#21

Hallo ihr da draußen.

Breaking News: Bartleby will gleich in seinen Lieblings-Biergarten am Kleinen Tiergarten. Vorher schnell noch die Mails checken. Da ein Tweet der Berliner Polizei! Eben ist ein Mann erschossen worden. Im Kleinen Tiergarten. Ach, deswegen kreist der Hubschrauber über unsere Häuser. Bartleby macht sich trotzdem auf den Weg. Absperrbänder im Park, die Leiche unter einer Plane, aber von Jan Josef Liefers und Axel Prahl keine Spur. Wenn man sie hier mal braucht, sind sie in Münster. Jetzt aber in aller Ruhe im Biergarten ein schönes Helles mit Brezel und dann an der Spree entlang wieder nach Hause. Noch einmal am Tatort vorbei muss nicht sein. So etwas Besonderes war das auch wieder nicht. Wir sind schließlich in Berlin.

Habt ihr gesehen, wie Hertha gegen Bayern auf der Siegesstraße war bis, ja bis wieder das Übliche geschah: Elfmeter für den FC Hollywood. Newsletter-Gastautor und RBB-Moderator Jörg Thadeusz auf die Frage, welche Verschwörungstheorie er für wahr halte: „Dass alle Schiedsrichter für Bayern pfeifen:“ Guter Mann.

Vor ein paar Tagen hat Bartleby die „Berlinische Galerie“ besucht, Ihn interessierten die Gemälde von Lotte Laserstein und er schämte sich, bisher noch nie etwas von ihr gehört zu haben. Aber zuerst das typische Bartleby-Drama vor dem Eingang. Er soll an der Garderobe seinen winzigen Rucksack abgeben. Die Größe wie bei Konzerten erprobt DIN A4. Die Garderobentante kennt trotzdem keine Gnade. Willkommener Anlass für Bartleby, sein gesamtes Programm gegen sinnlose Vorschriften und ihre Verteidiger abzuspulen. Von „deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun“ bis „mit dieser Einstellung hätten Sie auch in einem KZ arbeiten können“ war alles dabei. Bartleby wieder einmal im Rausch.

Inzwischen hatte sich schon eine kleine Gruppe um uns gebildet, hörte interessiert zu und brachte ihre Smartphones in Stellung. „Crazy folks, these germans!“ Für sie hatte sich der Besuch der Ausstellung offensichtlich jetzt schon gelohnt. Bartleby möchte die Besucher nicht länger warten lassen. Er kramt in seinem Mini-Rucksack und holt Handy, Lesebrille und Taschentücher hervor, weiß aber nicht, wohin damit. „Soll ich Ihnen eine Tüte geben?“ säuselt die Tante. Bartleby unterdrückt mit letzter Kraft seine Mordgedanken: „Soll das ein Witz sein? Was kostet das jetzt?“ Die Tante: „Nur ein Lächeln.“ Bartleby stutzt, begreift, bleibt aber unerbittlich: „VON MIR NICHT!“ Wenn er unmöglich ist, fühlt er sich richtig gut. Du hast ja sonst wenig im Alter.

Übrigens war Lotte Laserstein sehr streng mit ihren Modellen. Sie legte größten Wert auf absolute Unbeweglichkeit. Für ein Bild mit Katze hat sie das arme Tier mit Weinbrand betäubt. Aber so hätte sich Bartleby auch gerne von ihr malen lassen.

Im geräumten Mietshaus nebenan dröhnen schon seit Monaten die Pressluftbohrer. Es ist die Hölle! Das Haus wird entkernt bis auf die Außenmauern. Dann gibt es bodentiefe Fenster für die Hipster und Dachterrassen wie gegenüber. Ich bin hier im alten West-Berlin mal hingezogen, um in Ruhe leben und in Frieden sterben zu können. Bartleby hat ja mit allem gerechnet, dass er mal ein großer Schriftsteller und Hertha mal Meister wird, aber nicht, dass die Gentrifizierung auch seine verschlafene Straße zerstört. 

Er hätte es besser wissen müssen. Als alter Hobby-Ornithologe hatte er schon seit langem die dramatische Gentrifizierung bei seinen gefiederten Nachbarn beobachtet. So ähnlich muss es gewesen sein, als im Mittelalter die Mongolen und Hunnen kamen. Plötzlich war die Gegend voller Krähen. Die gab es bis dahin nur in Sibirien. Drehte Hitchcock vielleicht Teil 2 seiner „Vögel“? Die ersten Opfer dieser rabiaten Biester wurden die netten Möwen an der Spree, die alle so aussahen, als ob sie Emma hießen (Christian Morgenstern). Die Emmas retteten sich an Wannsee und Müggelsee. 

Als nächstes waren die hübschen Elstern dran. Ich erinnere mich noch an eine ganz Junge, die fast den ganzen Weg bis zu EDEKA neben mir herlief und mir die silbrige Schnalle von meinem Schuh klauen wollte. Welche Krähe macht sowas? Unvergessen: Vor ein paar Jahren konnte ich einen eindrucksvollen Häuserkampf zwischen Elstern und Krähen beobachten, genau auf der herrlichen Rotbuche, die jetzt wohl wegen der neuen Eigentumswohnungen gefällt wird. Die Elstern hatten wie jedes Jahr dort ihr Nest gebaut. Dann kamen die Krähen und haben es wie ein Immobilienhai einfach besetzt. Ich stehe in der Küche und traue meinen Augen nicht. Die Elstern warten, bis die Krähen auf Futtersuche gehen und zerstören in Windeseile ihr eigenes besetztes Nest. Ast um Ast segelt in den Hof. Als die Krähen wiederkamen, fanden sie tabula rasa vor und ließen sich nicht mehr blicken. Aufgepasst Kreuzberg, nimm dir ein Beispiel daran. Wenn ich aber heute eine Elster sehen will, muss ich in den Zoo gehen.

Die letzten Opfer der Krähen waren die Tauben. Die haben kurz überlegt, ob sie sich an den Markusplatz in Venedig zurückziehen sollten, haben sich dann aber für den Alexanderplatz entschieden. Der ist städtebaulich so hässlich, dass er sogar von den Krähen gemieden wird. Gute Entscheidung. Was bei der großen Vertreibung übrig geblieben ist, ist das Spatzenprekariat. Die Krähen blicken nur hochnäsig darauf runter. Wenn sie sich dabei nicht mal täuschen. Wenn die Gentrifizierung am Ende auch das Prekariat erreicht, kann es interessant werden in der Stadt. Nicht nur in Büschen und Bäumen.

Sommer in Berlin heißt vor allem Baustellen, Hütchenspieler und brennende Autos. Die Opas der heutigen Pyromanen hatten es noch auf die Autos von verhassten Politikern und staatserhaltenden Firmen abgesehen. Da hatte sich Bartleby noch sicher gefühlt. Er klebte seinen Rentenbescheid ans Fenster seines Cabrios und hoffte auf so etwas wie Ganovenehre. Das hat sich gründlich geändert. Heute lebt hier jedes Auto gefährlich, das nicht bis drei in die Garage kommt. Zweimal schon konnte ich in den vergangenen Jahren nachts von meinem Balkon zuschauen, wie Autos in meiner Straße in Flammen aufgingen. Eins davon fuhr mein russischer Nachbar. Am nächsten Tag wollte ich ihm mein Mitgefühl ausdrücken. Er lächelte nur: „Null Problem, ick mach doch Leasing.“ Clevere Kerlchen, diese Russen. 

Aber dank der CDU wird das Abfackeln jetzt sicher ein Ende haben. Die Partei zahlt jedem, der einen Hinweis zur Aufklärung gibt, 1.000 Euro auf die Hand. Offensichtlich haben sich die Abgeordneten auf ihrer Klausur ein paar alte Italo-Western von Sergio Leone angesehen und sich wieder für Kopfgeld begeistert. Also Leute, wenn ihr mal Geld braucht, nachts die Augen auf und Ennio Morricone auf den Kopfhörern. Dann seid ihr bald aus dem Gröbsten raus. Den Zündler von damals hat man bald danach erwischt. Wohnt eine Querstraße weiter immer noch bei seiner Mutti und hatte Pech im Job. Man hats eben nicht leicht als Muttersöhnchen.

Bartleby war in seiner Marburger Studentenzeit auf dem Weg, zu einem der größten Pyromanen seit Nero zu werden. Vielleicht reicht eure Küchenpsychologie aus, das zu erklären. Mehrmals hat er versucht, die historische Altstadt in Schutt und Asche zu legen. Gott sei Dank erwies er sich auch hierbei als der geborene Dilettant. Aber einmal hatte dieses Treiben doch Folgen. Die Staatsanwaltschaft Marburg beschuldigte ihn, in tiefster Nacht in der Altstadt „ungebührlicherweise ruhestörenden Lärm erregt und groben Unfug verübt zu haben, in dem er gemeinsam mit anderen einen für die Entrümpelung bereitgestellten Ofen auf die Fahrbahn zog und darin Papier verbrannte. Durch den hierbei entstandenen Lärm und die Rauchentwicklung wurden Anlieger gestört und belästigt.“ Geldstrafe von 40,00 DM, ersatzweise 4 Tage Haft. Bartleby natürlich wie immer klamm, aber der Dispo bewahrte ihn gerade noch vor dem Karzer. 

Vor kurzem fiel mir wieder ein Buch von Harry Rowohlt in die Hände. Die meisten von euch werden den Rauschebart wohl nur als alten Penner aus der Lindenstraße kennen. Er war ein begnadeter Übersetzer, Spötter und vor allem ein großer Freund der Iren und ihrer Trinkgewohnheiten. Beispiel: In einer irischen Zeitschrift hat er ein Cartoon gesehen, in dem ein Mann mit einem angeleinten Wellensittich gerade das Haus verlassen will, und seine Frau raunzt ihn an: „Dir ist auch jede Ausrede recht, um in die Kneipe zu gehen.“

Ich durfte ihn 2006 erleben im FritzClub im Postbahnhof. Auf seinem kleinen Lesepult wie immer eine Flasche Whiskey und Bier zum Verdünnen und all die Hölzchen und Stöckchen, auf die er an diesem Abend kommen wollte. Er überzog gnadenlos. Keiner geht. Ich hätte ihm noch zuhören können, bis die erste S-Bahn wieder fährt. Verdammt nochmal, Harry, du fehlst!

Eine Geschichte ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Er sitzt im Taxi in Hamburg. Der Fahrer ist Türke und Harry ist es etwas mulmig, als das Gespräch auf den Islam kommt. Der Türke erklärt ihm seine Sicht: „Mohammed hatte keinen Kühlschrank, vertrug keinen Alkohol und hatte Schiss vor den Weibern. Da hast du den ganzen Islam.“ Guter Mann.

#13

Hallo Fritz, hallo Reinhold, hallo Fans,

Blick zurück in die 60er Jahre. Bartleby machte sich mit dem 2CV von Monika von Marburg aus ins Exil nach West-Berlin auf. Die DDR-Grenzer winkten mich freundlich durch. Wieder einer weniger, der für den Klassenfeind in Bonn ins Feld ziehen könnte.

Die Zeit in West-Berlin war wie die in einem Paradies, die beste Zeit in meinem Leben. Bundeswehr und Mutter weit weg. Bis die Wende kam. Die armen Ossis seien die großen Wendeverlierer, hieß es immer. Stimmte ja auch. Aber dann schlug die Wende ein zweites Mal zu. Jetzt besetzten die Schwaben und das mit ihnen verbündete Kapital die wehrlose Stadt. Immobilienhaie tummelten sich in jeder Berliner Pfütze. New York, London, was die können, das können wir hier schon lange.

Bartleby nahm das zunächst mit stoischen Gleichmut zur Kenntnis. Die interessieren sich ja alle nur für Kreuzberg und Prenzlauer Berg, dachte er. Ja, denkste. Dann entdeckten die Haie auch seine Ecke. Liegt an der Spree, am Rand vom Tiergarten, mit U- und S-Bahnhof, nur ein paar Minuten mit dem E-Roller zum Regierungs-viertel und weit und breit nur ein Wehrdienstverweigerer aus Eschwege. Los, da müssen wir hin.

Jetzt hat das Kapital auch meine Straße erobert. Erst Luxusmodernisierung gegenüber, dann Neubau mit Eigentumswohnungen daneben und dann welche auf unserem Dach. Jetzt hat es auch meine vertrauten Nachbarn im Haus nebenan erwischt. Ich hatte mich schon gewundert, dass auf deren Balkonen keine Blumen mehr gepflanzt wurden. Alle „entmietet“, wie es so schön heißt, also rausgeschmissen. Ein völlig intaktes Haus aus der Nachkriegszeit mit allem Drum und Dran und vor allem mit bezahlbaren Mieten. Das darf nicht mehr sein! Wo bliebe denn da die Rendite?

Wer von euch Lust hat, demnächst mein Nachbar zu werden, sollte schon ein paar Groschen gespart haben. Angebot: 4. Stock, 88 qm, 600 000 Euro. Dachgeschoss, auch 88 qm, 800 000 Euro. Meine Wohnung ist doppelt so groß. Und ich brauche auch keinen Parkplatz für den SUV auf dem Hof. Für mich müssen auch nicht eine riesige Pappel, eine alte Kastanie und eine wunderschöne Rotbuche gefällt werden. Ob du ein stattlicher Baum bist, der hier schon seit 60 Jahren steht oder ein Mieter, der hier schon genauso lange lebt, du musst weg, du musst raus. Thats capitalism, stupid!

Der Krieg hat unsere Gegend schwer getroffen. Das elegante Hansaviertel wurde förmlich ausradiert. Die englischen Bomberpiloten hatten einfach Schiss vor der Flak um die Reichskanzlei, warfen ihre Bomben lieber vorher über uns ab und drehten um. Das heißt, die Bomben, die für Adolf gedacht waren, trafen dafür unser Viertel. Adolf hats gefreut. In unserer Straße blieben nur zwei bis drei Häuser schwer beschädigt übrig. In eins davon bin ich vor mehr als 50 Jahren eingezogen. Jetzt muss ich nach dem Bombardement der Anglo- Amerikaner damals das Bombardement der internationalen Immobilienhaie heute fürchten. Den Luftschutzkeller von damals gibt es in unserem Haus noch. Ich habe den Bombenterror im Krieg zweimal in Berlin und Potsdam in solchen Kellern überlebt. Aber das hilft mir heute nicht mehr, wenn die Bomben der Spekulanten in meinem Briefkasten landen. Ein Briefkasten ist kein Luftschutzkeller. Es ist zum Kotzen. Kann mir jemand von euch eine Kalaschnikow besorgen? Nur so, für den Fall der Fälle.

Das war jetzt mal wieder der düstere Bartleby. Tut mir leid. Aber wie kriegt er jetzt die Kurve? Vielleicht so. Ich lade euch ein zur berühmt-berüchtigten 1. Mai Demo in Berlin. Nicht zu der nach Kreuzberg. Das ist nur noch Tourishow mit endlosen Dönerbuden. Nein, diesmal gehen wir dorthin, wo die wahrhaft Abgehängten dieser Stadt leben. Marzahn? Wedding? Nein, wir wollen ein Zeichen setzen und marschieren diesmal durchs mondäne Dahlem! Da leben die abgehängten Millionäre, die ihren Lamborghini auf dem Radweg parken müssen, weil ihr Gärtner mal wieder vergessen hat, das Tor zu öffnen. Wir tun nichts, wir wollen nur zeigen, wie sehr wir mit diesen wahrhaft Abgehängten leiden.

Der Mauerpark am Rand von Prenzelberg galt lange als no-go-area. Randale war an der Tagesordnung. Dann wurde gegengesteuert und sogar meine Allianz investierte in den Park. Ergebnis: Es wurde friedlich, es wurde Musik gemacht, man konnte Sport treiben, es gab beliebte Karaoke-Shows und spektakuläre Osterfeuer. So stand das dann auch in den Berlin- Reiseführern. Das ist der place to be, sagten sich die Landeier auf der schwäbischen Alb, da müssen wir hin und kauften sich Eigentumswohnungen am Rand des Parks, um ganz nah dran zu sein. Aber bald vermissten Mutti und Vati ihre gewohnte Kehrwoche. Auf einmal war ihnen die Musik zu laut und außerdem liefen hier viel mehr Menschen rum als früher in ihrem Dorf und machten dies und das. Jetzt käme wie jedes Jahr die Walpurgisnacht im Mauerpark, ein Highlight des Jahres. Musik, Zauberer, Feuer und jede Menge Hexen. Die neuen Anwohner aber wollten ihre Ruhe, wollten wieder ihr Dorf zurück und klagten. Die Walpurgisnacht wurde verboten. Anscheinend haben die Schwaben inzwischen auch das Bezirksamt übernommen. Scheiß-Gentrifizierung!

Dazu passt das Gejammer eines Schwabenpapas in einer Berliner Zeitung: „Unsere Kinder haben ihre Drohne verloren. Sie wurde zu hoch geflogen, war dann nicht mehr steuerbar und ging dann irgendwo wieder runter.“ Ja, ich weiß auch wo. In unserem Hof neben den Mülltonnen. Und dann bin ich einfach mal draufgetreten. Natürlich nur aus Versehen.

In Kreuzberg unterhalten sich die echten Berliner Gott sei dank immer noch über Wesentliches. Sitzen zwei Frauen in einem Straßencafé und beobachten eine Taube. „Die trägt ja Ringe.“ – „Dann isse nich von hier.“

Es könnte ja sein, dass ihr nach so einem Newsletter glaubt, der arme Bartleby sei ein unglücklicher Mensch. Ich kann euch beruhigen mit Charlie Chaplin: „Auch eine Qualle hat ein erfülltes Leben.“

In diesem Sinne, euer Bartleby.