#26

Hallo Follower,

Ihr fragt Bartleby, wie es ihm geht. Antwort: „Mir geht´s wie Gott.“ Was heißt das? „Ich mache nichts.“ Die anstrengende Schöpfungsgeschichte hat anscheinend ihre Spuren bei ihm hinterlassen. Oder verwahrlost Gott etwa gerade auch in Würde wie Bartleby? Die Bibel müsste umgeschrieben werden.

Wahrscheinlich auch die Geschichte von Adam und Eva. Stellt euch vor, Gott hätte nach dem Sündenfall Bartleby statt Adam aufgefordert, das Paradies zu verlassen. Was wäre seine Antwort gewesen? Richtig: „Ich möchte lieber nicht“. Wir könnten also heute noch im Paradies leben. Seht ihr, die Atheisten haben es immer schon gewusst.

Klima, Digitalisierung, Altersarmut, das sind alles große Probleme, auf die die Politik Antworten sucht. Bartleby hätte natürlich schon lange welche, Bloß leider nicht auf seine eigenen. Zum Beispiel, ob er sich mal wieder die Fußnägel schneiden oder lieber größere Schuhe kaufen soll. Ihr lacht, aber das sind so Fragen im Alter, die auch beantwortet werden wollen. Manchmal versucht Bartleby, seinem Alter zu entgehen, indem er sich einfach nur noch mit dem Rücken zum Spiegel abtrocknet. Rare Glücksmomente.

Tipps für einen verregneten Herbst: Sich auf Youtube statt Katzenvideos mal die Welt von Harald Lesch erklären zu lassen. Warum die Erde doch keine Scheibe ist oder Chemtrails nur die Hirne von Idioten vernebeln. Warum hatten wir an unserer Schule nicht so einen als Lehrer? Ich weiß, blöde Frage. Für mich damals aber ein Grund, mich von den naturwissenschaftlichen Fächern zu verabschieden. Aber wenigstens in Deutsch hatten wir so eine Art Mini-Lesch. Sonst gäbe es heute auch keinen Newsletter.

Bartleby hat sich in seinen Schriftverkehr-Seminaren immer wieder über Blödsinn und Euphemismen in der deutschen Sprache lustig gemacht. Zum Beispiel etwas „Nullwachstum“ zu nennen, obwohl da nachweislich nichts wächst. Oder der unausrottbare „Rückstau“. Staut sich auch etwas nach vorne? Und dass „vorprogrammieren“ doppelt gemoppelt ist, weiß Bartleby natürlich, weil er das hessische Große Latinum hat. Wozu denn sonst?

Jetzt hat Bartleby ein neues Highlight der Politikersprache kennengelernt. Pressekonferenz zum Plan von Tesla, in der Nähe von Berlin eine „Giga-Factory“ zu bauen. Dafür muss ein großes Stück Wald verschwinden. Frage des Reporters an den Brandenburger Politiker: „Stimmt es, dass dafür 70 ha Wald abgeholzt werden müssen?“ Der arme Politiker schluckt und versucht, in seiner Antwort das Unwort „abholzen“ zu vermeiden: „Nee, außer der Tatsache, dass Wald abge…. ääh, also deforestiert wird.“ Der neben ihm stehende Ministerpräsident kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Ich liebe Brandenburg. Rainald Grebe, mach was draus!

In Bartlebys Wohnung hängt seit den 80ern ein Poster von einem Auftritt der „3 Tornados“ in der Ufa-Fabrik. Arnulf Rating ist der einzig Überlebende dieses Kabarettisten-Trios und noch ganz der Alte. Er hat jetzt das Greta Thunberg-Bashing von Dieter Nuhr gekontert. „Bei Greta“, stellte er fest, „da kann man sehen, was aus Leuten wird, die einmal in der Woche nicht in die Schule gehen.“ Verstanden? Ich hoffe doch.

Bartleby ist ja seit Bolzplatzzeiten ein großer Fußballfan. Aber die Pyro-Orgie bei Union- Hertha hat ihm doch sehr zu denken gegeben. Er war früher mit Monika Dauergast bei Hertha im Olympiastadion. Immer auf einem Platz im Oberring. Warum gerade dort? Pyro gab es damals noch nicht. Die Hools haben als Ersatz dafür ihre Bierbecher vollgepinkelt und dann von oben in den vollbesetzten Unterring geworfen. Gut für dich, wenn du dort unten einen Stehkragen hattest. Der Vorteil für Bartleby: Auf dem Herren-WC im Oberring war es dadurch immer angenehm leer.

Als Fußballer bei Weiß-Blau Allianz hat Bartleby ja manchmal davon geträumt, ein zweiter Beckenbauer oder Jogi Löw zu werden. Bis Mehmet Scholl kam, einer der wenigen sympathischen Spieler bei Bayern München. Er wird von einem Reporter gefragt, was er in seinem nächsten Leben am liebsten sein würde. Scholl denkt kurz nach, lächelt und antwortet: „Spielerfrau“. Daran hat Bartleby auch schon mal für sich gedacht. Alexa, sag, von wem? Nein, bitte nicht Loddar Matthäus!

Wer von Euch ist nicht schon einmal von jemandem zur Hölle gewünscht worden. Bartleby hat irgendwann aufgehört, solche Wünsche an ihn zu zählen. Vor einiger Zeit bekam er dann diese merkwürdige Mail: „Niemand außer Allah ist der Anbetung würdig!! Entweder ihr konvertiert zum Islam oder ihr seid Brennstoff der Hölle.“ Bartleby hat mal kurz überlegt, allein schon wegen der 72 Jungfrauen. Selbstkritisch wie er ist, stellte er aber fest, dass dieses Angebot für ihn vielleicht zwei, drei Jahre zu spät gekommen ist.

Bartleby hat noch versucht, den Absender zurückzurufen, aber der fromme Mann war wohl gerade in seiner Moschee. Jetzt droht also die Hölle. Muß das aber wirklich so schlimm sein? Der schlechte Ruf der Hölle liegt nicht an dem Ort, sondern an den Leuten dort, hat ein kluger Mann mal gesagt. Wenn das stimmt, träfe Bartleby dort auf eine ganze Menge Leute, die ihm schon von hier bekannt wären. Vor seinem Gang in die Hölle erhält Bartleby Zuspruch von Erasmus von Rotterdam; „Religion ist was für Kinder, Greise und Idioten.“

Viele von euch werden es schon längst vergessen haben: Vor der „Wende“ wurden die Frontstadt-Berliner aufgerufen, immer in der Adventszeit Kerzen in die Fenster zu stellen. Für die Brüder und Schwestern im Osten. Was soll schon so schlimm daran sein? Früher haben die Berliner einfach Hakenkreuzfahnen zum Fenster rausgehängt, später mussten es dann eben Kerzen sein. Der Berliner zeigt eben gern, dass er macht, was von ihm erwartet wird. Heute schmeißt er höchstens noch seinen Sperrmüll vor die Tür, nicht nur zum Advent. Blöd, aber das ist Bartleby immer noch lieber als die Fahnen von damals.

Zum Schluss noch eine Frage zu Weihnachten. Dafür aber kurz mal raus aus dem Zimmer mit Frauen, Kindern und Katzen. Ist die Luft rein? Also: „Warum hat der Weihnachtsmann so einen großen Sack?“ – „Weil er nur einmal im Jahr kommt.“ Bartleby findet sowas witzig. Ja, er kann auch unterste Schublade. Habt ihr nicht gedacht. Typisch alter weißer Mann. Und jetzt alle: „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum …“

#25

Hallo Historiker.
So viel Historie wie um den Mauerfall in der letzten Zeit war lange nicht mehr. Bartleby hatte schon
immer ein Faible für wahrhaft historische Ereignisse. Zum Beispiel als Junge 1954. Endspiel in
Bern zwischen Deutschland und Ungarn. Aus dem Volksempfänger krächzt Herbert Zimmermann:
„…aus dem Hintergrund Rahn, Rahn müsste schießen, Rahn schießt, TOOOR! Tor für
Deutschland!“ 3:2.

Nach dem Spiel trafen sich die Jungs auf dem Bolzplatz. Jeder wollte Rahn sein. Ich musste ins Tor.
Schon wieder. Mist! Wenigstens mein Vater hat mich richtig eingeschätzt. Er schenkte mir zum
Geburtstag das Buch von Fritz Walter. Mit Autogramm vom Fritz!

1963 Attentat auf Kennedy. Bartleby mit Kumpel auf dem Weg zum Ammersee. Kurz vor
Würzburg im Autoradio die Nachricht. Sofort runter von der Autobahn und zum Hauptbahnhof.
Das müssen wir unbedingt den Würzburgern berichten. Im Bahnhof stand ein amerikanischer
Militärzug. Wir mussten nichts mehr sagen.

1969 Mondlandung. Stundenlanges Ausharren vor dem Schwarz-weiß-Fernseher. Den erst ein paar
Wochen alten Sohn aus seinem Bettchen vor die Glotze geschleppt. Er sollte später auf die Frage,
wo er bei der Mondlandung war, sagen können „Ich war dabei“. Kann heute nicht jeder von den
Baby-Boomern.

1989 auf Sylt. Bartleby „feiert“ dort allein seinen 50. Geburtstag. Im Fernsehen wird berichtet, dass
gerade Erich Honecker zurücktreten musste. Ein Geschenk der SED für den Fluchthelfer? Bartleby
köpft noch eine Flasche Sekt und fragt sich, wo das alles enden soll. Hier:

9.11.1989. Mauerfall. Bartleby sieht zu, wie Schabowski seinen Zettel vorliest. „Sofort.
Unverzüglich.“ Ihm wird sofort, unverzüglich klar, dass seine Potsdamer Cousine morgen auf der
Matte steht. Muss er jetzt etwa noch schnell das Bad putzen? Eigentlich ja, aber dann die Meldung,
dass die Mauer an der Bornholmer Straße geöffnet ist. Mensch, da muss er doch jetzt sofort hin, das
ist ein historischer Moment, verstehste.

Aber leider ist Bartleby auch ein Preuße aus potsdam-schlesischem Blut. Da ist ja noch das blöde
Seminar morgen bei der Allianz. Und das ist noch nicht vorbereitet. Alles wie immer auf den letzten
Drücker. Wer rechnet denn auch damit, dass die Ossis ausgerechnet heute nicht mehr die Füße
stillhalten. Also was jetzt? Seminar sausen lassen und auf zur Bornholmer oder lieber das Seminar
weiter vorbereiten? Weltereignis oder Pflicht? Der Preuße in Bartleby entscheidet sich natürlich für
die Pflicht. Später kann er es nicht fassen.

Die Erklärung für dieses Verhalten findet ihr bei dem Preußen Heinrich von Kleist. Im „Prinz von
Homburg“ hält der Prinz sich nicht an die Order des Kurfürsten. Die lautete, erst anzugreifen, wenn
er das Kommando gibt. Der Prinz macht es trotzdem und gewinnt die Schlacht. Statt als Sieger
gefeiert zu werden, wird er zum Tode verurteilt. In Preußen gilt die Pflichterfüllung mehr als ein
Sieg in einer Schlacht. Davon war der Preuße Bartleby geprägt und hat sich an diesem historischen
Abend auf die Seite des Kurfürsten geschlagen. Das Seminar ist Pflicht, egal, was in der Welt
passiert. Basta! Aber das war auch der Moment, von dem ab sich Bartleby immer mehr vom
Kurfürsten zum Prinzen entwickelt hat.

Jetzt vom alten Preußen ins heutige Berlin. Die Stadt gilt ja als das Mekka der Meckerer. Das ist ein
fruchtbarer Boden für Bartleby. Sich über etwas aufzuregen, sich bei jemandem zu beschweren, das
war für ihn schon immer ein Ersatz für Viagra. Dabei begann alles einmal umgekehrt. Bei der
Allianz musste er die Vorstandsbeschwerden beantworten. Später durfte er die MitarbeiterInnen schulen, die für die
Beschwerden des gemeinen Volks zuständig waren. Beides macht aber auch fit,
sich selbst zu beschweren. Dazu gab es in letzter Zeit reichlich Gelegenheit.

Ob Finanzamt, Stadtreinigung oder Hausverwaltung, sie bekamen alle ihr Fett weg. Merkt euch das:
Bartleby ist ein Aggro-Rentner, auf dem man nicht ungestraft herumtrampeln darf. Ein früherer
Vermieter hat ihn dafür sogar einmal mit einer Abmahnung bestraft. Fuck you! Seine Beschwerden,
die das ganze Haus betreffen, hängt Bartleby immer am Schwarzen Brett aus, obwohl ihm das auch
schon untersagt wurde. Auf einmal grüßen ihn Mieter freundlich, von denen er nicht einmal wußte,
in welchem Stock sie wohnen. Andere fragen, wann er mal wieder etwas ans Brett heftet. Es mache
Spaß, so etwas zu lesen. Vielleicht sollte er mal eine Beschwerde-App entwickeln und damit reich
werden.

Bartleby hat gerade seine Heizkostenabrechnung erhalten. Sein Guthaben beträgt diesmal 819,00
Euro. Neuer Rekord! Wie macht er das? Nein, nicht wie Thilo Sarrazin, der einmal als
Finanzsenator den Berlinern ganz kalt geraten hat: „Wer Heizkosten sparen will, soll sich eben
warm anziehen.“ Das muss Bartleby nicht, denn er stammt in krummer Linie von Termiten ab.
Diese intelligenten Tierchen haben für ihre Bauten ein besonderes System entwickelt. Sie haben es
lange vor dem Menschen geschafft, Hügel zu bauen, die sich selbst belüften, die immer ähnlich
warm und zugleich angenehm feucht bleiben. Wie schaffen die das bloß ohne Sarrazin?

Die Termite Bartleby darf in Berlin natürlich keinen Hügel bauen. Sie behilft sich einfach mit der
Wärme von Glühbirnen und Kerzen, mit etwas Winterspeck und vor allem mit ein paar
steifen Grogs (54%). Wenn irgendwann einmal in der Erdgeschichte Termiten entdeckt werden, die
sich von Grog ernähren, können die Forscher sicher sein, dass das Berliner sind.

In der Zeitung meines Vertrauens lese ich gerade, dass der Schauspieler Ulrich Tukur die Nase voll
hat von seinem Venedig. Zu viele Touristen, zuviel Wasser. Er will umziehen nach Berlin und freut
sich auf „eine heruntergekommene alte Wohnung mit Kohleöfen und Toilette im Treppenhaus in
Schöneberg“. Mit seiner Wunschwohnung könnte ich ihm, bis auf die Kohleöfen, locker dienen,
sogar mit Toilette im hinteren Treppenhaus. Die wurde mal 1912 nur für die Dienstmädchen der
Herrschaften eingerichtet und funktioniert heute noch. Bartleby muss gestehen, er habe gar nicht so
genau darauf geachtet, wo eigentlich seine Dienstmädchen immer ihr Geschäft verrichtet haben.

Hier nochmal ein Schmankerl von der BVG. Durchsage im U-Bahnhof: „Verspätung wegen ein-
und aussteigender Fahrgäste“. Bartleby kennt das. Wie oft musste er nicht schon in der Bahn
lahmarschige Touris in den Hintern treten: „Hey, Alter, wir sind hier nicht auf dem Dorf!“ Dann
wird der Bauer rot und freut sich wieder auf seinen Kuhstall. Aber die Kühe auch auf ihn? Man
weiß es nicht.

Der Soziologe Harald Welzer kommentiert solche Situationen so: „Berlin ist für mich eine milde
Form der psychischen Störung.“ Mensch Welzer, was heißt denn hier „mild“? Leb du erst mal wie
Bartleby über 50 Jahre in der Heilanstalt Berlin. Wenn du dabei nicht psychisch schwer gestört
wirst, wird aus dir nie ein echter Berliner.

Habe gerade ein Interview mit Hans-Christian Ströbele gelesen. Ihr wisst schon (oder auch nicht),
der große alte Mann der Berliner Grünen. Frage: „Haben Sie schon einmal einen Abend mit einem
Flüchtling verbracht?“ Antwort: „Ja, bereits 1946.“ Hätte auch meine Antwort sein können. Denkt
drüber nach.

Bis bald.

#24

Hallo Fans,

wie Ihr wisst, ist Bartleby´s Mindesthaltbarkeitsdatum ja schon vor einiger Zeit abgelaufen. Für ihn selbst überraschend ist er vor kurzem doch noch 80 geworden. Eine Laune der Natur. Der Bezirks-Bürgermeister von Mitte hat gratuliert, warum auch immer, und die alte Tante Allianz hat mal kurz in ihrem Portemonnaie gekramt. Diesmal ist es ihm nicht gelungen, sich an einem unbekannten Ort zu verstecken. Er wird halt doch alt. Aber Elke und seine family haben – jeder für sich – ein anspruchsvolles Programm auf die Beine gestellt. Genau auf seine Person und seine Vorlieben zugeschnitten, Bartleby muss in der Vergangenheit doch mehr von sich preisgegeben haben als er dachte. Nach zwei sehr schönen, anregenden und anstrengenden Tagen war er jedenfalls Matsch, aber glücklich. So ein Gefühl kannte er gar nicht mehr.

Soll ein Geburtstagskind sich selbst ein Geschenk machen? Bartleby hatte damit nie ein Problem. Meistens waren es dann teure Whiskeys oder überflüssige Klamotten oder eine Karte für die VIP-Lounge von ALBA. Diesmal fiel seine Wahl altersgerecht aus. Ab jetzt gehört auch ein Einkaufs-Trolley zu seinem Fuhrpark. Das gemeine Volk wie ihr nennt so ein Gefährt verächtlich „Hackenporsche“. Wer Bartleby kennt, weiß natürlich, dass er sich nicht so eine Einkaufstüte mit kleinen Rädern ausgesucht hat wie die alten Damen aus dem Altersheim. Bei EDEKA müssen die Mädels jetzt Platz machen für den schwarzen Andersen Royal XXL, den Porsche Cayenne unter den SUV-Trolleys. Luftbereift mit Autoventilen, Kühlfach und allem pipapo. Nicht kleckern, klotzen. Bartleby wird sich wohl nie mehr ändern, solange die Rente reicht.

Was hat Fußball mit political correctness zu tun? Na, nüscht, sagt der Fan in der Ostkurve. Meinste, Alter? Hertha hin, Hertha her, Bartleby war schon immer ein Fußball-Verrückter. In Italien und jetzt in Bulgarien gibt es aber Verrückte, die nur deswegen ins Stadion gehen, um ihre rassistische Scheiße loszuwerden. Affenlaute und Hitlergruß gegen dunkelhäutige englische Spieler. Pech für Bulgarien, ihre hellhäutige Mannschaft ging 0:6 unter. Dunkel ist das neue Hell. 

Political correctness wird es im Fußball noch lange schwer haben. Wir hier im grün versifften Berlin waren da schon einmal weiter. Aber auch da gab es Rückschläge. Bartleby erinnert sich: Er, der typische 68er bringt seinen Sohn morgens in den natürlich antiautoritären Kinderladen. In der U-Bahn steigt ein dunkelhäutiger Fahrgast zu. Alles ruhig. Aber auf einmal kräht der kleine Mann: „Ulrich, ist das ein Neger?“ Wer einmal versucht hat, in einem U-Bahn-Wagen im Boden zu versinken, wird verstehen, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe. Was sollte ich machen? Sollte ich den anderen Fahrgästen erläutern, dass mein kleiner Sohn damit nur ausdrücken wollte, dass es  Menschen mit unterschiedlichen Formen der Pigmentierung gibt? Nächster Halt Zoo, ich war gerettet.

Diese Situation erinnert mich an meine Konfirmandenzeit in Berchtesgaden. Da musste ich ja noch in die Kirche. Wenn man da reinkam, stand auf einem Tisch am Eingang immer die Figur eines kleinen Negerjungen mit offenen Händen. Wenn man da etwas Geld hineinlegte, nickte er mit dem Kopf und machte einen Diener. Ja, das muss er auch, fanden die Konfirmanden. Manche von ihnen finden das heute noch so, da bin ich mir sicher. 

In Berlin gibt es eine U-Bahn-Station, die schon seit ewigen Zeiten „Mohrenstraße“ heißt. Das wollen die political-correctness-Aktivisten ändern. Ich erinnere mich an meine Jugend in dem verschlafenen Eschwege. Der Höhepunkt des Tages war es für mich, wenn ich mir nach der Schule am Zeitungskiosk für 20 Pfennig einen Mohrenkopf kaufen konnte. Ich hätte sterben können für diese Dinger. Könnte ich auch heute noch. Aber was sage ich heute, wenn ich einen kaufen will? Was ich nicht sagen darf, ist mir klar. Vielleicht so: auf den Mohrenkopf zeigen und sagen: „Das da!“ 

Mit diesen Worten habe ich auch in den 68ern am Kiosk ein buntes Magazin erstanden. Es hieß auch „Das da“ und war so eine Art Playboy für junge Revoluzzer. Eine wilde Mischung von nackten Frauen und revolutionären Texten. Herausgeber unter anderen Ulrike Meinhof. Sie erhofften sich offensichtlich so eine größere Verbreitung ihrer kritischen Artikel. War bei Bartleby natürlich nicht nötig. Er interessierte sich sowieso nur für die Texte. Stimmts Bartleby?

Jetzt eine Geschichten aus der Rubrik „Dement und keiner merkts“. Vor vielen Jahren hat Bartleby seine Lieblingsschuhe zum Besohlen gebracht. Danach aber nicht mehr angezogen und vergessen, weil inzwischen wohl der Winter ausgebrochen war. Im nächsten Frühjahr kauft er sich haargenau dasselbe Modell und trägt es, bis jetzt die Sohlen durch sind. Also müssen neue her. Aber in ganz Berlin gibt es keine Schuhe mit Silberschnallen. Überall nur Schnürsenkel. War das nicht einmal die DDR, in der Planwirtschaft geherrscht haben soll? Also warten bis zum nächsten Jahr, wenn die Schnürsenkel wieder von Schnallen abgelöst werden? Bartleby wollte das lieber nicht, klar.

Er durchwühlt seinen riesigen Messi-Schuhfundus, in dem sich noch Töppen aus seiner Zeit als Netzer-Imitator und Spikes aus seiner Zeit als Armin Hary Double (s. Wikipedia) fanden. Selbst die Sandalen, in denen er sich einst mit weißen Socken als Muttersöhnchen geoutet hat, könnte er heute wieder tragen. Natürlich nur ohne Socken. Aber dann: Unter einer fingerdicken Staubschicht entdeckt er seine alten Lieblingsschuhe von damals mit nagelneuen Sohlen. Den Schuster im Kiez gibt es schon lange nicht mehr. Seine Sohlen haben ihn bei Bartleby überlebt.

Hier noch etwas Hübsches aus der Rubrik „Jeder blamiert sich, wie er kann.“ Die Berliner Polizei hat den Inhalt einiger Notrufe (110) veröffentlicht (danke Tagesspiegel). Es geht los:

„Anruferin wollte EWA (Einsatzwagen), weil bei ihr andere Sachen im Kühlschrank liegen. Zum Abschnitt verwiesen. Damit war sie nicht einverstanden.“

Oder so: „Im Hinterhof des Mehrfamilienhauses sitzt eine Katze, welche die Anruferin nicht kennt. Anruferin will das nur der Polizei melden.“

Einer geht noch: „Mann liegt betrunken im Bett, hat seinen Arm auf meine Seite ausgestreckt – ich kann nicht ins Bett.“ Einsatz abgelehnt.

Ihr lacht, aber das sind genau die Leute, denen ich täglich auf der Straße, in der Bahn oder bei EDEKA begegne. Wenn ich nicht wüsste, dass ich im Irrenhaus Berlin lebe, hätte ich wegen dieser Typen wohl schon längst einmal die 110 gewählt. 

Zum Schluss noch etwas aus der Rubrik „Liebe kennt keine Grenzen“. Pouline, meine zeitweilige Therapiekatze, hat Bartleby einen Heiratsantrag gemacht. Er sei der erste Mann, der ihr Klo sauberer hält als sein eigenes. Helge Schneider („Katzeklo“) muss dann natürlich Trauzeuge sein. Ihr seid alle eingeladen. Als Geschenk erwarten wir von jedem einen Beutel Katzenstreu. Aber bitte nur die Klumpige, sonst kann die feine Dame nicht. 

Noch eine Frage. „Alexa, was kommt eher: das Ende der Welt oder das Ende des Kapitalismus?“- Langes Schweigen. Bartleby hat das Gefühl, künstliche Intelligenz wird einfach überschätzt. Ein schwacher Trost. 

Geburtstag

Hallo Jung und Alt,

Bartleby geht so langsam auf die 80 zu, fühlt sich aber immer noch fit wie ein ausgelatschter Turnschuh. Da stimmt doch etwas nicht. Kein Hypochonder kennt seinen Pschyrembel so in- und auswendig wie er. Da muss doch allmählich etwas kommen. Alle seine Kumpels haben mehr oder weniger schlimme Zipperlein. Warum, zum Teufel, nur er nicht? Dieses vergebliche Warten auf etwas Unvermeidliches geht ihm mehr und mehr auf die Nerven. Es erinnert Bartleby an seine Pubertät. Da stand er jeden Morgen mit seinem teuren Philips-Trockenrasierer vor dem Spiegel und suchte verzweifelt nach den ersten Bartstoppeln. Verdammt nochmal, wo bleiben die? Alle in der Klasse hatten schon welche und einige sogar schon so etwas wie einen Schnurrbart, Betonung auf schnurren. Er war überzeugt, aus ihm würde nie ein richtiger Mann. Heute kann er es ja sagen, das war der größte Irrtum in der Geschichte seit entdeckt wurde, dass die Erde keine Scheibe ist.

Der Eine oder Andere von euch wird sich vielleicht gewundert haben, dass Bartleby  als „homo politicus“ sich so gut wie nie über Politik äußert. Das macht er aus gutem Grund und soll auch so bleiben. Warum sollte er jeden Furz eines Politikdarstellers kommentieren? Dafür habt ihr das Blatt mit den großen Buchstaben. Seine Newsletter möchten euch dagegen zeigen, wie die Welt aus der Sicht eines grummeligen 80jährigen aussieht mit einem ganz speziellen Blick auf sein Berlin. 

Aber Bartleby kneift auch nicht, wenn ihr wissen wollt, wo er politisch steht. Jakob Augstein hat diese Frage einmal knapp und klar beantwortet: „Im Zweifel links.“ Wem das nicht reicht, sollte am besten das kleine Heft von Stéphane Hessel lesen: „Empört euch!“ Spätestens dann wisst ihr wirklich, wie der alte Bartleby tickt. So, Schluss für heute mit der großen Politik.

Bartleby ist ja schon seit der Erfindung des Fernsehens ein TV-Junkie. Aufgewachsen ist er in den 50ern mit Werner Höfers „Frühschoppen“ mit fünf rauchenden und trinkenden Journalisten aus sechs Ländern oder umgekehrt. Den gab es immer sonntags um 12 Uhr. Aber kaum hatte Höfer an seinem Glas Wein genippt, platzte Mutter in die Runde und stellte demonstrativ den Sonntagsbraten auf den Tisch. Aber statt eines freundlichen „Guten Appetit!“ ein energisches „Der Kasten bleibt jetzt aus!“ Ich hätte sie ermorden können, Sonntag für Sonntag. Aber im Knast hatten sie ja damals noch nicht einmal Fernsehen. Mutters Glück.

Heute versäumt Bartleby kaum eine Talkshow, weder live noch in der Mediathek. Dabei interessiert ihn weniger, welche politische Meinung der eine oder andere vertritt. Das weiß er auch schon vorher, Was ihn interessiert, ist, wie sich die Teilnehmer darstellen. Wer macht rhetorisch alles richtig, ist schlagfertig und überzeugt mit Argumenten? Das Urteil von Bartleby nach zahllosen eigenen Rhetorik-Seminaren für die ruhmreiche Allianz: „The Oscar goes to –  Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi.“ Aber damit die rechte Ecke von euch nicht weint, auch ein Peter Altmeier macht seine Sache zumindest rhetorisch nicht schlecht. Wie er es immer wieder schafft, von den Moderatoren in die Enge getrieben, bunte Girlanden aus Nonsense zu winden und damit gerade noch das rettende Ufer zu erreichen, Respekt. Müsst ihr erst einmal nachmachen oder besser nicht. 

Fontane-Jahr. Natürlich kennt Bartleby seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und hat selbst auch schon die Maränen aus dem Stechlin im Fontane-Haus in Neu-Globsow gegessen. Jetzt aber stolpert er über etwas wenig Nettes über den großen Dichter: Der habe beim Schreiben seiner Texte eine regelrechte Sauklaue gehabt. Jetzt erst wird Bartleby klar, weswegen aus ihm nie ein zweiter Fontane werden konnte. 

Bartlebys Opa war Rektor. Das heißt, der kleine Bartleby musste jeden Tag üben, Buchstaben in voller Schönheit auf eine Schiefertafel oder in ein Heft mit Ober- und Unterlinien zu malen. Zum Beispiel seitenlang ein schönes „g“ mit Unterschleife malen. Wenn es gut war, gab es zur Belohnung frischen Pflaumenkuchen aus dem Ofen von Oma. Das Ergebnis war eine Schönschrift wie die eines Künstlers. In der Schule hat das allein genügt, manch eine misslungene Arbeit von einer glatten „5“ in eine „4-“ zu retten.

Für die Jüngeren: es gab mal eine Zeit ohne Kugelschreiber. In Jung-Bartlebys Pult in der Schule gab es ein Tintenfass. Da konntest du wahlweise die Zöpfe deines Schwarms reinhalten oder deinen Federhalter, und erst dann konntest du schreiben wie Fontane oder auch nicht. Für Bartleby hieß das, beim Schreibwarenhändler seines Vertrauens nach der Superfeder zu suchen. Nicht zu breit und nicht zu spitz, nicht zu lang und nicht zu kurz. Mit den Füllern später wurde es einfacher. Bartleby hatte sich als Schöngeist für einen Pelikan-Füller mit grün-marmorierter Grifffläche entschieden, den Mercedes 300 unter den Füllern. Den hat er heute noch. Ab und zu muss er sich ein neues Glas Tinte (natürlich blau, schwarz ging gar nicht!) kaufen, weil das alte längst eingetrocknet ist. Der alte Fontane würde ihn verstehen.

Bartleby liest zu seinem Entsetzen, dass seine Allianz ihr Sportgelände in Mariendorf verkaufen will: Zwei Fußballplätze, mehrere Tennisplätze und eine große Sporthalle. Eine Schande und ein deja vu! Der junge Bartleby hatte schon damals geweint, als die Allianz die wunderbare überdachte Haupttribüne aus den 20er-Jahren verscherbelt hatte. Fragt mich nicht, warum die Denkmalschützer dabei die Füße stillgehalten haben.

Was Bartleby aber zu denken gibt: Kurz bevor er diese Nachricht liest, hatte er einen unerklärlichen Anfall von Aufräumeritis. Was kann von seinen ganzen Sportklamotten (Curling, Joggen, Fußball) endlich weg? Die Wahl fiel auf seine Stutzen und Schienbeinschoner. Die Töppen dürfen bleiben und erhalten einen Ehrenplatz neben seinem Weiß-Blau Allianz Trikot mit der legendären Rückennummer „3“. „Passt auf die 3 auf!“, schallte es immer wieder von der Trainerbank des Gegners. Hat ihnen aber nicht viel genutzt. In diesem Zusammenhang noch ein Wort über Uli Hoeneß? Wäre zuviel der Ehre. Wurstmaxe bleibt Wurstmaxe.

Hier etwas aus der Rubrik „Selten, aber dämlich“. Neulich bei EDEKA. Bartleby beim Großeinkauf. Geschickt, wie das nur erfahrene Männer wie er können, verstaut er die Waren in seinen vier Einkaufsbeuteln aus Jute (Öko!). Mit Umpacken dauert das natürlich ein bisschen. Davon schon leicht erschöpft, schleppt der alte Herr die Last nach Hause. Vor der Haustür dann der Schock. Die Schlüssel! Wo sind die Schlüssel? Also alle Beutel auf dem Bürgersteig wieder ausgepackt und die Köter verscheucht. Die Schlüssel sind nicht da. Hat er wohl auf dem Packtisch vergessen. Zurück mit dem ganzen Mist zu EDEKA? Bartleby dazu „Ich möchte lieber nicht.“ Typisch. Der alte Mann brauchte eine Weile, Bartleby doch dazu zu bewegen, ihm bei der ganzen Schlepperei zurück zu helfen. Musste ihm aber dafür ein paar hochprozentige Leckerlis versprechen.

Rush hour an den Kassen. Alle gehetzt. Bartleby wirft sich todesmutig dieser Meute entgegen und säuselt schuldbewusst „Entschuldigung, ich habe meine Schlüssel liegengelassen.“ Der Kassierer fragt, wie sie denn aussähen. „Na, ein langer und vier kurze.“ Er kramt unter seiner Kasse und wedelt mit dem Schlüsselbund. Bartleby spürt die giftigen Blicke der Schlange an der Kasse. Gleich werden sie ihn töten, hier, mitten in seinem geliebten Moabit. Das darf nicht sein! 

Dann aber doch der alte Bartleby, wie ihr ihn kennt. Baut sich mit seinen Einkaufsbeuteln vor der ungeduldigen Kassenschlange auf und strahlt sie an (doch, doch, das kann er auch): „Kennt jemand von Ihnen eine gute Gebrechlichkeitspflegerin für mich?“ Ein Moment Stille, dann fröhliches Gejohle bei Jung und Alt. Puuh, das war aber wieder knapp.

Jetzt aber: „Alexa, hol mir ein Bier!“ –  „Ich möchte lieber nicht.“ – Bartleby glaubt, er habe sich verhört: „Was ist denn hier los? Gib sofort das Buch wieder her!“ So weit kommt´s noch.

#22

Hallo ihr da draußen,

neulich war Bartleby wieder einmal im KaDeWe. Eigentlich nichts Besonderes, aber diesmal zog es ihn unwiderstehlich in die Spielzeugabteilung. Er weiß nicht wieso, aber es war wie ein Sog. Dann stand er vor den Teddybären. Es war, als hätten sie nur auf seinen Besuch gewartet. Wer ganz genau hinschaute, konnte den Eindruck haben, dass sie ihm ganz zart mit ihren Pfoten zuwinkten. „Wie geht’s dir, alter Mann?“ flüsterten sie, damit die Verkäuferin sie nicht hören konnte. „Danke, geht so. Die Zeit damals ohne euch war schlimmer für mich. Wisst ihr ja.“ Sie schauten ihn sanft mit ihren schönen Glasaugen an: „Du weißt ja, dass wir gerne bei dir gewesen wären. Aber man hat uns einfach nicht gelassen.“ 

Die Teddys haben Recht. Bartlebys Mutter musste 1939 in die Reichsmütterschulung. Dort erhielt sie auch den Erziehungsratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer (s. Wikipedia). Um sie zu guten Soldaten und Mitläufern zu machen, forderte sie die Eltern darin dazu auf, die Bedürfnisse ihrer Kleinkinder gezielt zu ignorieren. Sie sollten emotions- und bindungsarm werden. Der „Führer“ wollte, dass Bartleby flink wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl wird. Klein-Bartleby aber wollte lieber nicht. Und die SS machte seinem Vater klar, dein Sohn kriegt keinen Teddy, der bringt ihn später an der Front nur auf dumme Gedanken. Das Private ist das Politische, hieß es dazu später bei den 68ern.

Ich weiß nicht, ob Mutter auch das zweite Buch von Frau Haarer gelesen hat: „Mutter, erzähl von Adolf Hitler.“ Bartlebys Oma in Schlesien hat jedenfalls nicht von ihm erzählt und ihm lieber Märchen vorgelesen und wunderschöne Lieder zum Einschlafen gesungen. Opa hat ihm täglich Spielzeug gebastelt und darunter war kein einziges Kriegsspielzeug. Aber einer fehlte auch dort: ein Teddy. Wie lernt man Liebhaben, wenn man niemanden zum liebhaben hat? Am Daumen lutschen und mit den Bettzipfeln spielen war kein Ersatz. 

Johanna Haarer hat noch bis in die 70er-Jahre ihren Ratgeber in Millionenauflage im postnazistischen Westdeutschland verkauft. Mutter bekam schneller die Kurve. Sie fing sofort nach Kriegsende wieder an, mit ihren Kindern abends und vor dem Essen zu beten und Bartlebys kleiner Bruder bekam jetzt natürlich auch seinen Teddy. Er hat ihn so geliebt, dass sich das Kuscheltier irgendwann fast in seine Bestandteile aufgelöst hat. Bartleby hat seinen Bruder nicht einmal darum beneidet, er war nur traurig, einfach traurig. Mutter hat davon nichts bemerkt. 

Die Teddybären im KaDeWe haben ihm aufmerksam zugehört. „Das ist aber keine schöne Geschichte, aber du hast doch hoffentlich Menschen kennengelernt, die dich trotzdem so mögen wie du bist.“ Bartleby muss eine ganze Weile darüber nachdenken: „Ich komme noch einmal vorbei, versprochen“. Dann streicht er einem der Teddys über den Kopf und geht. Ganz schnell. Die Verkäuferin schaut ihm irritiert nach.

Bartleby hat jetzt durch Zufall eine Schwester im Geiste entdeckt: Ildiko von Kürthy, Hamburger Schriftstellerin mit Millionenauflagen. In einem Interview gesteht sie ihre Seelenverwandschaft mit Bartleby: „Wenn mir morgens was runterfällt, hebe ich es erst nachmittags auf.“ Die Frauen, die ich kannte, waren alle anders. Sie haben sogar streng darauf geachtet, dass mir erst gar nichts runterfällt. Heute ist es ein schönes Gefühl für Bartleby, wenn er feststellt, dass Menschen, bei denen er das nie vermutet hätte, genau die gleichen Marotten haben wie er. 

Bartleby hängt rund um die Uhr am Radio. Das war schon in seiner Jugend so. Hausaufgaben wurden nur gemacht, wenn nebenbei Radio Luxemburg lief. Die Moderatoren hießen damals Camillo Felgen und Frank Elstner, ja genau der, der später im Fernsehen groß rauskam. Hier in Berlin haben wir ja das Glück, mit Radio Eins („nur für Erwachsene“) den besten Sender des Landes hören zu können. Kein Dudelfunk wie in MeckPomm oder südlich des Weißwurst-Äquators. Wenn ich früher im Auto unterwegs war und das Berliner Sendegebiet verlassen musste, war ich Sachsenwelle und Radio Brocken ausgeliefert. Die Höchststrafe! Inzwischen helfe ich mir mit CDs. Mit Creedance Clearwater Revival auf der linken Spur der A2, das hat was. 

Jetzt genug der Vorrede. In einer der letzten Sendungen stellte der nette Moderator seiner noch  netteren Kollegin eine Frage. Vorher aber noch schnell Kinder und Katzen raus aus dem Zimmer! Also: „Was ist der Unterschied zwischen Vögeln und Bumsen?“ Sie überlegt. Dann seine Antwort: „Vögel können fliegen, Bumsen nicht.“ Was habt ihr denn gedacht? Mieze, kannst wieder rein. Ich sagte ja, nur für Erwachsene.

Habe neulich mit Elkes Therapiekatze ausführlich Youtube geschaut. Pouline steht auf Katzenvideos, aber noch mehr auf solchen mit Eichhörnchen. Da starrt sie so gebannt auf den Bildschirm wie ich bei einem Hertha-Spiel. Das Einzige, was sie stört, ist, dass der Ton immer Englisch ist. Bartleby übersetzt natürlich so gut es geht, aber deutsche Untertitel wären ihr lieber. Mach was, Youtube!

Die Currywurst wird 70 Jahre, gemessen an Bartleby ein junges Ding. Wurst kann ja jeder, but its the sauce, stupid! Willkommener Anlass also für den exzentrischen Hobbykoch aus der Gastro-Brache Moabit, endlich die ultimative Currysauce zu kreieren. Und was soll ich euch sagen, Konnopke und Curry 36 können einpacken. Ihr würdet euch wegschmeißen. Bis auf die Veganer unter euch natürlich. Die müssen leider weiter zu Mustafas Gemüse Kebap gehen. Wartezeit 20 Minuten aufwärts. Trotzdem guten Appetit!

Höre gerade, dass sie den Auto-Serienbrandstifter vom Hansaviertel geschnappt haben. In Hamburg. Der Boden war ihm wohl hier im wahrsten Sinne des Wortes zu heiß geworden. Guter Job der „Soko Nachtwache“. Falls jemand von euch zufällig sieht, dass mein Auto gerade brennt: der Feuerlöscher liegt unter dem Rücksitz. 

Der Checkpoint Charlie ist ja ein weltbekannter Touristen-Hotspot, aber eigentlich immer noch eine Brache. Das soll sich endlich ändern. Aber wie? Es gibt Vorschläge für eine attraktive Location. Einer davon: Russische und amerikanische Panzer wie nach dem Mauerbau auf beiden Seiten der ehemaligen Demarkationslinie aufstellen. Das würde den Touristen sicher gefallen. Aber ob ihnen auch gefiele, wenn die nur mit Konfetti aufeinander schießen? Bartleby ist skeptisch.

Kennt ihr Rainald Grebe? Solltet ihr aber. Kabarettist und Musiker. Sein greatest Hit ist immer noch „Brandenburg“. Sehr zu empfehlen auch „Ich bin der Präsident“. Bartleby hat ihm auf dem rbb-Parkfest im Park am Gleisdreieck zugehört. Zwei seiner Bemerkungen sind ihm besonders im Gedächtnis geblieben. „Ostersamstag: ein Brückentag für Jesus.“ Na schön, über sowas lachen halt nur kaputte Atheisten wie Bartleby. Aber auch ein bitteres Fazit von ihm über Revolutionäre in Berlin. Damals die 68er auf dem Kudamm: „HoHoHo-Tschi-Minh“. Heute die Schwaben in Prenzelberg: „HoHoHolzspielzeug.“ Bartleby befürchtet, so wird das wieder nix mit der Revolution.

Bartleby gratuliert Günther Netzer zum 75. So wie er wäre Bartleby auch gerne „aus der Tiefe des Raumes“ gekommen. Lange Haare waren für ihn kein Problem, die Blondinen auch nicht und Karmann Ghia statt Ferrari mag man noch so durchgehen lassen. Es scheiterte einzig und allein am Tore schießen. So ein Traumtor, wie es Netzer im Pokalfinale 1973 geschossen hat, ist Bartleby nur einmal gelungen. Beim Tipp Kick gegen seinen kleinen Bruder und da ist das Tor bekanntlich viel kleiner. Spart euch also eure Häme.

Und kein Wort mehr über Hertha!

#21

Hallo ihr da draußen.

Breaking News: Bartleby will gleich in seinen Lieblings-Biergarten am Kleinen Tiergarten. Vorher schnell noch die Mails checken. Da ein Tweet der Berliner Polizei! Eben ist ein Mann erschossen worden. Im Kleinen Tiergarten. Ach, deswegen kreist der Hubschrauber über unsere Häuser. Bartleby macht sich trotzdem auf den Weg. Absperrbänder im Park, die Leiche unter einer Plane, aber von Jan Josef Liefers und Axel Prahl keine Spur. Wenn man sie hier mal braucht, sind sie in Münster. Jetzt aber in aller Ruhe im Biergarten ein schönes Helles mit Brezel und dann an der Spree entlang wieder nach Hause. Noch einmal am Tatort vorbei muss nicht sein. So etwas Besonderes war das auch wieder nicht. Wir sind schließlich in Berlin.

Habt ihr gesehen, wie Hertha gegen Bayern auf der Siegesstraße war bis, ja bis wieder das Übliche geschah: Elfmeter für den FC Hollywood. Newsletter-Gastautor und RBB-Moderator Jörg Thadeusz auf die Frage, welche Verschwörungstheorie er für wahr halte: „Dass alle Schiedsrichter für Bayern pfeifen:“ Guter Mann.

Vor ein paar Tagen hat Bartleby die „Berlinische Galerie“ besucht, Ihn interessierten die Gemälde von Lotte Laserstein und er schämte sich, bisher noch nie etwas von ihr gehört zu haben. Aber zuerst das typische Bartleby-Drama vor dem Eingang. Er soll an der Garderobe seinen winzigen Rucksack abgeben. Die Größe wie bei Konzerten erprobt DIN A4. Die Garderobentante kennt trotzdem keine Gnade. Willkommener Anlass für Bartleby, sein gesamtes Programm gegen sinnlose Vorschriften und ihre Verteidiger abzuspulen. Von „deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun“ bis „mit dieser Einstellung hätten Sie auch in einem KZ arbeiten können“ war alles dabei. Bartleby wieder einmal im Rausch.

Inzwischen hatte sich schon eine kleine Gruppe um uns gebildet, hörte interessiert zu und brachte ihre Smartphones in Stellung. „Crazy folks, these germans!“ Für sie hatte sich der Besuch der Ausstellung offensichtlich jetzt schon gelohnt. Bartleby möchte die Besucher nicht länger warten lassen. Er kramt in seinem Mini-Rucksack und holt Handy, Lesebrille und Taschentücher hervor, weiß aber nicht, wohin damit. „Soll ich Ihnen eine Tüte geben?“ säuselt die Tante. Bartleby unterdrückt mit letzter Kraft seine Mordgedanken: „Soll das ein Witz sein? Was kostet das jetzt?“ Die Tante: „Nur ein Lächeln.“ Bartleby stutzt, begreift, bleibt aber unerbittlich: „VON MIR NICHT!“ Wenn er unmöglich ist, fühlt er sich richtig gut. Du hast ja sonst wenig im Alter.

Übrigens war Lotte Laserstein sehr streng mit ihren Modellen. Sie legte größten Wert auf absolute Unbeweglichkeit. Für ein Bild mit Katze hat sie das arme Tier mit Weinbrand betäubt. Aber so hätte sich Bartleby auch gerne von ihr malen lassen.

Im geräumten Mietshaus nebenan dröhnen schon seit Monaten die Pressluftbohrer. Es ist die Hölle! Das Haus wird entkernt bis auf die Außenmauern. Dann gibt es bodentiefe Fenster für die Hipster und Dachterrassen wie gegenüber. Ich bin hier im alten West-Berlin mal hingezogen, um in Ruhe leben und in Frieden sterben zu können. Bartleby hat ja mit allem gerechnet, dass er mal ein großer Schriftsteller und Hertha mal Meister wird, aber nicht, dass die Gentrifizierung auch seine verschlafene Straße zerstört. 

Er hätte es besser wissen müssen. Als alter Hobby-Ornithologe hatte er schon seit langem die dramatische Gentrifizierung bei seinen gefiederten Nachbarn beobachtet. So ähnlich muss es gewesen sein, als im Mittelalter die Mongolen und Hunnen kamen. Plötzlich war die Gegend voller Krähen. Die gab es bis dahin nur in Sibirien. Drehte Hitchcock vielleicht Teil 2 seiner „Vögel“? Die ersten Opfer dieser rabiaten Biester wurden die netten Möwen an der Spree, die alle so aussahen, als ob sie Emma hießen (Christian Morgenstern). Die Emmas retteten sich an Wannsee und Müggelsee. 

Als nächstes waren die hübschen Elstern dran. Ich erinnere mich noch an eine ganz Junge, die fast den ganzen Weg bis zu EDEKA neben mir herlief und mir die silbrige Schnalle von meinem Schuh klauen wollte. Welche Krähe macht sowas? Unvergessen: Vor ein paar Jahren konnte ich einen eindrucksvollen Häuserkampf zwischen Elstern und Krähen beobachten, genau auf der herrlichen Rotbuche, die jetzt wohl wegen der neuen Eigentumswohnungen gefällt wird. Die Elstern hatten wie jedes Jahr dort ihr Nest gebaut. Dann kamen die Krähen und haben es wie ein Immobilienhai einfach besetzt. Ich stehe in der Küche und traue meinen Augen nicht. Die Elstern warten, bis die Krähen auf Futtersuche gehen und zerstören in Windeseile ihr eigenes besetztes Nest. Ast um Ast segelt in den Hof. Als die Krähen wiederkamen, fanden sie tabula rasa vor und ließen sich nicht mehr blicken. Aufgepasst Kreuzberg, nimm dir ein Beispiel daran. Wenn ich aber heute eine Elster sehen will, muss ich in den Zoo gehen.

Die letzten Opfer der Krähen waren die Tauben. Die haben kurz überlegt, ob sie sich an den Markusplatz in Venedig zurückziehen sollten, haben sich dann aber für den Alexanderplatz entschieden. Der ist städtebaulich so hässlich, dass er sogar von den Krähen gemieden wird. Gute Entscheidung. Was bei der großen Vertreibung übrig geblieben ist, ist das Spatzenprekariat. Die Krähen blicken nur hochnäsig darauf runter. Wenn sie sich dabei nicht mal täuschen. Wenn die Gentrifizierung am Ende auch das Prekariat erreicht, kann es interessant werden in der Stadt. Nicht nur in Büschen und Bäumen.

Sommer in Berlin heißt vor allem Baustellen, Hütchenspieler und brennende Autos. Die Opas der heutigen Pyromanen hatten es noch auf die Autos von verhassten Politikern und staatserhaltenden Firmen abgesehen. Da hatte sich Bartleby noch sicher gefühlt. Er klebte seinen Rentenbescheid ans Fenster seines Cabrios und hoffte auf so etwas wie Ganovenehre. Das hat sich gründlich geändert. Heute lebt hier jedes Auto gefährlich, das nicht bis drei in die Garage kommt. Zweimal schon konnte ich in den vergangenen Jahren nachts von meinem Balkon zuschauen, wie Autos in meiner Straße in Flammen aufgingen. Eins davon fuhr mein russischer Nachbar. Am nächsten Tag wollte ich ihm mein Mitgefühl ausdrücken. Er lächelte nur: „Null Problem, ick mach doch Leasing.“ Clevere Kerlchen, diese Russen. 

Aber dank der CDU wird das Abfackeln jetzt sicher ein Ende haben. Die Partei zahlt jedem, der einen Hinweis zur Aufklärung gibt, 1.000 Euro auf die Hand. Offensichtlich haben sich die Abgeordneten auf ihrer Klausur ein paar alte Italo-Western von Sergio Leone angesehen und sich wieder für Kopfgeld begeistert. Also Leute, wenn ihr mal Geld braucht, nachts die Augen auf und Ennio Morricone auf den Kopfhörern. Dann seid ihr bald aus dem Gröbsten raus. Den Zündler von damals hat man bald danach erwischt. Wohnt eine Querstraße weiter immer noch bei seiner Mutti und hatte Pech im Job. Man hats eben nicht leicht als Muttersöhnchen.

Bartleby war in seiner Marburger Studentenzeit auf dem Weg, zu einem der größten Pyromanen seit Nero zu werden. Vielleicht reicht eure Küchenpsychologie aus, das zu erklären. Mehrmals hat er versucht, die historische Altstadt in Schutt und Asche zu legen. Gott sei Dank erwies er sich auch hierbei als der geborene Dilettant. Aber einmal hatte dieses Treiben doch Folgen. Die Staatsanwaltschaft Marburg beschuldigte ihn, in tiefster Nacht in der Altstadt „ungebührlicherweise ruhestörenden Lärm erregt und groben Unfug verübt zu haben, in dem er gemeinsam mit anderen einen für die Entrümpelung bereitgestellten Ofen auf die Fahrbahn zog und darin Papier verbrannte. Durch den hierbei entstandenen Lärm und die Rauchentwicklung wurden Anlieger gestört und belästigt.“ Geldstrafe von 40,00 DM, ersatzweise 4 Tage Haft. Bartleby natürlich wie immer klamm, aber der Dispo bewahrte ihn gerade noch vor dem Karzer. 

Vor kurzem fiel mir wieder ein Buch von Harry Rowohlt in die Hände. Die meisten von euch werden den Rauschebart wohl nur als alten Penner aus der Lindenstraße kennen. Er war ein begnadeter Übersetzer, Spötter und vor allem ein großer Freund der Iren und ihrer Trinkgewohnheiten. Beispiel: In einer irischen Zeitschrift hat er ein Cartoon gesehen, in dem ein Mann mit einem angeleinten Wellensittich gerade das Haus verlassen will, und seine Frau raunzt ihn an: „Dir ist auch jede Ausrede recht, um in die Kneipe zu gehen.“

Ich durfte ihn 2006 erleben im FritzClub im Postbahnhof. Auf seinem kleinen Lesepult wie immer eine Flasche Whiskey und Bier zum Verdünnen und all die Hölzchen und Stöckchen, auf die er an diesem Abend kommen wollte. Er überzog gnadenlos. Keiner geht. Ich hätte ihm noch zuhören können, bis die erste S-Bahn wieder fährt. Verdammt nochmal, Harry, du fehlst!

Eine Geschichte ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Er sitzt im Taxi in Hamburg. Der Fahrer ist Türke und Harry ist es etwas mulmig, als das Gespräch auf den Islam kommt. Der Türke erklärt ihm seine Sicht: „Mohammed hatte keinen Kühlschrank, vertrug keinen Alkohol und hatte Schiss vor den Weibern. Da hast du den ganzen Islam.“ Guter Mann.

#20

Hallo Freunde, hallo Fans,

nicht böse sein, aber heute komme ich euch ausnahmsweise erst einmal literarisch. Der Grund: Herman Melville wäre in diesen Tagen 200 Jahre alt geworden. Berühmt geworden durch „Moby Dick“ und als Schöpfer des großen Verweigerers Bartleby. Ich zitiere mal aus dem Kulturteil des Tagesspiegels:

„Bartleby ist die Gegenfigur zum Willenskrampfmenschen Ahab. Er möchte lieber kein menschliches Kopiergerät sein; eigentlich möchte er überhaupt nichts und bleibt dabei doch unverbindlich freundlich. Die sanftmütige Aufsässigkeit eines Menschen ohne Ambition ist eine Irritation für die Wachstumsgesellschaft, die zusammengehalten wird vom Ehrgeiz und dem Willensdrang ihrer Mitglieder.“ Vielleicht macht es das für euch jetzt etwas einfacher mit mir.

Zurück ins Hier und Jetzt: In das neue Dachgeschoß sind Nele und Sally eingezogen. Im Briefkasten lag eine Einladung zum Kennenlernen bei Kaffee und Kuchen. Das hat Bartleby noch nicht erlebt in den mehr als 50 Jahren, die er hier wohnt. Er vergisst einmal sein notorisches „Ich möchte lieber nicht“, macht sich chic (!) und stiefelt nach oben. Die Mädels werden bestimmt traurig in ihren Kaffee weinen, weil keiner gekommen ist. Und dann das: Der Hausälteste wird von einer johlenden Menge begrüßt. Das letzte Mal, dass er mit so vielen Menschen aus seinem Haus zusammen kam, war 1943 im Luftschutzkeller in Lankwitz. Eine Einladung dazu gab es damals nicht und das gemeinsame Beten war schnell zu Ende. Es war für den jungen Bartleby die letzte Nacht im brennenden Berlin bis 1965.

Wenn jemand mal aus Versehen meine Telefonnummer gewählt hat, ist die erste Frage meist: „Wie geht’s dir?“ Statt des üblichen „Den Umständen entsprechend“ hier kurz eine kleine Geschichte: Bartleby hat mal wieder mit seinen Einkäufen die Marktfrauen auf dem Ökomarkt glücklich gemacht. Im Bahnhof Zoo warten auf die U-Bahn. Sie kommt und ist natürlich voll. Bartleby strafft seinen Körper, pumpt den Rest seiner Muskeln auf und stürmt das Abteil als wäre er in Tokio. Die Kids starren auf ihre Smartphones. Keine Chance auf einen Sitzplatz. Aber dann das: Ein älterer Herr, so um die 70, steht auf und bietet Bartleby seinen Platz an. Was ist denn hier los? Sehe ich denn wirklich schon so schlimm aus? Leute, wie wärs zu meinem Geburtstag mal mit Botox?

Bartleby wäre heute beinahe Opfer einer Naturkatastrophe geworden. Wird in der S-Bahn von einem Unwetter überrascht. Es regnet Katzen und Hunde, dazu Blitz und Donner. Am Bahnhof Tiergarten stauen sich die Menschen, nicht an den Zügen, sondern am Ausgang. Die Straße steht fast kniehoch unter Wasser und die Autofahrer pflügen lustvoll durch die Fluten. Ihre Wellen schwappen bis in den Bahnhof. Erst wartet die Menge geduldig auf ein Ende der Sturzflut, wird langsam unruhig und stürzt sich dann wie Lemminge ins Wasser. Bartleby möchte das lieber nicht und beobachtet das Treiben fast zwei Stunden lang auf dem Trockenen. Unglaublich, was Menschen anstellen, um bei diesen Verhältnissen über die Straße zu kommen. Touristen aus Monsunländern stürzen sich ohne Rücksicht auf Kinder und Klamotten in die Fluten, die Deutschen ziehen ihre Schuhe aus, krempeln ihre Hosen hoch und waten tollpatschig wie Pinguine durchs Wasser, aber nicht ohne vorher vorschriftsmäßig den Knopf an der Ampel für Grün zu drücken. Eine herrliche Komödie wie eine Inszenierung von Herbert Fritsch an der Volksbühne.

Bartleby liest gerade davon, dass eine junge Frau aus Brandenburg am Watzmann abgestürzt ist und lebensgefährlich verletzt wurde. Da kommen wieder Erinnerungen hoch. Genau an der Stelle, an der der junge Bartleby und sein bester Kumpel die drei Watzmann-Gipfel überquert hatten, hin und zurück. Dieses Stück gilt noch heute als eine sehr anspruchsvolle Strecke. Das war 1953. Aber als Kriegskind dachtest du ja, dass du unverwundbar bist. Und so blond wie Siegfried war ich allemal.

Aufgeputscht durch dieses Erfolgserlebnis fühlte sich der preußische Alpinist gerüstet, seiner neuen Flamme ein ganz besonderes Geschenk zu machen. Damals hießen die Mädchen noch nicht Doreen oder Chantal, sondern Rotraut, Wiltraut oder Ingeborg. Meine Flamme hieß Olga und so griffig wie der Name war auch alles an ihr. Die anderen Kumpels dachten, sie könnten bei ihr landen mit einem Sixpack Coca Cola von den Amis, mit Tierbildern für ihr Sanella-Album oder geklauten Keksen aus dem Tante-Emma-Laden.

Doch der junge Bartleby wollte höher hinaus. Also noch einmal hinauf in die Berge und ein Edelweiß für die frühreife Olga aus der steilen Wand gepflückt. Diesmal allein übern Königssee und hinauf ins Steinerne Meer. Almrausch und Enzian in Mengen, aber weit und breit kein Edelweiß. Dann stand er vor der steilen Wand, Da musste es sein, da würde er das Objekt seiner Begierde finden. Aber der liebe Gott hatte kein Edelweiß für den Jungen und befahl, wieder runter mit dir. Wer jemals geklettert ist, weiß, dass runter eine andere Kategorie ist als rauf. Bartleby hing also fest und hätte am liebsten die Bergwacht gerufen, wenn es damals schon Handys gegeben hätte. Fragt ihn nicht wie, aber nach einer gefühlten Ewigkeit zwischen Leben und Tod stand er wieder am Fuß der Wand. Ohne Edelweiß. Mit der letzten Fähre zurück übern See und sofort todmüde ins Bett. Mutter noch: Warst du wieder mit Olga Kekse klauen?

Fast 50 Jahre später. Bartleby und Elke in der Mongolei. Unser Fahrer hält bei wilden Kamelen. Sie stehen auf einer großen Wiese aus lauter weißen Blumen. Nein, keine Gänseblümchen, sondern alles Edelweiß! Mit Olga wäre das in der Mongolei ein Klacks gewesen. Natürlich steht noch heute ein Edelweiß von dort in meinem Bücherregal. Jeder, der das dort entdeckt und meine bayerische Vergangenheit kennt, klopft mir anerkennend auf die Schulter: „Sag bloß, das hast du selber gepflückt.“ Bartleby: „Na hör mal, was glaubst du denn?“

Wegen Olga ist Bartleby zwar nicht abgestürzt, aber beinahe ertrunken. Und das kam so: Unsere Clique lag an einem schönen Sommertag in einem Freibad. Alle konnten schon schwimmen bis auf mich, am besten aber Olga. Die Idee mit dem Edelweiß hat nicht geklappt, aber irgendetwas musst du jetzt tun, sonst kannst du gleich wieder in den Konfirmandenunterricht gehen. Bartleby, wenn es um Frauen geht, immer tollkühn: Ich springe vom Dreier! Das sagt sich so leicht. Die Stufen hoch ist noch einfach, aber dann stehst du auf dem Brett. Blickst nach unten: das sind doch gefühlte hundert Meter! Du zögerst, aber hinter dir machen schon die nächsten Druck. Bartleby denkt an seine Pleite mit dem Edelweiß, schließt die Augen und lässt sich vom Brett fallen. Olga hat nicht einmal hingeguckt.

Vor ein paar Jahren bin ich auf eine wunderbare Geschichte dazu gestoßen: „Für immer ganz oben“ von meinem Idol David Foster Wallace. Sie handelt von einem Jungen, der an seinem 13. Geburtstag zum ersten Mal im Schwimmbad vor seinen Eltern vom Sprungbrett springen will. Dann der Konflikt, runter oder wieder zurück. Was er dabei beobachtet und ihm dabei alles durch den Kopf geht, ist ganz, ganz große Literatur. Wer für sich was Gutes tun will, findet diese Short Story in Wallace´s Buch „Kurze Interviews mit fiesen Männern“. Ihr werdet lange suchen müssen, ehe ihr etwas Vergleichbares findet.

Zurück nach Berlin. Davon habt ihr sicher gehört: 1918 musste Kaiser Wilhelm II. abdanken und mit seiner Familie nach Holland ins Exil gehen. Jetzt, fanden seine Nachfahren, würde es endlich Zeit, alte Besitztümer wieder vom undankbaren Volk zurückzufordern. Dazu die Schlagzeile einer Berliner Zeitung: „Schon wieder ein Clan, der Ärger macht.“ Araber oder Hohenzollern, dieser Stadt bleibt auch nichts erspart.

Jesper Juul, der sanfte Revolutionär der Erziehung aus Dänemark ist gestorben. Er soll diesmal das letzte Wort haben: „Glücklich zu sein ist keine Kunst. Die wirkliche Kunst ist es, zu wissen, was man tun kann, wenn man unglücklich ist.“

#19

Lieber Fritz, lieber Reinhold, hallo Fans,

das Wichtigste zuerst: Ich beobachte den Alltag und genieße das Leben ohne Zeitdruck. Das sagt Harald Schmidt, immer noch einer der Besten.

Sachen gibt’s. Da wohne ich seit mehr als 50 Jahren am Rande des Hansaviertels. Jahrelang gehe ich in die „Giraffe“. Das ist ein gutbürgerliches Restaurant in einem Hochhaus gleichen Namens, entstanden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1956. Für mich bisher ein Haus wie jedes andere. Aber jetzt lese ich, dass der Architekt damals eine besondere Idee verfolgte. Die Stadt war ja voller Kriegerwitwen und Heimkehrern. Die brauchten keine 4-Zimmer Altbauwohnung, denen reicht auch ein Ein-Zimmer-Appartement. Also entwarf er ein Hochhaus nur für Singles. Männlein und Weiblein hatten alle nur ein großes Zimmer. Der Clou: Die Zimmer für Männer lagen alle auf der Seite mit Blickrichtung Osten (Brandenburger Tor), die Zimmer für Frauen alle auf der Seite mit Blickrichtung Westen (Funkturm). Die Apartements der Frauen bekamen noch eine kleine Küche mit Fenster dazu, die der Männer nur eine winzige Kochnische ohne Fenster. Begründung: Frauen stehen ja öfter in der Küche als Männer. Die Jungs können ja, wenn sie Hunger haben, auch unten im Restaurant „Giraffe“ essen.

So waren sie, die Fünfziger-Jahre der Nachkriegszeit. Aber heute ist das doch alles anders, höre ich aus der neuen Singles-Hauptstadt, heute würde so ein Konzept als sexistisch verurteilt werden und der Architekt von Feministinnen geteert und gefedert durch das Hansaviertel gejagt. Aber Bartleby findet´s gut. Er würde dort sofort ein Bratkartoffel-Verhältnis mit einer Nachbarin anfangen. Und seine Kochnische zu einer kleinen Bar umbauen. Dann klappt´s auch mit der Nachbarin.

Bartleby ist ja ein Kind der grauen Nachkriegszeit. Was das für den armen Jungen bedeutete, könnt ihr euch heute gar nicht mehr vorstellen. Was ihm eingebleut wurde, waren Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit. Kleines Beispiel für letzteres: Wenn damals im Radio die Nachrichten kamen, meldete sich immer eine monotone ernste Stimme wie aus dem Keller: „Beim letzten Ton des Zeitzeichens ist es 12 Uhr.“ – Piep, piep, piep. – „12 Uhr“. Oder „beim Gongschlag ist es 12 Uhr“. Gooonnnggg! Heute dagegen meldet sich auf Radio Eins die wunderbare Ost-Frau Marion Brasch vor den 12-Uhr-Nachrichten mit einem lockeren „Mittach!“ Dafür könnte Bartleby sie küssen. Ach ja, diese zauberhaften Ost-Frauen …

Übrigens, Oskar Lafontaine entgegnete damals Helmut Schmidt, dass man mit diesen Sekundärtugenden auch ein KZ leiten könnte. Guter Mann. Aber der Wehrmachtsoffizier Schmidt- Schnauze was not amused.

Jeder Berliner, liest Bartleby, verbringt im Jahr 62 Stunden mit der Suche nach einem Parkplatz. Jeder Berliner? Bartleby hat sich vor seinem Haus einen Parkplatz gesichert und gibt ihn so schnell nicht wieder her. Sogar einen zwischen zwei Bäumen, sodass die Krähen und Tauben ihm nicht einmal das Verdeck vollscheißen können. Jeder Regen macht den Wagen blitzblank, Ein Traum. Aber was macht Bartleby jetzt mit den gewonnenen 62 Stunden? Räum endlich mal deine Bude auf, tönt es aus der einen Ecke. Beweg dich mal wieder, aus der anderen. Bartleby ist dankbar für jede Anregung. Fast ist er schon auf dem Sprung, aber dann überkommt ihn wieder sein berühmtes „Ich möchte lieber nicht“.

Es kommentiert der große Menschenhasser Thomas Bernhard: „Der Nichtstuer als der Geistesmensch ist in den Augen derer, die unter Nichtstun tatsächlich nichts tun verstehen, weil in ihnen während des Nichtstuns tatsächlich Garnichts vorgeht, die größte Gefahr und als der Gefährlichste.“ Seht euch also vor!

Bartleby entwickelt sich allmählich zum „Prinz von Homburg“ der Küche. Kleist-Kenner wissen, wovon die Rede ist. Der Kurfürst von Brandenburg hatte vor der entscheidenden Schlacht die Order ausgegeben, dass niemand ohne seine ausdrücklichen Anweisungen angreifen dürfe. Der Prinz tat es dennoch, errang den Sieg und wurde trotzdem zum Tode verurteilt. So war das damals eben in Preußen.

Was hat das jetzt mit Bartlebys Küche zu tun? Ein Leben lang hat er sich preußisch exakt an die Befehle der Kurfürsten Tim Mälzer, Jamie Oliver und Vincent Klink gehalten. Die Küchenschlacht konnte nur gewonnen werden, wenn er sich haargenau an jedes Gramm, jeden Teelöffel und jede Minute hielte. Jetzt aber hatte Bartleby Lust, eine kleine Revolte anzuzetteln: Weg mit der Waage, es gibt auch Esslöffel und die Zeit einfach nach „Frei Schnauze“. Zum Schluss noch einen großen Klecks Butter extra. Das Ergebnis der Küchenschlacht: Sieg auf der ganzen Linie. Es hat super geschmeckt. Aber die drei Kurfürsten hätten den preußischen Anarchisten trotzdem am liebsten in der Mikrowelle verbrannt.

Morgen bereitet sich Bartleby wieder auf seine nächste Küchenschlacht vor. Er trifft seine Marktfrauen auf dem Ökomarkt. Schnitzel, Blutwurst und Hähnchenkeule. Das volle Programm. Ein paar Knacker können´s auch noch sein. Es kommentiert Bart Simpson: „Man findet keine Freunde mit Salat.“

Die Welt (wirklich die ganze Welt?) erinnert sich dieser Tage an die Mondlandung. Auch der junge Bartleby war damals fasziniert. Monika und er rissen den gerade auf die Erde gekommenen Sohn aus der Wiege und platzierten den kleinen Scheißer vor die Glotze. Er solle später einmal sagen können „Mondlandung? War ich doch dabei. Na und?“. Der alte Bartleby denkt heute anders über Weltraumfahrt. Keinen Cent mehr dafür, solange auf der Erde Kinder verhungern, Flüchtlinge im Meer ertrinken und das Klima vor die Hunde geht! Wenn wir das irgendwann erreicht haben, ist immer noch genug Zeit für Weltraumträume. Unsere Erde wird erst in ein paar Milliarden Jahren untergehen, also keine Eile. Bartleby überlegt, ob der Mensch das ändern kann. Es kommentiert der Astrophysiker Hermann Nicolai: „Wir sind so unvorstellbar unbedeutend, wie das Universum unvorstellbar groß ist.“ Bartleby braucht jetzt erst einmal einen unbedeutenden Malt Whiskey. Einen doppelten.

Zum Schluss die beliebte Rubrik „Berlin, aber Schnauze“. Leider waren die Berliner in letzter Zeit etwas maulfaul. Ich tröste euch aber mit ein paar Szenen aus dem wunderbaren Karikaturenband von OL „Die Mütter vom Kollwitzplatz“.

Also los: Die eine Prenzelschwäbin zur anderen: „Geschdern war I in Kreuzberg drübe. Du, des glaubsch ned, da gibt’s au Schwangere!“

Oder so: Zwei Muttis beim Smoothie im veganen Café. Es geht um die berühmte Szene im Film „Harry und Sally“. Die Eine: „Und? Ooch schon mal ´n Orgasmus vorjetäuscht …?“ Die Andere: „Wem denn…?“

Auch nicht schlecht: Zwei Mütter unterhalten sich bei einem Latte über ihre Kinder. Die Eine: „Letzte Woche räume ich das Zimmer meines Sohnes auf und finde – du glaubst es nicht – eine Schachtel Zigaretten. Das war sooo ein Schock für mich, ich hatte doch keine Ahnung, dass er raucht“. Darauf die Andere: „Ich hab Kondome gefunden. Bei meiner Tochter! Ich wusste nicht mal, dass sie´n Penis hat“.

Einer geht noch: Einkauf in einer Bäckerei. Eine Kundin möchte von der Verkäuferin wissen, warum sie so übellaunig ist. Antwort: „Jute Laune? Ham wa nich! Müsstn se morgn no ma komm. Da arbeitet ne Kollejin, die is nich aus Berlin.“

Aber Berlin kann auch anders (Tagesspiegel): 17.30 Uhr Bahnhof Stadtmitte. Die Geiger auf der Treppe machen gerade Pause. Ein wohnungsloser Mann fragt, ob sie „Hallelujah“ von Leonard Cohen spielen können. Und sie beginnen zu spielen. Menschen eilen vorbei. Der Mann sitzt auf der Treppe, hört zu. Und weint. Still und nur für sich…

Bartleby macht sowas melancholisch. Wer weiß, vielleicht ist er doch noch zu retten. Aber warum eigentlich?

Ulrich

#18

Lieber Fritz, lieber Reinhold, hallo Fans,

diese Woche hatte ich den letzten Termin bei meiner Onkologin. Jetzt ist das alles fünf Jahre her. Was bleibt mir in Erinnerung? Die Fahrt mit der Feuerwehr in die Intensivstation der Charité. Das langsame Wiederkehren zum Leben. Großartige Ärzte und PflegerInnen. Die Freude über jeden Besuch. Der Jubel auf der nahen Fanmeile nach dem Tor von Mario Götze im WM-Finale. Was bedeutet dagegen mein Ärger über die arabische Großfamilie, die im Ramadan bei meinem frommen Mitpatienten tagelang das Fastenbrechen lautstark bis in die Nacht feierte? Nichts. Ich lebe noch und das ist das Einzige, das zählt.

Heute war mal wieder ein schöner Harald Juhnke-Tag. Ihr wisst schon: Keine Termine und leicht einen sitzen. Wie geht’s euch? Alle eure Mails landen ja in meinem Spamordner. Müsste ich vielleicht mal wieder nachsehen.

Leute, euch war heiß in den letzten Wochen? Alle Welt jammert über die Temperaturen. Ich liebe Hitze. Gibt es einen schöneren Grund, zu Hause zu bleiben, Türen und Fenster zu? Kühlschrank auf und schauen, wann die Mindesthaltdauer von Gin-Tonic oder von Bacardi-Cola abläuft. Was das angeht, bin ich als Kriegskind- Prepper natürlich bestens auf Hitze und den Weltuntergang vorbereitet. Wenn es also irgendwann einmal soweit und der letzte Späti leer gekauft ist, kommt einfach vorbei und wir trinken noch einen.

Übrigens, schon zu meiner Schulzeit war es im Sommer manchmal heiß. Dann traf sich die Landjugend an einem nahen Kiesteich. Es hätte für mich so entspannt sein können, aber die Mädels bestanden darauf, dass ihre Lover so braun sein müssten wie ein italienischer Tennislehrer. Ich sah aber eher aus wie ein Tennislehrer auf Grönland und musste mit einer Bräunungslotion nachhelfen. Nutzte aber nichts, die Mädels interessierten sich mehr für Dr. Sommer in ihrer „BRAVO“ und seinen Tipp, wie sie ihrem Tennislehrer zum Matchball verhelfen können. Was sie dann aber überzeugt hat, waren ein paar sportliche Runden von mir und meinen Kumpels mit Vaters Auto (ESW- A 1) über ihre Handtücher. Ein Gekreische wie bei Elvis. Darauf konnte ich wenig später dankend verzichten. Wechselte vom Kiesteich auf die Waldorfschule nach Kassel. Dort wurde dann alles anders. Ja, glaubt mir, wirklich alles.

Vor ein paar Tagen wache ich im Morgengrauen auf: ES BRENNT! Aber wo? Ich stürze in die Küche. Gott sei dank, kein verkokeltes Frühstücksei wie damals. Das Treppenhaus ist nicht verqualmt, aber Brandgeruch überall. Ich schnüffele an den Haustüren der Nachbarn, soll ich sie wecken? Meine Rauchmelder schweigen, also erst einmal einen Kaffee machen. Dann die Aufklärung im Radio: In MeckPomm brennt es auf einem Truppenübungsplatz und der Brandgeruch zieht von dort bis nach Berlin, mehr als 200 km. Das gibt’s doch gar nicht.

Doch, das gibt es und es macht Bartleby nachdenklich. Ist die berühmte Berliner Luft, Luft, Luft vielleicht nicht doch nur ein einziger großer Mythos? Wenn esBrandgeruch aus MeckPomm bis nach Berlin schafft, dann schafft es auch anderer Gestank von dort hierher. So geht das sicher schon seit ewigen Zeiten. Im Laufe der Evolution haben sich die Berliner an den Mief aus der mecklenburgischen Pampa, ihren Kuhställen und ungelüfteten Schlafzimmern gewöhnt und verkaufen ihn clever in kleinen Dosen als angebliche Berliner Luft an bescheuerte Touristen. Nur Donald Trump würde das sofort als ein grandioses Marketing-Fake entlarven. Dabei ist die Lösung ganz einfach: eine Woche Lüftungsverbot in MeckPomm und wir könnten auf dem Kudamm endlich einmal wieder tief durchatmen. Bis der Südwind aus Sachsen weht …

Den Sommer verbringt Bartleby vor allem auf seinem Balkon. Er ist fast der Einzige weit und breit, der das macht. Alle Häuser in seiner Straße haben große Balkone, aber die Bewohner haben sich offenbar vor ihrer Glotze festgetackert. Auf Bartlebys Balkon gibt es gerade mediterrane Wochen: Tapas, Oliven, Schafskäse, Knoblauch- Baguette und einen frischen Rosé aus der Provence. Das Ganze beleuchtet mit einer Lichterkette und Lampions. Ja, ich weiß, der reine Kitsch.

Dabei ist Bartleby nicht alleine. Etwa 30-40 Mauersegler aus Andalusien leisten ihm am Abend Gesellschaft. Es sind fast doppelt so viele wie im letzten Jahr (Danke Fritz). Anscheinend hat es sich dank der englischen Nachtigallen herumgesprochen, dass Berlin jetzt der place to be für Vögel (vorsichtig!) ist. Bartleby ist ein großer Bewunderer ihrer Flugkünste. Das würde er auch gerne können. Dann hat er gelesen, dass die Mauersegler sogar Sex in der Luft haben sollen. Wenn Bartleby an seine Erfolge auf diesem Gebiet denkt, entdeckt er schnell wieder große Sympathie für den einfachen Spatz um die Ecke. Statt zu einer kunstvollen Luftnummer verschwindet der mal kurz im nächsten Busch zu einem Quickie. Unter Mauerseglern nennen sie das verächtlich nur Hausfrauensex.

Bartleby hat mal wieder in den Werken von Heiner Müller (kennt ihr hoffentlich, sonst Schande über euch) gestöbert. Müller über uns: „Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als fünf Deutsche.“ So macht selbst Mathematik wieder Spaß.

Müller über Frühstück: „Wenn ich morgens Müsli esse, will ich mich eine Stunde später erschießen.“ Ist mir bisher nicht geglückt, weil ich keine Waffe habe.

Zum Schluss noch was aus der beliebten Rubrik „Berlin, aber Schnauze“: Ein Pärchen aus Süddeutschland betritt ein Restaurant in Neukölln. Der Wirt kommt. „Mir send Veganer, Was könnet wir hier bestelle?“ Der Wirt: „Ein Taxi.“

Alter St.-Matthäus-Kirchhof, Blumenstand. Zwei Hipster, dichte schwarze Bärte, schwarze Sonnenbrillen, kaufen ein Töpfchen Mini-Osterglocken. „Können wir die auch einpflanzen?“ – „Könnse. Det Jrüne kommt nach oben.“

Also immer Kopf hoch. Dann wird’s schon.
Ulrich

#17

Lieber Fritz, lieber Reinhold, hallo Followers,

tut mir leid, Leute, aber heute beginnt es mit starkem Tobak. Bartleby hat ja mal Jura studiert, aber das Studium nach ein paar Semestern abgebrochen. „Ich möchte lieber nicht.“ Typisch Bartleby, aber die Juristerei war nicht so sein Ding. Es gab Momente, wo er das bereute und Momente, in denen er das nicht tat. So einen wie in diesem Fall:

Was kostet es, mit Tempo 70 auf der Busspur am Stau vorbeizurasen und dabei ein Kind totzufahren? Ihr kommt nie drauf: 200 Euro Geldstrafe und einen Monat Fahrverbot. So verkündet vom Amtsgericht Tiergarten. Ein 23-jähriger hatte mit Vaters BMW den Vierjährigen umgebracht, der neben seiner mit Einkäufen bepackten Mutter plötzlich bei Rot losgerannt war. Bei Tempo 30 wäre der Unfall vermeidbar gewesen, befand das Gericht, das der Mutter eine Mitschuld gab. Was lehrt dieses Urteil die Allgemeinheit? 1.) Wer durch massive Verkehrsverstöße ein Kind tötet, zahlt dafür so viel Strafe, wie ein neuer Außenspiegel (der alte traf den Jungen am Kopf) kostet, und muss vier Wochen BVG fahren. Und 2.) sollen Mütter gefälligst zu Hause bleiben, wenn sie keine Hand frei haben, um ihr Kind von asozialen Rasern fernzuhalten. (Q. Tagesspiegel)

Vor einigen Jahren wollte ich Milan von der Schule abholen. In der Nähe der Siegessäule machte plötzlich eine Polizei-Wanne (nicht im Einsatz) vor mir einen gefährlichen Spurwechsel. Nur durch die Reaktion der neben mir Fahrenden kam es zu keinem Crash. Beim Überholen der Wanne zeigte ich dem Fahrer den Mittelfinger. Im Cabrio macht sich das besonders gut. An der nächsten Ampel hielten die Bullen mich an und ich bekam eine Anzeige. Nicht die Bullen wegen ihrer Fahrweise, sondern ich wegen meinem Effenberg. Ergebnis: Bußgeldbescheid über 800 Euro. Für dieses Geld hätte ich auch vier Kinder totfahren können. Natürlich nicht alle gleichzeitig, aber schön nacheinander. Was wiegt vor Gericht schwerer? Der spontane Ärger über einen Polizisten oder der Tod eines kleinen Jungen? Bartleby hat darauf eine Antwort, aber er ist ja kein Jurist.

Bartleby gehört ja zu den wenigen Männern, die immer Glück mit Frauen hatten. Gut, in den letzten Jahren hat das etwas nachgelassen. Etwas. Aber es gibt manchmal doch noch eine Sternstunde. Neulich ist Bartleby auf dem Weg zu seinem Öko-Wochenmarkt. An der Gedächtniskirche überholt ihn eine hübsche junge Frau und lacht ihn freundlich an: „Hallo!“. Bartleby weiß noch von früher, dass sich aus sowas noch mehr machen lässt. Mindestens ein blind date im Café Einstein oder Café am Neuen See. Er zieht routiniert den Bauch ein und lächelt verführerisch wie Robert Redford: „Hey!“. Darauf die schöne Fremde: „Sie haben da Papier am Schuh.“ Bartleby schaut an sich herunter und richtig, an seinem Schuh klebt ein DIN A4 Blatt. Er muss irgendwo auf einen Scheißhaufen getreten sein, den der raffinierte Köter anschließend noch unter Papier versteckt hat. Donald Trump ist das Gleiche passiert und die Bilder davon gingen um die Welt. Immerhin, vor diesem Schicksal hat die nette junge Frau Bartleby wenigstens bewahrt. Bartleby 1, Trump 0.

Dass Bartleby kein großer Freund von Donald Trump ist, werdet ihr wohl schon geahnt haben. Aber noch mehr als diesen gefährlichen Polit-Clown verachtet er seine Anhänger, die ihm hysterisch zujubeln. Hatten wir sowas nicht schon einmal in unserem Land? Jetzt droht ein Krieg mit dem Iran. Ihr glaubt doch nicht, dass ihr dann noch ruhig vor dem Fernseher sitzen und Fußball schauen könnt. Wenn schon Glotze, dann ladet euch einen Film von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1964 runter: „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben.“ Das Personal von damals treibt sein Unwesen auch heute wieder im Weißen Haus.

Berlin hat zwar immer noch keinen Flughafen, aber dafür jetzt einen Mietendeckel. Was meinen Vermieter natürlich nicht gehindert hat, mir noch schnell eine saftige Mieterhöhung zu verpassen. Ich habe mal nachgerechnet. Seit ich hier Ende der 60er eingezogen bin, wurde meine Miete um knapp 1.000 % (eintausend!) kalt erhöht. Aber das Geschrei bei den Aktionären der Immobilienfirmen und den Vermietern ist riesengroß. Aus Luxemburg, Russland, Saudiarabien, Panama und den Cayman Inseln verzweifelte Hilferufe: „Wie sollen wir denn jetzt den Handwerker bezahlen, wenn der Wasserhahn tropft?“ Liebe Leute, nehmt es einfach von den Steuergeldern, die ihr hinterzogen habt. Und wenn die alle sind, steigt in die S-Bahn ein und verkauft den „Straßenfeger“. Ich kaufe euch auch einen ab. Versprochen.

Neulich in der U-Bahn. Ein heißer Tag. Bartleby ist ziemlich geschafft und steigt mit zwei vollen Einkaufstaschen ein. Die Bahn ist voll, aber da ist doch noch ein Plätzchen frei. Doch kurz bevor er sich setzen kann, hechtet ein kleines blondes Mädchen mit Roller an ihm vorbei und pflanzt sich triumphierend auf den Sitz. Die Fahrgäste rechts und links starren auf ihre Smartphones. Was jetzt? Soll er der Prinzessin seinen Schwerbeschädigtenausweis zeigen? Oder bitte-bitte machen? Tarzans Opa doch nicht! Die Bahn fährt an.Wo ist die nächste Liane zum festhalten? Da winkt weiter hinten am Ende des Waggons ein Junge, etwa so alt wie das Mädchen.

Bartleby ist baff. Der Junge mit sichtbarem Migrationshintergrund bietet dem alten weißen Mann seinen Platz an. Ich bedanke mich besonders freundlich bei dem netten Wuschelkopf. Manchmal sind eben doch die Jungs die besseren Mädchen. In Berlin haben jetzt die Schulferien begonnen. Wie jedes Jahr werden die türkischen Mädchen davor gewarnt, beim Urlaub in der Türkei zwangsverheiratet zu werden. Ich kenne das. Auch in der patriarchalischen Gesellschaft der Nachkriegs-BRD galt der Grundsatz: Geld muss zu Geld kommen. Das bedeutete für den jungen Bartleby: Er darf nicht mit seiner glutäugigen Werra- Schönheit zum Tanzstundenball. Seine Eltern hatten stattdessen arrangiert, dass der Junge die reiche Apothekerstochter beim Wiener Walzer herumschwenken sollte. Statt seiner üppigen Blondine hatte er an dem Abend ein verschüchtertes Dickerchen im Arm, sorgfältig eingewickelt in rosa Bonbon- Tüll. Aber ihr kennt ja Bartleby. Das war der Moment, in dem er zum ersten Mal „Ich möchte lieber nicht“ gedacht hat. Was wäre die Alternative gewesen? Bartleby stünde heute in Eschwege in der Apotheke des Bonbon-Püppchens und würde euch Aspirin verkaufen. Statt im Newsletter müsstet ihr in Zukunft seine Artikel in der Apotheken-Rundschau lesen. Liebe türkische Mädchen, mit oder ohne Kopftuch, passt gut auf euch auf und wehrt euch!

Zum Schluss noch was aus der Rubrik Lokales. Kurt Krömer, Berlins Antwort auf Jan Böhmermann: „Wussten Sie, dass in Spandau alle drei Teile von „Herr der Ringe“ gedreht worden sind? Die Produktionsfirma hat ein Heidengeld gespart, weil man die Leute nicht mal schminken lassen musste.“ Für Wessis: Berlin und Spandau war noch nie die große Liebe. Ist in etwa so wie die zwischen Köln und Düsseldorf. Bloß dass da keine S-Bahn fährt.

Und das noch: Ganz normaler Nachmittag im Bergmann-Kiez. Eine Anwohnerin isst mit Freunden Eis, als eine vielleicht Vierjährige mit ihrem Tretroller vorbeifährt und brüllt: „Scheiß Touristen!“ Es scheint doch noch ein paar antiautoritäre Kinderläden zu geben.

Some like it hot. Mir reichen 28 Gad, Gin Tonic und ein Poster von Marilyn Monroe.
Ulrich alias Bartleby