche Rotwein entstehen phantastische To-do-Listen. Ob es endlich um etwas Ungewöhnliches in seinem Alltag geht oder um total verrückte Menues am eigenen Herd. Ob er endlich bei einem kulturellen Highlight dabei sein möchte oder Reisen in Traumstädte und verlockende Länder machen möchte. Aber gerade das Letztere wird durch die politischen Verhältnisse dort immer schwieriger. Bleibt bald nur noch das piefige Balkonien. 

Das muss nicht sein. Trendsetter haben herausgefunden, dass immer mehr Leute inzwischen sowieso lieber hierbleiben und haben einen neuen Begriff für den zu Unrecht geschmähten Balkon erfunden: „Staycation“, ein Kunstwort aus stay für bleiben und vacation für Ferien. Jetzt müssen die To-do-Listen nur noch bei einem Gin Tonic zusammengestrichen werden und der Urlaub auf dem Balkon ist perfekt. 

Blackout in Köpenick. Aufgrund fehlerhafter Bohrungen an einer Brücke sind 31 000 Haushalte mehr als 30 Stunden stromlos. Was empfiehlt die Berliner Feuerwehr?

A) „Günstige Kerzen gibt es diese Woche bei Rewe im Angebot.“

B) „Zur Information schalten Sie Rundfunk und Fernsehen an.“

C) „Lesen Sie doch mal wieder ein Buch.“

Lösung am Ende des Letters. (Danke Tagesspiegel)

Hier noch eine Geschichte, die zu schön ist, um nur Tagesspiegel-Lesern erzählt zu werden. Also: Eine Studentin verdient sich ein paar Euro, indem sie den altersschwachen Hund eines alten Ehepaares ausführt. Im Grunewald passiert es: der Hund fällt um und stirbt. Sie weiß, dass die alten Leute ihn gerne in ihrem Garten begraben würden. Was nun? Sie versteckt den Hund unter einem Haufen Laub und eilt nach Hause, um mit einer großen Reisetasche wiederzukommen. Mit dem toten Hund in der Tasche läuft sie zur nächsten S-Bahn-Station. Dort spricht sie ein junger Mann an und hilft ihr, die schwere Tasche zu tragen. Seine Frage, was denn da Schweres drin sei, macht sie nur kurz verlegen. Soll sie wirklich sagen, ein toter Hund? Nein, das klänge unhöflich. Sie antwortet „Mein Equipment als DJ.“ Der junge Mann greift sich die Tasche und rennt mit ihr davon. Das ist Berlin, wie es leibt und lebt und stirbt.

Das Social-Media-Team der Berliner Polizei hat über Silvester 435 Tweets verschickt. Darunter diese vier
„Verzweifelter Mann in Wedding ruft schon zum 2. Mal den Notruf. Seine Schwiegermutter soll bitte gehen.“
„Silvester zu Zeiten des Klimawandels. Man wirft sich in Lichterfelde unangezündete (!) Böller zu. Wir prüfen, ob wenigstens „Peng“ gerufen wurde.“
„In Neukölln wird im Treppenhaus gegrillt.“
„In Neukölln legt sich eine Frau auf die Fahrbahn.“
Bartleby grüßt Elkes Neukölln.


Alexa, darf ich nicht doch mal über was Politisches schreiben?
Vergiss es!
Auch nicht über Sahra Wagenknecht?
Auch nicht! Du willst doch nur wissen, warum sie ihre Haare nie offen trägt.
Ja und?
Weil Oskar dann immer sagt, jetzt siehst du wieder aus wie Linda Zervakis. 
Aber die sieht doch toll aus!
Na klar, aber stell dir vor, das Fernsehen überträgt eine Bundestagsdebatte und Sahra steht mit offenem Haar am Rednerpult. Die BILD-Leser denken doch, jetzt moderiert Linda gerade die Tagesschau.
Nur weil die BILD-Leser zu blöd sind, darf die arme Sahra …
Halt! Stop! Jetzt wird’s doch wieder politisch. 


Lösung der Empfehlung der Berliner Feuerwehr: B (doch, doch, stimmt wirklich)

Berliner Weihnachtsgeschichte +++ Mietendeckel +++ Sinead O´Connor +++ Der große Verfeinerer +++ Greta

Das hättet ihr nicht gedacht: Der Heide Bartleby liest aus der Weihnachtsgeschichte

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auch auf Josef in das ferne Berlin, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten keine Wohnung in der Stadt gefunden.“ Und Josef machte sich wieder auf wegen der Geburtsurkunde, um beim Standesamt noch einen Termin vor Ostern zu ergattern. Er ist ja hier schließlich nicht in Bethlehem.

Das mit der Wohnung kann Bartleby in den nächsten Jahren auch passieren. Aber anders als früher in Bethlehem könnte hier bald ein Mietendeckel kommen und ihn retten. Dann wird es aber unter den Brücken eng. Lauter plötzlich verarmte Vermieter müssen sich dann nach dem Flaschen sammeln mit Obdachlosen unter den Brücken um die letzten Schlafsäcke der Stadtmission streiten. Andererseits: 

Die Zahl der privaten Vermieter in Berlin ist von 155.836 in 2008 auf 196.645 in 2017 gestiegen. Die Summe ihrer Einnahmen ist im gleichen Zeitraum explodiert: von 275 Millionen auf 1,3 Milliarden Euro. Altersvorsorge gesichert, würde Bartleby sagen.

Nach der großen Traktor-Demo jetzt eine Berliner Baufirmen-Demo gegen den Mietendeckel. Wo? Natürlich wieder am Brandenburger Tor. Verdammt nochmal, können andere Städte nicht auch Brandenburger Tore aufstellen? Kann doch nicht so schwer sein. Transparente mit dem üblichen Stumpfsinn. Aber ein Demonstrant war belesen. Er variierte Marie-Antoinette, die gesagt hatte, diejenigen, die sich kein Brot leisten können, sollten doch stattdessen Kuchen essen. Sein Transparent: „Wenns Miete zu hoch is, sollns halt im Hotel schlafen.“ Dem Adlon gefällt das.

Mein Klempner befürchtet, er dürfe in Zukunft nicht mehr meinen tropfenden Wasserhahn reparieren. Na und? Dann verzichtet Bartleby eben einmal auf sein ewiges „Ich möchte lieber nicht“ und macht es selber. Woher er das kann? Bei seinem Allianz-Einsatz früher im Osten musste er sogar Klos in maroden Seminar-Gebäuden reparieren. Die Mädels haben ihn dafür geliebt, aber leider immer nur als Klempner. Bis auf eine Ausnahme.  

1700 Menschen kamen Ende November zur Massenbesichtigung einer Schöneberger Wohnung (55 qm, 570 Euro warm) – gewonnen hat eine junge Französin. Der Vermieter begründet seine Entscheidung so: „Französischer Charme schlägt Berliner Schnauze.“ (Abendschau). Wenn es ganz eng wird, hilft vielleicht Französisch für Anfängerinnen: „Voulez-vous coucher avec moi?“ Bartleby schenkt sich besser die Übersetzung in den  Berliner Slang. Vielleicht zu vulgär für zarte Gemüter.

Bartleby musste ja sein letztes Schuljahr auf der Waldorfschule in Kassel verbringen. Gut für ihn, aber schlecht für seinen Klassenkameraden Micha, der nämlich in dieser Zeit sein Zimmer mit ihm teilen musste. Danke Micha, du warst sehr tapfer. Vor einiger Zeit kam heraus, dass Michas Tochter Nadine heute eine geschätzte Kulturjournalistin des Berliner „Tagesspiegel“ ist. Bartleby ist aber nicht nur deswegen einer ihrer größten Fans. Gerade hat er ihren Bericht über ein Konzert von Sinead O´Connor gelesen. Der alte Mann verfolgt die Irin schon lange mit Sympathie für ihre Songs und ihren Kampf gegen Papst und katholische Kirche. Hat leider keine Karte mehr für das Konzert bekommen. Bartleby gehört ja zu dem Typ Mann, der immer Großes will und schon im Kleinen scheitert. Sinead hatte einen Trost für ihn. Nadine zitiert eine Zeile aus einem ihrer Songs: 
„I wanted to change the world, but I could not even change my underwear.“ Ich sehe euch wenig überrascht.

 Bartleby fährt nur noch selten mit der S-Bahn. Wenn es wirklich sein muss, schnell noch vorher online ein Besuch des Betriebsstörungsbingos der Bahn im Netz: „Signalstörungs-meldungen für 14 von 17 Linien“. Reaktion eines Twitter-Users auf eine der Signalstörungs-meldungen: „Hej, der Tweet ist doch von gestern!“ Anderer User: „Falsch, von morgen.“

In einem großen Reiseführer für Berlin soll für Touristen die Empfehlung stehen, schon vor der Reise unbedingt das wichtigste deutsche Wort für die Stadt auswendig zu lernen:„Schienenersatzverkehr“. Wäre sicher auch für die Wessis vom Dorf nützlich.

In Berlin wird ja die Bevölkerung buchstäblich zu jedem Scheiß befragt. Beweis? Meeting mit Anwohnern des Olympiastadions, wo Hertha auch ihr neues Stadion bauen will. Die Anwohner sind dagegen. Einer bringt es auf den Punkt: „Hertha ist ja noch okay, aber am schlimmsten sind die Fans bei Konzerten. Bei Helene Fischer kacken sie uns in die Gärten.“ Atemlos durch die Nacht, bis einer seinen Haufen macht.

Bartleby hat heute ein Weihnachts-Gedächtnisessen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit gekocht. Damals hat er mit Mutter Steckrüben und andere Reste von Brandenburger Feldern geklaut. Sorry Bauern. Tim Mälzer hat aus Mutters  Arme-Leute-Essen ganz grob ein Rezept gemacht. Bartleby hat es wie immer unnachahmlich verfeinert. Er war ja nie der Mann fürs Grobe. Das überließ er immer anderen, ob im Job, in der Mode oder in der Küche, aber danach schlug seine Stunde als der große Verfeinerer. Hier ein bisschen mehr, dort ein bisschen weniger und zum Schluss noch eine neue Kleinigkeit. Er soll ja sogar schöne Frauen verfeinert haben. Sagt man jedenfalls.

Bartleby liest gerade, dass jedes 3. Kind Weihnachtsgeschenke ausspioniert. Er kann das bestätigen. Ohne jede Hemmung hat er das Schlafzimmer seiner Eltern gründlich  durchwühlt und seine Bescherung um Tage vorverlegt. Die einzige Überraschung an Heiligabend waren dann nur noch Omas selbstgestrickte Pullover, Schals und Handschuhe (Fäustlinge natürlich). Aber genau deswegen begann dann wieder die Zeit, in der er in der Schule gemobbt wurde. 

Alexa, darf ich nicht doch mal was Politisches schreiben?
„Vergiss es!“
Auch nicht über Greta?
„Auch nicht! Du warst schon immer hinter jungen Schwedinnen her. Und was hat es dem Klima gebracht?“