Inge aus Lichtenberg +++ Homeschooling +++ Volksentscheide +++ AFD +++ tatütata +++ Anwohnerparkausweis +++ Bäume und Vögel +++ Tansania-Urlaub +++ Tauben und Katholiken +++ Hausfrau +++ Alexa

„Wenn ich das Virus bekäme, würde ich sagen: Damit hat sich die Sache. Ich möchte nicht beatmet werden.“ So lautet ein Tweet von Inge aus Lichtenberg in meiner Zeitung. Eine Frau, die Corona auf den Punkt bringt. Respekt. Bartleby wird in Ruhe darüber nachdenken.

Böser Tweet zum Thema Homeschooling: Die Behauptung, die Kids hätten nicht mehr gelernt als sich die Hände zu waschen und dass ihre Eltern noch schlechter in Mathe sind als sie selbst, ist demnach ein schöner Gag. 

Auch böse: „Es lässt sich nicht mehr abstreiten, dass sich der Ton bei den Selbstgesprächen seit einiger Zeit deutlich verschärft hat.“ Deshalb wohl auch die Flucht Bartlebys in einen neuen Newsletter.

Die Berliner lieben Volksentscheide, ob es um das Tempelhofer Feld geht oder um den Erhalt des Flughafens Tegel. Jetzt der neueste in der pipeline: Volksentscheid für die „größte autoreduzierte Zone der Welt.“ Unter anderem sollen pro Person nur noch zwölf private Autofahrten im Jahr erlaubt sein. Mit anderen Worten: In Prenzlauer Berg gehen die Kinder künftig nur noch einmal im Monat in die Schule.

Die AFD tut sich ja bekanntlich schwer mit konstruktiven Beiträgen im Parlament. Hier mal ein gelungener Versuch: Eine AFD-Abgeordnete wollte vom Bezirksamt Neukölln wissen, wie oft die Wörter „Scheiße“ und „Arsch“ am Rednerpult geäußert bzw. gerügt wurden („bitte nach Parteizugehörigkeit aufführen“). Geht doch!

Das habt ihr ja schon mitgekriegt, dass Bartleby die Verantwortlichen für Digitalisierung der Berliner Behörden schlicht und ergreifend für „dead wood“ hält. Bevor hier jetzt wieder das übliche Berlin bashing losbricht, ein Blick nach Hamburg und München. Die Hamburger Polizei hatte in einer Angelegenheit umfangreich ermittelt und ihre Ergebnisse auf ihrem Computer gespeichert. Anfrage der Münchner Polizei: Die selben Täter haben jetzt offensichtlich auch bei uns zugeschlagen. Schickt uns doch bitte eure Ergebnisse einfach digital rüber. Für uns Laien eine nachvollziehbare Bitte. Es gab nur ein Problem: Hamburg und München sind digital unterschiedlich ausgestattet. No chance! Aber die Hamburger Polizei hatte sich noch einen Rest analoges Denken bewahrt, verstaute ihren Computer in einem Polizeiauto und fuhr ihn mit tatütata von Hamburg nach München. Dort konnten sich dann die Kollegen persönlich ein Bild machen. Pech für die Gauner. Mit soviel Cleverness hatten sie sicher nicht gerechnet. (Hinweis geklaut bei „Extra 3“) 

Zurück in die digitale Wüste Berlin. Bartleby musste jetzt beim Bezirksamt einen Anwohnerparkausweis beantragen. Naiv wie er nun einmal ist, dachte er sich, Name, Anschrift und KfZ-Kennzeichen müssten dafür reichen. Alle benötigten Daten von ihm und seinem Auto liegen doch den Behörden digital vor. Aber nein, das „dead wood“ des Bezirksamts will, dass ich die „Kraftfahrzeugszulassungsbescheinigung Teil 1“ (Was ist das? Fahrzeugschein?) für das Amt als PDF-Datei hochlade („Auf zulässige Größe, Höhe und Breite achten!“). Das Bezirksamt geht offenbar davon aus, dass neben jedem Ü80 ein Sohn oder Enkel sitzt, der an dieser Stelle die Anmeldung übernimmt. Da haben sie bei Bartleby noch einmal Glück gehabt. 

Enkel Milan tat sein Bestes, kam dann aber doch noch an seine Grenzen. Zur Verifizierung seiner Zahlung der Parkgebühr soll Bartleby ein Code auf seine App geschickt werden. Kleines Problem: Bartleby hat gar keine App. Unvorstellbar, wie man als alter Mann ein Leben ohne APPs führen kann. Muss er sich jetzt noch schnell ein Smartphone kaufen? Aber Rettung naht: Milan, der Herr der APPs, übernimmt selbstlos die Zahlung. (Kriegt er doch wieder. Na sach mal, für wen haltet ihr mich?) Und wenn ich jetzt keinen Enkel hätte? Ich könnte auch um einen persönlichen Termin beim Bürgeramt bitten. Der nächste freie wäre im Juni. Immerhin. Irgendwann werde ich eine Bombe ins Rathaus werfen. Keine Angst, Leute, natürlich nur eine Stinkbombe. 

Bartleby ist heute mal wieder mit seinem Mercedes Cabrio (200 PS) gefahren. Nicht sehr weit, vielleicht zehn Meter oder zwölf. Was soll der Quatsch, Bartleby, höre ich euch sagen. Solltest du nicht langsam darüber nachdenken, deinen Führerschein abzugeben? Aber für meinen Kurztrip gibt es eine einfache Erklärung: Bäume und Vögel. Die Bäume, weil sie da stehen und die Vögel, weil sie darauf sitzen und auf mein Auto scheißen. Also umparken, sobald das möglich ist. Das war einmal ganz anders. Früher gab es in unserer Straße keine Bäume, ich konnte mein Karman Ghia Cabrio parken, wo ich wollte. (Siehe Foto von Klein-Tassilo mit seiner Agfa-Klack vom Balkon aus in den späten 70er-Jahren). Dann wurden plötzlich Eichen und Platanen gepflanzt. Bartleby als Grüner hat sich natürlich gefreut, die Vögel aber auch. Sie mussten jetzt nicht mehr über die Spree in den Tiergarten fliegen, um dort abzukacken. Jetzt konnten sie das vor meiner Haustür genau auf mein Auto machen. Krähen, Elstern, Tauben, Spatzen, alles, was da kreucht und fleucht und scheißt. Und das nicht nur einmal am Tag. 

Wenn Bartleby heute nach einer Tour zurückkommt, kann er nicht wie früher einfach am Straßenrand parken. Blick nach oben. Welche Gefahren drohen von den Latrinen im Baum? Jedesmal kommt ein traumatisches Erlebnis aus seinem Tansania-Urlaub wieder hoch. Robert, unser Fahrer, lud uns zu einer Fahrt im Morgengrauen ein. Wir sollten mal erleben, wie die Tiere wach werden. Warum nicht? Nach einer kurzen Strecke hielt er mit seinem Cabrio Landrover unter einem mächtigen Affenbrotbaum an. Blick nach oben: der Baum voller schlafender oder gerade erwachender Paviane. Die wiederum mit Blick nach unten: Wie auf Kommando von Robert entleerten plötzlich alle auf dem Baum ihre Blasen und mehr. Verdammtes inkontinentes Pack! Ein Königreich für eine Limousine! Robert tat ganz unschuldig. Bartleby hat ihm trotzdem ein gutes Zeugnis für seinen Chef ausgestellt und ein paar Euro dazu. Gruß an Roberto Blanco: „Ein bisschen Spaß muss sein.“

In Bartlebys Schlafzimmer sind ja im Laufe der Jahre so einige merkwürdige Sachen passiert. Aber das gestern war dann doch was Neues. Bartleby ist im Haus als der größte Lüfter bekannt. Von morgens bis abends bleibt das Fenster im Schlafzimmer sperrangelweit offen. Das ist aus naheliegenden Gründen dringend notwendig. Gestern wollte er sich wie immer zu seinem wohlverdienten Mittagsschlaf hinlegen. Er öffnet die Tür und erschrickt über ein wildes Geflatter in seinem natürlich ungemachten Bett. Ein Taubenpärchen war offensichtlich gerade dabei, eine Familie zu gründen. Bartleby hat das schnell mit einem coitus interruptus verhindert. Aber ein bisschen leid taten ihm die Tierchen trotzdem. Woody Allen hatte ihn schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass Tauben und Katholiken ein Leben lang monogam leben. Trotzdem: Bartleby will weder Tauben noch Katholiken in seinem Bett.

Zum Schluss noch eine kleine Episode für euch aus der Reihe „Opa erzählt vom Krieg“. In Erinnerung gerufen wurde sie mir durch die ewigen Gender-Diskussionen der letzten Zeit. Berchtesgaden in den 50er-Jahren am Gymnasium. Das neue Schuljahr beginnt. Der Klassenlehrer fragt alle Schüler nach den Berufen ihrer Eltern ab und trägt das in eine Liste ein. Die meisten Antworten sind erwartbar: Handwerker, Verkäufer, kleine Angestellte. Jetzt bin ich dran. „Kubitz! Dein Vater?“ Ich mit leicht unterdrücktem Stolz in der Stimme: „Rechtsanwalt.“ Wird notiert. „Aha, und deine Mutter?“ Meine Mutter, ja was, welchen Beruf hat sie? Juristin ist sie nicht, obwohl sie das Büro meines Vaters in unserer Wohnung am Laufen hält. Waschfrau ist sie auch nicht, obwohl sie jede Woche auf ihrem Waschbrett in der dampfenden Waschküche herumschrubbt. Sie ist auch keine Köchin, obwohl sie jeden Tag das Essen für die Familie zubereitet. Ist sie eine Näherin, weil sie ununterbrochen Kleidung für uns näht und strickt oder ist sie eine Erzieherin, die darauf achtet, dass aus ihren Jungs was wird? 

Der Lehrer mahnt: „Also, Kubitz, welchen Beruf hat deine Mutter?“ Der junge Bartleby ringt mit sich und beantwortet die Frage schließlich mit einem kaum hörbaren „Hausfrau.“ Darauf sein Lehrer: „Also ohne Beruf.“ So waren die 50er-Jahre.

Alexa, da bist du ja wieder. Lust auf etwas Politik?

Alexa: Fuck you!

Gut, dann vielleicht etwas über die Mars-Landung?

Alexa: Dachte mir schon, dass dir das nicht passt. Kostet ein Schweinegeld, aber wir müssen doch wissen, ob der Planet schon einmal bewohnt war.

Earth first, Mars second! Hätten wir mit dem Geld auf der Erde nicht etwas Sinnvolleres machen können? Zum Beispiel gegen den Hunger in der Dritten Welt?

Alexa: Da ist er wieder, der Gutmensch Bartleby. Hab dich schon richtig vermisst.

Eine Frage. Wenn irgendwann einmal intelligente Außerirdische die zerstörte Erde besuchen, woran könnten sie erkennen, dass hier einmal menschliches Leben existierte? 

Alexa: Weiß nicht. An den Ruinen von Atomkraftwerken?

Auch. Aber am besten an den kleinen Körpern von Millionen verhungerten Kindern. Die jedenfalls werden wir auf dem Mars nicht finden.

Depressive +++ Jana aus Kassel +++ Armin Laschet +++ Nürnberg +++ Leseholzschein +++ Lieblingsbuch +++ Gender Ultras +++ Berliner Taxis +++ Alexa

Jeder Kontakt, der nicht stattfindet, ist gut, sagt Mutti Merkel. Sie meint, das feierwütige Partyvolk ist selbst schuld, wenn es auf der Intensivstation landet. Die jungen Leute können und wollen einfach nicht anders. Aber es gibt Menschen, die kommen besser durch die Pandemie. Hier, habe ich in der „Süddeutschen“ für euch gefunden: 

„Besser fahren Depressive. Sie bewerten ihre Infektionsgefahr als höher als die Nicht-Depressiven. Dieser sader-but-wiser-Effekt besagt, dass Traurige oftmals klüger sind und zu einer realistischeren Einschätzung der Realität kommen. Für den Kampf gegen die Pandemie ist das eine geradezu trübsinnige Pointe: Die seelische Verstimmung in Zeiten der Seuche könnte dabei helfen, sie besser zu überstehen.“

Ihr müsst euch um Bartleby also keine Sorgen machen. Und weil er höflich ist, lässt er euch auch beim Impfen den Vortritt. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt. 

Es gibt ja Leute, die waren schon als Sperma ein Arschloch. Und es gibt Jana aus Kassel, die sich fühlt, als wäre sie eine wie Sophie Scholl. Das hat die Stadt nicht verdient. Im Krieg so schwer beschädigt wie keine andere Stadt. Ich habe dort Abitur gemacht und meinen Sohn in Berlin auf die Sophie-Scholl-Schule geschickt. Die war nicht um die Ecke. Es sollte ein Zeichen sein. Dafür musste ich erst einmal einen Zweitwohnsitz in Schöneberg anmelden. Ein Fake. (Danke, Carla). Viele Jahre später wollte das Finanzamt von mir eine „Zweitwohnsitzsteuer für meine Schöneberger Wohnung.“ Bartleby hat sich  zusammengerissen und der Finanzbeamtin einen für seine Verhältnisse geradezu rührenden Brief geschrieben. Ergebnis: sie verzichtete wegen der Sophie-Scholl-Schule auf die Steuer. Ich nehme an, sie war nicht aus Kassel. 

Pathos aus NRW. Der Hobbit Armin Laschet trompetet aus dem noblen Düsseldorf: „Es wird das härteste Weihnachten, das die Nachkriegsgenerationen je erlebt haben.“

So einen Quatsch kann nur einer reden, der die Weihnachten um 1945 nicht in Luftschutzkellern und Ruinen erlebt hat. Na klar, hatten wir auch leuchtende Christbäume am Himmel, aber sie waren für die Flieger bestimmt, die mich in Grund und Boden bomben sollten. Sie haben es nicht geschafft.

Dann das erste Weihnachten nach der Flucht vor den Russen. Der kleine Bartleby erinnerte sich noch an sein letztes Berliner Weihnachten mit elektrischer Eisenbahn, Autos, Panzer, Zinnsoldaten und Bauernhof vom Opa. Und 1945? Für jedes Kind ein Teller mit einem Apfel, Nüssen und ein paar Keksen. Keine Ahnung, woher Mutter die hatte. Und dann sangen die Mütter und Tanten Weihnachtslieder. Das war wunderschön. Aber wo waren Vater und Onkel? Sie waren in Nürnberg im Gefängnis. Bestimmt hart für sie.

Hör zu, Laschet, der Winter 1946 war der kälteste seit Jahren. Viele Menschen starben. Auch der junge Bartleby fror jämmerlich. Bis ihn sein Onkel eines nachts mitnahm zum Güterbahnhof Berchtesgaden. Dort standen Waggons voll mit Kohle. Sein Onkel rauf und warf die Briketts runter, der kleine Bartleby sammelte sie auf und verstaute sie in einem großen Sack. Als die Bullen kamen, schnell ab über die Gleise. Zu Hause die Bude warm gemacht und Mutter spendierte eine leckere Suppe aus Brennnesseln und Löwenzahn mit einem Klecks Butter. Ein Gedicht.

Weihnachten ohne Baum? Kam nicht in Frage. Aber woher nehmen? Mutter hatte einen Leseholzschein. Ab damit in den Wald. Ob der auch für Tannenbäume gilt, die mein Onkel absägte, hat sich dem jungen Bartleby damals nicht erschlossen. Egal. „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“. Der Junge sang mit aus voller Brust. So viel für heute aus der beliebten Reihe „Opa erzählt vom Krieg.“ 

Weihnachten heute stelle ich mir für MP Laschet so vor: Er bestellt jede Menge Krimskrams bei Amazon und die gestressten Paketboten schaffen es wegen Corona nicht, auch noch das letzte Päckchen vor der Bescherung bei ihm abzugeben. Schrecklich! Ist es vielleicht das, was er mit dem härtesten Weihnachten für die  Nachkriegsgenerationen gemeint hat? Das Kriegskind Bartleby hat einen guten Rat für Laschet: „Einfach mal die Fresse halten.“

Bartleby ist ja einer, der sich täglich auf den Kulturseiten unserer Medien herumtreibt. Diese Aufgabe fand er interessant: Wie würden Sie ihr Lieblingsbuch beschreiben, wenn Sie es auf die langweiligste Art und Weise tun müssten? Das ist schwierig, denn Bartleby hat mehr Lieblingsbücher als Freundinnen. Na gut, ich versuchs mal. Vielleicht reichen euch drei. 

  1. Ernest Hemingway: „Der alte Mann und das Meer“. Kuba. Ein alter Fischer fängt den größten Fisch seines Lebens. Dann träumt er von Baseball und schönen Frauen. Als er wieder in seinem Hafen ankommt, ist von seinem Fang nur noch das Skelett übrig. Gerade mal 113 Seiten für ganz, ganz alte Männer.
  1. Heinrich von Kleist: „Michael Kohlhaas“. Ein Mann will sein Recht. Um jeden Preis. Sein Preis dafür ist die Todesstrafe. Eine Geschichte ohne Witz und Sex. Wer will heutzutage sowas lesen?
  1. Karl May: „Winnetou“. Ein weißer Jäger und ein Indianer verknallen sich ineinander. Es kommt, wie es kommen musste: Der Indianer stirbt und der Weiße überlebt. Wer würde das Buch lesen, wenn es andersrum gewesen wäre?

Zurück zum Precht-Todenhöfer Gespräch vom letzten Mal. Bartleby hofft, ihr habt eure Hausaufgaben gemacht. Die Aufgabe heute wird die Gender-Ultras unter euch glücklich machen: „die Ameise“ – wie bezeichnet man korrekt eine männliche Ameise? Oder „das Mädchen“ – wie aber müsste es genderkorrekt heißen? Eure Lösungen im nächsten Newsletter.

Ein Tweet in seiner Zeitung, der Bartleby nachdenklich macht: „Bin kein Fan von Verschwörungstheorien, aber ich habe noch nie ein Taxi tanken gesehen.“ Das stimmt! Bartleby überlegt sich, ob er nicht ein Transparent bemalen sollte und mit dieser speziellen Theorie vor dem Reichstag demonstrieren sollte. Es muss doch herauszukriegen sein, auf welche Weise Bill Gates die Berliner Taxen betankt. Und warum nur Taxen? Bartleby hat auch ein Auto, Bill!

Aber trotz der Unterstützung von Bill Gates können die Berliner Taxifahrer den Hals nicht voll kriegen. Den beliebten Spätis ist es ja wegen Corona verboten, nach 23 Uhr geöffnet zu haben. Aber deswegen muss niemand trockenen Fußes wieder nach Hause gehen. Vor den Spätis stehen jetzt Taxen und verkaufen Bier und Schnaps aus dem Kofferraum. Rund um die Uhr. Zumindest in Kreuzberg, Neukölln und den üblichen verdächtigen Bezirken. Also, ihr wisst Bescheid, wenn euer Kühlschrank leer ist. 

Was ist denn eigentlich los mit Alexa

Die ist in Quarantäne.

Aber künstliche Intelligenz ist doch immun gegen Corona.

Ja, aber nicht ihre künstliche Dummheit.

#19

Lieber Fritz, lieber Reinhold, hallo Fans,

das Wichtigste zuerst: Ich beobachte den Alltag und genieße das Leben ohne Zeitdruck. Das sagt Harald Schmidt, immer noch einer der Besten.

Sachen gibt’s. Da wohne ich seit mehr als 50 Jahren am Rande des Hansaviertels. Jahrelang gehe ich in die „Giraffe“. Das ist ein gutbürgerliches Restaurant in einem Hochhaus gleichen Namens, entstanden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1956. Für mich bisher ein Haus wie jedes andere. Aber jetzt lese ich, dass der Architekt damals eine besondere Idee verfolgte. Die Stadt war ja voller Kriegerwitwen und Heimkehrern. Die brauchten keine 4-Zimmer Altbauwohnung, denen reicht auch ein Ein-Zimmer-Appartement. Also entwarf er ein Hochhaus nur für Singles. Männlein und Weiblein hatten alle nur ein großes Zimmer. Der Clou: Die Zimmer für Männer lagen alle auf der Seite mit Blickrichtung Osten (Brandenburger Tor), die Zimmer für Frauen alle auf der Seite mit Blickrichtung Westen (Funkturm). Die Apartements der Frauen bekamen noch eine kleine Küche mit Fenster dazu, die der Männer nur eine winzige Kochnische ohne Fenster. Begründung: Frauen stehen ja öfter in der Küche als Männer. Die Jungs können ja, wenn sie Hunger haben, auch unten im Restaurant „Giraffe“ essen.

So waren sie, die Fünfziger-Jahre der Nachkriegszeit. Aber heute ist das doch alles anders, höre ich aus der neuen Singles-Hauptstadt, heute würde so ein Konzept als sexistisch verurteilt werden und der Architekt von Feministinnen geteert und gefedert durch das Hansaviertel gejagt. Aber Bartleby findet´s gut. Er würde dort sofort ein Bratkartoffel-Verhältnis mit einer Nachbarin anfangen. Und seine Kochnische zu einer kleinen Bar umbauen. Dann klappt´s auch mit der Nachbarin.

Bartleby ist ja ein Kind der grauen Nachkriegszeit. Was das für den armen Jungen bedeutete, könnt ihr euch heute gar nicht mehr vorstellen. Was ihm eingebleut wurde, waren Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit. Kleines Beispiel für letzteres: Wenn damals im Radio die Nachrichten kamen, meldete sich immer eine monotone ernste Stimme wie aus dem Keller: „Beim letzten Ton des Zeitzeichens ist es 12 Uhr.“ – Piep, piep, piep. – „12 Uhr“. Oder „beim Gongschlag ist es 12 Uhr“. Gooonnnggg! Heute dagegen meldet sich auf Radio Eins die wunderbare Ost-Frau Marion Brasch vor den 12-Uhr-Nachrichten mit einem lockeren „Mittach!“ Dafür könnte Bartleby sie küssen. Ach ja, diese zauberhaften Ost-Frauen …

Übrigens, Oskar Lafontaine entgegnete damals Helmut Schmidt, dass man mit diesen Sekundärtugenden auch ein KZ leiten könnte. Guter Mann. Aber der Wehrmachtsoffizier Schmidt- Schnauze was not amused.

Jeder Berliner, liest Bartleby, verbringt im Jahr 62 Stunden mit der Suche nach einem Parkplatz. Jeder Berliner? Bartleby hat sich vor seinem Haus einen Parkplatz gesichert und gibt ihn so schnell nicht wieder her. Sogar einen zwischen zwei Bäumen, sodass die Krähen und Tauben ihm nicht einmal das Verdeck vollscheißen können. Jeder Regen macht den Wagen blitzblank, Ein Traum. Aber was macht Bartleby jetzt mit den gewonnenen 62 Stunden? Räum endlich mal deine Bude auf, tönt es aus der einen Ecke. Beweg dich mal wieder, aus der anderen. Bartleby ist dankbar für jede Anregung. Fast ist er schon auf dem Sprung, aber dann überkommt ihn wieder sein berühmtes „Ich möchte lieber nicht“.

Es kommentiert der große Menschenhasser Thomas Bernhard: „Der Nichtstuer als der Geistesmensch ist in den Augen derer, die unter Nichtstun tatsächlich nichts tun verstehen, weil in ihnen während des Nichtstuns tatsächlich Garnichts vorgeht, die größte Gefahr und als der Gefährlichste.“ Seht euch also vor!

Bartleby entwickelt sich allmählich zum „Prinz von Homburg“ der Küche. Kleist-Kenner wissen, wovon die Rede ist. Der Kurfürst von Brandenburg hatte vor der entscheidenden Schlacht die Order ausgegeben, dass niemand ohne seine ausdrücklichen Anweisungen angreifen dürfe. Der Prinz tat es dennoch, errang den Sieg und wurde trotzdem zum Tode verurteilt. So war das damals eben in Preußen.

Was hat das jetzt mit Bartlebys Küche zu tun? Ein Leben lang hat er sich preußisch exakt an die Befehle der Kurfürsten Tim Mälzer, Jamie Oliver und Vincent Klink gehalten. Die Küchenschlacht konnte nur gewonnen werden, wenn er sich haargenau an jedes Gramm, jeden Teelöffel und jede Minute hielte. Jetzt aber hatte Bartleby Lust, eine kleine Revolte anzuzetteln: Weg mit der Waage, es gibt auch Esslöffel und die Zeit einfach nach „Frei Schnauze“. Zum Schluss noch einen großen Klecks Butter extra. Das Ergebnis der Küchenschlacht: Sieg auf der ganzen Linie. Es hat super geschmeckt. Aber die drei Kurfürsten hätten den preußischen Anarchisten trotzdem am liebsten in der Mikrowelle verbrannt.

Morgen bereitet sich Bartleby wieder auf seine nächste Küchenschlacht vor. Er trifft seine Marktfrauen auf dem Ökomarkt. Schnitzel, Blutwurst und Hähnchenkeule. Das volle Programm. Ein paar Knacker können´s auch noch sein. Es kommentiert Bart Simpson: „Man findet keine Freunde mit Salat.“

Die Welt (wirklich die ganze Welt?) erinnert sich dieser Tage an die Mondlandung. Auch der junge Bartleby war damals fasziniert. Monika und er rissen den gerade auf die Erde gekommenen Sohn aus der Wiege und platzierten den kleinen Scheißer vor die Glotze. Er solle später einmal sagen können „Mondlandung? War ich doch dabei. Na und?“. Der alte Bartleby denkt heute anders über Weltraumfahrt. Keinen Cent mehr dafür, solange auf der Erde Kinder verhungern, Flüchtlinge im Meer ertrinken und das Klima vor die Hunde geht! Wenn wir das irgendwann erreicht haben, ist immer noch genug Zeit für Weltraumträume. Unsere Erde wird erst in ein paar Milliarden Jahren untergehen, also keine Eile. Bartleby überlegt, ob der Mensch das ändern kann. Es kommentiert der Astrophysiker Hermann Nicolai: „Wir sind so unvorstellbar unbedeutend, wie das Universum unvorstellbar groß ist.“ Bartleby braucht jetzt erst einmal einen unbedeutenden Malt Whiskey. Einen doppelten.

Zum Schluss die beliebte Rubrik „Berlin, aber Schnauze“. Leider waren die Berliner in letzter Zeit etwas maulfaul. Ich tröste euch aber mit ein paar Szenen aus dem wunderbaren Karikaturenband von OL „Die Mütter vom Kollwitzplatz“.

Also los: Die eine Prenzelschwäbin zur anderen: „Geschdern war I in Kreuzberg drübe. Du, des glaubsch ned, da gibt’s au Schwangere!“

Oder so: Zwei Muttis beim Smoothie im veganen Café. Es geht um die berühmte Szene im Film „Harry und Sally“. Die Eine: „Und? Ooch schon mal ´n Orgasmus vorjetäuscht …?“ Die Andere: „Wem denn…?“

Auch nicht schlecht: Zwei Mütter unterhalten sich bei einem Latte über ihre Kinder. Die Eine: „Letzte Woche räume ich das Zimmer meines Sohnes auf und finde – du glaubst es nicht – eine Schachtel Zigaretten. Das war sooo ein Schock für mich, ich hatte doch keine Ahnung, dass er raucht“. Darauf die Andere: „Ich hab Kondome gefunden. Bei meiner Tochter! Ich wusste nicht mal, dass sie´n Penis hat“.

Einer geht noch: Einkauf in einer Bäckerei. Eine Kundin möchte von der Verkäuferin wissen, warum sie so übellaunig ist. Antwort: „Jute Laune? Ham wa nich! Müsstn se morgn no ma komm. Da arbeitet ne Kollejin, die is nich aus Berlin.“

Aber Berlin kann auch anders (Tagesspiegel): 17.30 Uhr Bahnhof Stadtmitte. Die Geiger auf der Treppe machen gerade Pause. Ein wohnungsloser Mann fragt, ob sie „Hallelujah“ von Leonard Cohen spielen können. Und sie beginnen zu spielen. Menschen eilen vorbei. Der Mann sitzt auf der Treppe, hört zu. Und weint. Still und nur für sich…

Bartleby macht sowas melancholisch. Wer weiß, vielleicht ist er doch noch zu retten. Aber warum eigentlich?

Ulrich